Wie soll Aufarbeitung gelingen, wenn sich die kirchlichen Täter ihrer Schuld nicht bewusst sind?

Foto: David Wallinger

Innsbruck – Die Grausamkeiten, die Kindern über Jahrzehnte in Martinsbühel angetan wurden, sind sattsam bekannt. Sie reichen von schwerem sexuellem Missbrauch über bestialische Misshandlungen bis hin zu systematischer Zwangsarbeit. Zuletzt sorgte ein STANDARD-Artikel im Dezember, in dem eines der einstigen Opfer von seinem Martyrium berichtet, für Aufsehen.

Die Empörung ob der wieder bekanntgemachten Vorwürfe und der bis heute nur schleppend verlaufenden Aufarbeitung derselben durch Kirche und Staat sorgte für einen Aufschrei in Tirol. Der war so laut, dass sich nun die Landesregierung wieder des Themas angenommen hat und diese Woche verkündete, zusammen mit Diözese und Benediktinerorden, der das Heim Martinsbühel betrieben hatte, eine Dreierkommission zur "historischen Aufarbeitung" eingerichtet zu haben. Die Leitung übernimmt die Psychotherapeutin Margret Aull.

"Ich weiß es nicht"

Warum man erneut die Kirche als Täterorganisation in diese Kommission lud, sorgte für Kritik. Dass diese berechtigt ist, zeigen nun STANDARD-Recherchen. Denn der Vertreter des Benediktinerordens ist Abt Korbinian Birnbacher vom Stift St. Peter aus Salzburg. Allerdings ist ihm selbst nicht ganz klar, warum. Angesprochen auf das Ziel der kommissionellen Arbeit, sagt er: "Ich weiß es nicht, ich wurde nur gefragt, dabei zu sein." Er mutmaßt, es gehe darum, dass den Opfern Gerechtigkeit widerfahre.

Im Gespräch macht der Abt aber keinen Hehl daraus, was er von den Vorwürfen der Opfer hält, die seit nunmehr zehn Jahren etwa durch die ausführlichen Arbeiten des Historikers Horst Schreiber von der Universität Innsbruck dokumentiert sind. Birnbacher spricht hinsichtlich der Gewalt, die den Kindern angetan wurde, von einem "gesamtgesellschaftlichen Problem". Die Kinder, die gequält wurden, seien dem Heim von staatlichen Institutionen zugewiesen worden: "Die Gesellschaft hat sich des Problems entsagt, und die armen Schwestern haben sich dessen angenommen."

"Scheinheilige Vorwürfe" gegen die Nonnen

Die der Taten bezichtigten Nonnen nimmt er in Schutz. Sie hätten "nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt". Man sei damals schließlich dankbar gewesen, dass sich die Schwestern dieser Aufgabe angenommen hätten. Und es seien ja nicht alle brutal gewesen, es habe auch positive Erfahrungen gegeben. Die Vorwürfe gegen die Nonnen nennt er sogar "scheinheilig", weil deren Handeln dem "damaligen Standard der Pädagogik" entsprochen hätte. Und über die "gesunde Watschen" sei er auch in seiner Kindheit in Bayern, der Abt ist Jahrgang 1967, noch ganz froh gewesen.

Das von Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP) für die Kommission ausgegebene Ziel einer "historischen Aufarbeitung" scheint angesichts des Standpunktes des Abtes zum Scheitern verurteilt. Denn Birnbacher zeigt sich daran wenig interessiert: "Wenn das alles seit zehn Jahren bekannt ist, warum wurde das nicht längst aufgearbeitet?" Er glaubt, dass die Thematik von den Medien wieder hochgespielt wurde und nun "Trittbrettfahrer versuchen, finanziell noch etwas herauszuholen".

Dabei hätten die Benediktinerinnen den Martinsbühel-Opfern bereits eine Million Euro bezahlt, behauptet der Abt, mit dem Nachsatz: "Irgendwann muss Schluss sein." Details zu diesem angeblichen Vergleich kann er nicht nennen: "Ich habe nur davon gehört." Tatsächlich meint er wohl die Zahlungen des Ordens an die Klasnic-Kommission, die die Ansprüche der Heimopfer aus kirchlichen Einrichtungen abwickelt.

Keine Antwort aus Salzburg

Dass auch diese Arbeit der Opferschutzkommission noch längst nicht getan ist, zeigt ein aktuelles Beispiel. Eine Frau, die in Martinsbühel Opfer der Benediktinerinnen wurde, wartet seit anderthalb Jahren auf ein Antwortschreiben der Diözese Salzburg, an die man sie von der Diözese in Innsbruck mit ihren Ansprüchen verwiesen hat. "Davon weiß ich nichts", sagt der Abt.

Landeshauptmann Platter, der das Thema nach der jüngsten Aufregung wieder zur Chefsache machte und die neue Dreierkommission medienwirksam einberief, war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen. Nur schriftlich teilt das Land Tirol mit, dass man sich "unmissverständlich erwartet, dass alle Beteiligten – auch der Benediktinerinnenorden – zu ihrer Verantwortung stehen".

Historiker Schreiber, der die Gräuel in Martinsbühel und anderen Heimen aufgearbeitet hat, aber 2010 wie auch Jurist Heinz Barta aus der Landeskommission geworfen wurde, nachdem sie höhere Entschädigungen für die Opfer empfohlen hatten, spricht ob der Aussagen des Abtes von "gelebter Verantwortungslosigkeit". (Steffen Arora, 6.2.2019)