Matti Nykänen (1963 – 2019)

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Als von V-Stil noch keine Rede war.

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"Die Hölle ist nicht so schlimm, wie mein Leben war", sagte Matti Nykänen 2012 in einem Interview mit der Welt. Damals bestand gerade wieder die Hoffnung, dass er der Hölle entstiegen sein könnte. Das Fazit des noch nicht 50-Jährigen war umso niederschmetternder, als Nykänen nicht nur am Tisch der Sportgötter sitzen durfte, sondern einer der Ihren gewesen war.

Der Finne aus Universitätsstadt Jyväskylä, der in der Nacht auf Montag im Alter von nur 55 Jahren gestorben ist, zählt zum Quintett der Skispringer, die in ihrem sensiblen Metier alles gewonnen haben, was es zu gewinnen gibt: Olympiagold, WM-Titel, den Gesamtweltcup und die Vierschanzentournee.

"Er war der Held, ein Idol für Generationen"

Nykänen gewann das alles mehrmals und dazu noch Titel im Skifliegen. Von den Kollegen Espen Bredesen, Thomas Morgenstern, Jens Weißflog und Kamil Stoch wurde er allerdings auch in der Anzahl seiner zwischen 1981 und 1991 errungenen Siege und Medaillen nicht erreicht. Nur der Rekord an Weltcupsiegen (46) wurde dem viermaligen Olympioniken viele Jahre später genommen – von Gregor Schlierenzauer, der auf diesem Niveau bisher 53 Mal für sich gewann. "Matti war für das Skispringen, was Lionel Messi und Diego Maradona für den Fußball sind", rief Clas Brede Brathen, der Sportdirektor des finnischen Skisprungs, Nykänen am Montag nach: "Er war der Held, ein Idol für Generationen. Jeder wollte so springen wie Matti."

Nach der Karriere so leben wie Matti, das wollte und will keiner. In "Grüße aus der Hölle", seiner 2003 erschienene Biografie, wird nur von einem Bruchteil der durch eine Alkoholsucht befeuerten Eskapaden und Skandale erzählt (und das zum Teil weichgezeichnet).

Versuchter Totschlag

Manches konnte auch nicht im Buch stehen. Wie sein Herzinfarkt oder die Anklage wegen versuchten Totschlags an einem Freund im Jahr 2004. Den soll er im Rausch nach einem am Fingerhakeln entzündeten Streit niedergestochen haben. Von einer 26-monatigen Haftstrafe verbüßte Nykänen, der stets von Notwehr gesprochen hatte, die Hälfte. Wegen Körperverletzung an seiner vierten Ehefrau Mervi Tapola, die er wie deren Vorgängerinnen wiederholt misshandelt hatte, musste das einstige Idol knapp später noch zweimal ins Gefängnis. Er habe getrunken, weil er nichts anderes zu tun gehabt habe, weil er vergessen wollte, sagte Nykänen.

Die Finnen haben Nykänen viel verziehen. Ein 2006 angelaufener Film über dessen höllisches Leben füllte die Kinos des Landes, seinem Song "Lennä Nykäsen Matti" ("Flieg, Matti, flieg") war immerhin mehr Erfolg beschieden, als Versuchen als Stripper, Entertainer und Darsteller in Erotikvideos. Das mit dem Sport verdiente Vermögen war früh erschöpft, selbst seine Medaillen waren bald weg. Sie hängen im Olympiamuseum von Helsinki.

"Einzigartiger und extrem talentierter Athlet"

In nüchternen Momenten gab Nykänen seinem frühen Ruhm die Schuld am späteren Absturz. Er hätte Hilfe gebraucht. Neben seinem Förderer Hannu Lepistö und Trainer Matti Pulli hätte er vielleicht auch einen eigenen Coach für das Spiel mit den Medien gebraucht, die stets dankbare Abnehmer von Geschichten von und über Nykänen waren und sich am Montag wegen der Todesnachricht überschlugen.

In den vergangenen Jahren war es ruhiger geworden um Nykänen. Er versuchte sich als Skispringer in der Mastersklasse und besuchte den Weltcup. 2013 gratulierte er Schlierenzauer in Kuopio mit großen Worten zum Rekord an Weltcupsiegen: "Gregor, du bist jetzt ein ganz großer Skispringer. Für mich der größte aller Zeiten."

Zum letzten Mal hatte er sich anlässlich der WM 2017 in Lahti an einer Schanze gezeigt. Dort, wo am Wochenende der Weltcup gastiert und Nykänens besonders gedacht werden wird. Ehemalige Kollegen und Nachfolger reagierten am Montag bestürzt auf die Todesnachricht. "Die Liste seiner Probleme war so lange wie die der sportlichen Erfolge. Das ändert nichts an der Tatsache, dass er ein einzigartiger und extrem talentierter Athlet war", sagte der Pole Adam Malysz.

An Diabetes soll Nykänen gelitten haben, als Sänger ist er weiter aufgetreten, auch noch am vergangenen Freitag in Helsinki. Danach habe er sich nicht recht wohlgefühlt. Am Montagvormittag bestätigte die Sportabteilung des finnischen Ministeriums für Bildung und Kultur Nykänens Tod. Er hinterlässt seine fünfte Frau Pia und drei Kinder. (Sigi Lützow, 4.2.2019)

Matti Nykänen (FIN)
Geboren: 17. Juli 1963 in Jyväskylä (FIN)
Gestorben: 4. Februar 2019
Debüt im Weltcup: 6. März 1981
Letzter Weltcupbewerb: 9. Dezember 1990

Größte Erfolge:

Olympia:
4 x Gold
1984 Sarajevo (Großschanze)
1988 Calgary (Großschanze, Normalschanze, Team)

1 x Silber
1984 Sarajevo (Normalschanze)

WM:
6 x Gold
1982 Oslo (Großschanze)
1984 Engelberg (Team)
1984 Sarajevo (Großschanze)
1985 Seefeld (Team)
1987 Oberstdorf (Team)
1989 Lahti (Team)

Vierschanzentournee:
Gesamtsieger 1982/83, 1987/88

Weltcup:
4 Gesamtsiege
1982/83, 1984/85, 1985/86, 1987/88

46 Einzelsiege

Skiflug-WM:
1 x Gold 1985 in Planica