Auto als Zeitmaschine – Der Wagen aus "Back to the Future" als Ausstellungsstück in einem kanadischen Museum.

Foto: imago/Xinhua Fotograf: Liang Sen

Der Zweifel, heißt es, ist eine Hommage an die Hoffnung. Und "die Zukunft" liegt immer vor uns. Albert Einstein meinte: "Ich sorge mich nie um die Zukunft. Sie kommt früh genug." Und der dieser Tage aufgrund falsch interpretierter Geistes-Wahl-Verwandtschaft zu Unrecht in Verruf geratene verbale Pointilist Karl Valentin hatte konsterniert konstatiert: "Die Zukunft war früher auch besser."

Der Historiker Jan Martin Ogiermann hat es nun angesichts des konsequenten Fortschrittsglaubens, der permanenten Energie immerwährender Veränderung, der tiefgreifenden sozialen, gesellschaftlichen, ökonomischen und ökologischen Metamorphosen und technischen Entwicklungen, aufgrund der drängenden globalen Probleme, pardon, Herausforderungen des Planeten gewagt, eine "Biografie der Zukunft" zu verfassen.

"Da die Zukunft nie ist, sondern immer nur sein wird, existiert sie allein in unserer Vorstellung. Unser kritisches Denken und unsere Fantasie machen sich Bilder von Welten, die vielleicht einmal entstehen werden. Das beginnt mit Statistiken und ihrer mutmaßlichen zeitlichen Fortschreibung, es endet mit abenteuerlichen Science-Fiction-Technologien, die erst in einigen Jahrtausenden die letzten Grenzen menschlicher Existenz sprengen könnten."

Zukunft als menschliche Erfindung

Die Zukunft ist eine menschliche Erfindung, ist somit Utopie, ist de facto die Summe von Visionen und kollektiven Vorstellungen. Direkt und indirekt verbunden mit ethischen Fragen vom Glauben an Künftiges. Prähistorische Wandzeichnungen korrespondieren bei Ogiermanns Ausführungen perfekt mit Sokrates, der beim Philosophieren eine futuristische Virtual-Reality-Brille trägt.

Der Historiker enttarnt Europa, das christlich-jüdische Abendland mit dessen Wurzeln in der Antike als Ursprung, gleichsam als Wiege, Mutter und Kind der Zukunft und überträgt – Kant und Descartes zitierend – dem Individuum die alleinige Eigen-Verantwortung seines Schicksals.

Weite Teile der Herrscher aus den Pools von Wirtschaft und Politik gefallen sich heute in der Rolle der Tranquilizer, die die breite Masse mit einer Melange aus Placebos, mit Brot und Spielen füttern und beschwichtigen, um von ihrer eigenen Ahnungslosigkeit und Entscheidungsallergie abzulenken.

Seit Menschengedenken bzw. seit der Ära des denkenden Menschen aufrechten Ganges orientierte sich die Gesellschaft Richtung Fortschritt und Entwicklung. Erkenntnis und Aufklärung bildete später die Richtschnur für ein Miteinander voller Respekt. Die derzeit raumgreifende Mutation des Zusammenlebens inklusive kollektiver Selbstaufgabe (Stichwort Automatisierung, selbstfahrende Autos ...) aber stellt eine künstliche (fremdbestimmende) Intelligenz an die Stelle des (autonom und selbstbestimmenden) Individuums.

Sofern man dies bis hin zur Selbstaufgabe zulässt. Aber wie meinte schon Hannah Arendt: "Keiner hat das Recht zu gehorchen."

Verantwortung für künftige Generation

Ogiermann erinnert in seiner historischen Rückschau an so manche menschliche Irrtümer: Telefon und Tonfilm würden sich nicht durchsetzen, Computer brauche es weltweit maximal fünf Stück, hieß es. Die Vergangenheit pflastert Prognosen, die falscher nicht sein könnten.

In der Antike vertraute man Propheten, die aus Eingeweiden von Tieren wahrsagten. Im Mittelalter prägte die furchtsame Erwartung der Apokalypse Religion, Politik und Alltag. In der Vogelschau reflektiert Ogiermann Perspektiven: Ohne Vergangenheit keine Gegenwart. Und ohne Gegenwart keine Zukunft.

Seit Jahrhunderten entwerfen vor allem Philosophen, Schriftsteller, Naturwissenschafter und Politiker künftige Welten. Der in Berlin lebende Autor hinterfragt kritisch, wie sich die Gesellschaft von morgen darstellt.

Vor kurzem beklagte Philosoph Richard David Precht die niveaulose Diskussionskultur hierzulande und die gleichermaßen erbärmliche wie respektlose Untertreibung globaler Probleme wie Klimawandel, Arbeitslosigkeit oder Digitalisierung.

Eigenverantwortung

Ogiermann interpretiert Technikoptimismus, Fortschrittsglaube, Aufklärung und Astrologie und führt klar, plausibel vor Augen, dass nicht alles, was irgendwann einmal wahrscheinlich, wünschenswert oder sogar unausweichlich erschien, auch Realität wird. Die Erkenntnis, dass wir heute nicht mit dem Hubschrauber zum Supermarkt fliegen, wäre für die Visionäre der Fünfzigerjahre eine herbe Enttäuschung.

Der Historiker, selbst Vater dreier Kinder, legt den Finger auch auf Wunden der Gesellschaft und verweist auf Eigenverantwortung. Heute gilt nicht mehr die Dualität von "Visionen oder Laissez-faire", auch nicht die Logik des "Immer mehr". Prophezeiungen à la Orwell, Huxley und H. G. Wells sind lange schon Realität. Selbsterwählte und oktroyierte Abhängigkeiten mittels Arbeitslosigkeit und Mindestsicherung im Kontext von Entertainment à la Running Man oder Hunger Games nicht zu verschweigen.

Der Überwachungsstaat schließt vielfach an die Selbstaufgabe der Oberhoheit des Privaten (Stichwort Facebook, Twitter & Co) an. Das Gottvertrauen des Menschen in das Gute könnte sich aus Sicht der KI als unterlegenes Subprogramm herausstellen. Diese Prognose aber gilt es zu konterkarieren.

Zweifel und Hoffnung

Die Französische Revolution lehrte uns, dass der Fortschritt der Freiheit in sein Gegenteil umschlägt, wenn man ihn im Namen der Notwendigkeit erzwingen will. Die Jahre zwischen den Weltkriegen kann man so deuten, dass es dem Fortschritt des Friedens zum Verhängnis werden kann, nicht an ihn zu glauben, und jeglicher Nationalismus lehrt, dass paranoider, apokalyptischer Wahn schneller in die Katastrophe führt als Fortschrittsglaube.

Welche Zukunft bleibt uns, wenn wir uns selbst den datenhungrigen Tech-Monstern ausliefern? In Bezug auf die Singularität rät Zukunftsforscher Jaron Lanier, sich von den sogenannten sozialen Medien fernzuhalten und das Facebook-Konto zu löschen, Fahrrad statt Auto zu fahren und weniger Fleisch zu essen; erinnernd an Hölderlin: "Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch."

Wie gesagt: Der Zweifel ist eine Hommage an die Hoffnung. Bleibt final nur noch einmal an Karl Valentin zu erinnern, der in Bezug auf die Zukunft meinte: "Hoffentlich wird es nicht so schlimm, wie es schon ist." (Gregor Auenhammer, 9.2.2019)