Die Chemie ist gegenwärtig oft etwas schlecht beleumundet und Synonym für Unnatürliches oder gar Giftiges – man denke an die Chemiefarbe und chemische Düngemittel. Dabei vergessen wir manchmal, dass Chemie auch in allem Natürlichen und Gesunden steckt. Wirklich alles ist Chemie. Stock (hauptsächlich aufgebaut aus Zellulose und Lignin), Stein (zum Beispiel Kalziumkarbonat im Kalkstein), Schere (Metall) und Papier (wieder Zellulose) – all das sind chemische Stoffe, ganz gleich, ob natürlich oder künstlich hergestellt. Die chemische Forschung lässt sich grob in zwei Bereiche einteilen: Analyse und Synthese. Während die Analyse Stoffe auseinandernimmt, um deren Aufbau und Eigenschaften zu verstehen, sorgt sich die Synthese um die Herstellung und Umwandlung von chemischen Stoffen.

Synthese aus chemischen Abfällen

Frühe Alchemistinnen und Alchemisten wie Kleopatra (die Alchemistin, nicht die Pharaonin) oder George Ripley trachteten noch nach Unsterblichkeit oder wenigstens unermesslichem Reichtum, etwa durch die Herstellung des Steins der Weisen oder die Umwandlung von Blei zu Gold. Im Gegensatz dazu hat die moderne Chemie durchaus auch die Gesellschaft im Ganzen im Auge. Im 18. Jahrhundert wurde der Grundstein für die chemische Industrie gelegt, die sich hauptsächlich mit der Synthese von Stoffen befasst. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden die Straßen von Großstädten wie London bereits mit Gaslampen beleuchtet. Das Gas zum Betreiben der Lampen gewann man durch das Erhitzen von Kohle in Druckbehältern unter Ausschluss von Sauerstoff. Bei diesem Prozess entstanden aber auch Unmengen von stinkenden Nebenprodukten, nämlich Teer, verfault riechende wässrige Gemische und schwefelhaltige Abfälle.

Nachdem diese Abfälle zunächst einfach in die Landschaft gekippt worden waren, begannen Chemiker nach alternativen Verwendungen zu suchen. Man fand bald heraus, dass die wässrigen Lösungen Ammoniak enthielten, sich aus den schwefelhaltigen Abfällen die Grundchemikalie Schwefelsäure synthetisieren ließ, woraus sich wiederum unzählige andere Stoffe gewinnen lassen, und dass man aus Teer kleine organische Moleküle wie Benzol isolieren konnte. Im Jahre 1858 gelang es dem britischen Chemiker William Henry Perkin, aus Teer einen der ersten künstlichen Farbstoffe herzustellen, das wunderschöne Mauvein, benannt nach der Blütenfarbe wilder Malven. Dabei wollte er eigentlich etwas ganz anderes herstellen, nämlich Chinin zur Bekämpfung von Malaria in den britischen Kronkolonien. Innerhalb kürzester Zeit avancierten mauvein-farbene Stoffe zum letzten modischen Schrei. Perkin stellte den Farbstoff bald in großen Mengen her und legte dadurch einen der wichtigsten Grundsteine für die moderne chemische Industrie.

William Henry Perkin.
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Gleiches löst sich in Gleichem

Im einfachsten Fall liegen die Ausgangsstoffe chemischer Synthesen in einem der drei klassischen Aggregatszustände vor: fest, gasförmig, oder flüssig, das heißt geschmolzen oder in einem Lösemittel gelöst. Eine Lösung erhält man, indem man einen Stoff auflöst – wie man zum Kochen von Nudeln beispielsweise Kochsalz in Wasser auflöst. Die Moleküle des gelösten Stoffes sind dann ganz fein im Lösemittel verteilt und von dessen Molekülen eingehüllt. Synthesen aus den verschiedenen Aggregatszuständen haben jeweils Vor- und Nachteile. Synthesen in Lösung haben den Vorteil, dass sich die Moleküle leichter bewegen können als etwa im Festkörper. Das erleichtert das Aufeinandertreffen verschiedener Moleküle, die dann in einer gemeinsamen Reaktion einen neuen Stoff bilden können. Zudem können zusätzliche Stoffe gleich mitaufgelöst werden. Etwa Katalysatoren, um die Reaktionen zu beschleunigen, oder Zusätze, die dafür sorgen, dass der neue Stoff in Form eines möglichst feinen Pulvers entsteht.

