Bild nicht mehr verfügbar.

Bei Krisenpflegeeltern finden Kinder in Not vorübergehend Sicherheit. Wenn sie aber weniger als 91 Tage in deren Obhut sind, fällt der Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld weg.

Foto: Getty Images

Wenn bei Frau M. das Telefon klingelt, verändert das mitunter das ganze Leben. Womöglich ihr eigenes, trotz aller Erfahrung. Jedenfalls aber das des kleinen Menschen, der ihr von der MA 11, der Wiener Kinder- und Jugendhilfe, für die kommenden Wochen zur Obhut gegeben wird.

Frau M. ist Krisenpflegemutter. Eine von rund 43 Frauen und Männern in Wien, die für Kinder in akuten Notsituationen da sind. In der Hauptstadt sind sie für deren Betreuung über den Verein Eltern für Kinder angestellt. Andere Bundesländer handhaben das anders, oft ist in dem von dieser Seite ausgezahlten Pflegekindergeld, das für Ausgaben wie Windeln, Nahrung oder Therapien gedacht ist, auch ein Betrag für die Betreuung inkludiert.

Aber auch wenn es in weiterer Folge viel ums Geld gehen wird, zunächst eine Andeutung dessen, was mit akuter Notsituation gemeint sein kann: Es geht um Kinder, die vernachlässigt wurden. Um Kinder, die misshandelt, missbraucht oder unzureichend ernährt wurden. Um Kinder, die aufgrund der Alkohol- oder Drogensucht der leiblichen Eltern bereits suchtkrank geboren werden. Was das für ihren Alltag bedeutet, beschreibt Frau M., die mit Rücksicht auf die Herkunftsfamilien der Kinder ihren vollen Namen nur der Redaktion nennt, so: "Wir bekommen Kinder mit einer Geschichte, die aufgrund dieser Geschichte ganz eigene Verhaltensweisen entwickelt haben." Der Dreijährige etwa, den die 56-Jährige derzeit aufgenommen hat, macht Tag wie Nacht kaum Pause beim Schreien.

91-Tage-Kriterium

Dass die Tätigkeit von Krisenpflegeeltern derzeit im Fokus der medialen Aufmerksamkeit steht, hat mit einem aktuellen Beschluss im Familienausschuss des Nationalrats zu tun (Details siehe Wissen, rechts). Das Ergebnis der Novelle kurz gefasst: Künftig haben Krisenpflegeeltern nur noch dann Anspruch auf die Auszahlung von Kinderbetreuungsgeld, wenn der junge Mensch, um den sie sich vorübergehend kümmern sollen, mindestens 91 Tage mit ihnen in einem Haushalt lebt. "Völlig willkürlich" sei dieser Zeitrahmen gewählt worden, wie Frau M. findet. Abgesehen von der Tatsache, dass es Kern der Aufgabenbeschreibung sei, den Zeitraum der Übergangsunterbringung "im Interesse des Kindes möglichst kurz zu halten". Sinn und Zweck: um den neuerlichen Beziehungsabbruch zu den Krisenpflegeeltern nicht noch schwerer zu machen. In der Praxis bedeutet das: Die Mehrheit der – österreichweit rund 200 – Krisenpflegeeltern erfüllt das 91-Tage-Kriterium nicht. Frau M. wundert sich, "wie man da von Gerechtigkeit und Fairness sprechen kann".

So jedenfalls argumentiert man im Ressort von Familienministerin Juliane Bogner-Strauß (ÖVP) die im Ausschuss beschlossene Novelle. Damit würden Krisenpflegeeltern "gleich behandelt wie alle anderen Eltern auch", heißt es. Wenn das die Absicht hinter der Reform gewesen wäre, hätte man die Betroffenen einfach in die Gruppe der Anspruchsberechtigten (für Juristen: §2 Kinderbetreuungsgeldgesetz) hineinnehmen müssen, sagen hingegen Menschen aus der Praxis. Im Herbst hatte Bogner-Strauß noch erklärt, dass Krisenpflegeeltern auch künftig Anspruch auf die Geldleistung haben sollen – "selbst wenn sie die Kinder nicht drei Monate haben".

Erlass mit Folgen

Zur Genese der Problematik: Das Ringen um die budgetär überschaubare Dotierung von Übergangseltern in Ausnahmesituationen fußt auf einer Änderung des Kinderbetreuungsgeldgesetzes im Jahr 2017. Die Umstellung auf das sogenannte Kinderbetreuungsgeldkonto samt der Möglichkeit, pauschales Kinderbetreuungsgeld für einen Zeitraum von mindestens 365 und höchstens 1063 Tagen zu beziehen, brachte auch für Krisenpflegeeltern eine Neuerung: Mindestens zwei Monate musste sich seither ein und dieselbe Betreuungsperson um ein Kind kümmern. Die Auslegung mancher Sozialversicherer: Um Kindergeld zu beziehen, sei – auch für Krisenpflegeeltern – eine Mindestbetreuungszeit von 61 Tagen vonnöten. Das hielt vor Gericht nicht. Dann kam der Sommer 2018 und mit ihm ein Erlass des Familienministeriums an die Sozialversicherungsträger, fortan kein Kinderbetreuungsgeld mehr an Krisenpflegeeltern auszuzahlen. Diesmal stützte man sich auf ein Urteil des Obersten Gerichtshofs von 2011. Über die Anspruchsberechtigung hatte der OGH damals jedoch gar nicht beschieden. Es ging darum, ob Pflegeeltern in Zivilrechtsverfahren eine Parteistellung einnehmen können – haben sie nicht, erklärten die Höchstrichter.

Für Frau M. bedeutete der Erlass eine Zeit des Wartens. Seit Juni 2018 habe sie keinen Bescheid der Wiener Gebietskrankenkasse erhalten, sagt sie. Sie nimmt aber an, "dass das jetzt, nach Beschluss der Novelle, ziemlich bald ablehnend beschieden wird". Denn die jetzigen Änderungen sollen rückwirkend in Kraft treten – mit 1. Juli 2018. Damit wird ein rechtliches Vorgehen gegen die Regelung quasi verunmöglicht.

Zum Schluss noch ein paar Zahlen: Derzeit würde Frau M. zusätzlich zu ihrem geringen Gehalt 14 Euro pro Tag Kinderbetreuungsgeld erhalten. Wer sich um später Geborene kümmert, sollte mit 33 Euro pro Tag rechnen können. Hinzu kommt die Familienbeihilfe – 114 Euro – plus Aufwandsentschädigung vom Heimatbundesland. (Karin Riss, 7.2.2019)