Lösemittel sind ungeheuer wichtig für die chemische Synthese und lassen sich grob in zwei Kategorien einteilen: polare Lösemittel, zum Beispiel Wasser, sowie unpolare Lösemittel, die Pflanzenöl gleichen. Nun lässt sich nicht jeder beliebige Stoff in jedem beliebigen Lösungsmittel auflösen. Kochsalz etwa lässt sich gut im polaren Wasser lösen, da es selbst polar ist, jedoch weniger gut in Öl. In der Chemie fasst man das unter der Faustregel "Gleiches löst sich in Gleichem" (Similia similibus solvuntur) zusammen. Da organische Stoffe meist apolar sind, benötigen sie entsprechend apolare Lösemittel, etwa das krebserregende Benzol.

Tatsächlich sind viele organische Lösemittel giftig und umweltschädigend und müssen zudem aus nicht nachwachsenden Ressourcen wie Erdöl gewonnen werden. Wir versuchen daher zunehmend derartige Lösemittel möglichst zu vermeiden und durch nachhaltigere Entwicklungen zu ersetzen. So findet sich unter den Sustainable Development Goals (SDGs) der Vereinten Nationen unter anderem das Ziel "Verantwortungsbewusste Produktion und verantwortungsbewusster Konsum", das gesundheits- und umweltschädlichen Herstellungsprozessen den Kampf ansagt. Da sich Gleiches aber nur in Gleichem löst, sind organische Lösemittel zur Synthese organischer Stoffe leider kaum vermeidbar. Oder doch?

"Heißes Wasser" als Alternative

Bei Raumtemperatur löst Wasser nur polare Stoffe wie zum Beispiel Kochsalz – und ist somit als Lösemittel für viele organische Ausgangsstoffe leider unbrauchbar. Wenn man flüssiges Wasser jedoch auf höhere Temperaturen erhitzt, typischerweise auf 100 bis 200 Grad Celsius, wird es zunehmend apolarer. Da Wasser bei 100 Grad Celsius siedet, geht die klare Flüssigkeit jenseits dieser Temperatur normalerweise in die Gasphase über. Es entsteht Wasserdampf, den wir auch wieder vom Nudelnkochen kennen. Damit das Wasser auch bei 100 bis 200 Grad Celsius flüssig bleibt, muss man es in einem Druckkochtopf "einsperren".

Bei über 100 Grad erhält Wasser apolare Eigenschaften.
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An der Technischen Universität Wien forschen wir an der Verwendung von durch "Heißmachen" apolar gewordenem Wasser als Lösemittel für die organische Synthese. In den letzten Jahren konnten wir zeigen, dass sich so verschiedene Stoffe herstellen lassen, von Kunststoffen bis hin zu Farbstoffen, den Wegbereitern moderner Synthesechemie. Solche Synthesen nennt man Hydrothermalsynthesen (von altgriechisch hydor – Wasser, und thermos – warm). Neben der Fähigkeit, organische Stoffe zu lösen, hat "heißes Wasser" noch andere überraschende Eigenschaften. So kann es für manche Reaktionen als Katalysator dienen und dadurch Synthesen beschleunigen. Hydrothermalsynthesen bieten somit zahlreiche Möglichkeiten, wichtige organische Stoffe herzustellen, ohne auf giftige und umweltschädliche organische Lösemittel zurückgreifen zu müssen. Es geht also doch. (Miriam M. Unterlass, 6.2.2019)