Der Architekt Vincent Callebaut entwirft futuristische Gebäude, die rundum ökologisch sind. Eine österreichische Expertin plädiert indes für nachhaltige Sanierungen im Bestand.

Foto: Vincent Callebaut

Archaisch betrachtet sind Gebäude dazu da, die Menschen vor äußeren Einflüssen zu schützen. Im 21. Jahrhundert ist es mit dieser Anforderung allein aber nicht getan. Vor allem in Hinblick auf den Klimaschutz müssen Gebäude "smart" sein. Der Begriff, der – egal ob es um Städte, Technologie oder Gebäude geht – fast inflationär verwendet wird, hat viele Bedeutungen.

Wie ein smartes Gebäude konkret aussieht, weiß Doris Österreicher, Expertin für Smart Buildings am Institut für Raumplanung an der Boku. "Wir müssen möglichst ressourceneffizient, gesund, leistbar und komfortabel bauen. Gebäude sollten eine hohe Lebensqualität bieten und in der Nutzung einfach sein", so Österreicher unlängst bei einem Vortrag anlässlich der Abschiedsvorlesung des Architekten Martin Treberspurg an der Boku. Außerdem müsse ein Gebäude auch schön sein: "Es braucht gute Architektur, die man auch gerne ansieht."

Zwei Schrauben

Auch wenn die Optik eine große Rolle spielt, beschäftigt man sich an der Boku insbesondere damit, was der Gebäudesektor zum Erreichen der Klimaziele beitragen kann. "Es sind zwei Schrauben, an denen gedreht werden muss", sagt Österreicher. Einerseits ist es die effiziente und nachhaltige Nutzung von Energie in Gebäuden. "Niedrigenergie ist heute Standard und keine Rocket-Science mehr", so die Expertin. Es gehe darum, ein Gebäude dahingehend zu programmieren, was wann und wo gebraucht wird. Die Energie wird nur dann zur Verfügung gestellt, wenn sie benötigt wird. Das kann mit sogenannten Smart Materials gelingen. Das sind etwa mittels Sensoren selbstlernende Systeme, die darauf reagieren, was im und am Gebäude passiert.

Andererseits zählt, wo die Energie herkommt. "Wir brauchen immer mehr Kälte, Wärme und Strom – das müssen wir aus erneuerbaren Quellen herstellen und die Gebäude von fossiler Energie und CO2-Emissionen entkoppeln." Dazu gehört, dass erneuerbare Energien nicht im Nachhinein aufgesetzt, sondern schon als Teil des Niedrig- oder Plusenergiegebäudes geplant werden.

Speicherleistung nutzen

Dieses Plus kann etwa für das Aufladen eines Elektroautos verwendet werden. "Wir können Gebäude nutzen, um Lastspitzen abzufedern, etwa durch Vorkühlen oder -wärmen. Gebäude haben extrem viel Speicherleistung, allein durch ihre thermische Masse. Das zu nutzen spart Batterien oder den Bau von Pumpspeicherkraftwerken", erklärt Österreicher eine Zukunftsidee. Gebäude seien Verbraucher, Erzeuger und Energiespeicher zur selben Zeit.

Aber nicht nur in der Energieversorgung, auch bei der Verwendung von Baumaterialien wird an die Zukunft gedacht. Nachhaltig ist, wer beim Bau nicht nur über Errichtung und Betrieb nachdenkt, sondern sich auch überlegt, "wie ein Gebäude in 50 oder 100 Jahren entsorgt werden kann", so Österreicher.

Neben dem Klimawandel sind auch Kommunikations- und Informationstechnologien sowie die Sharing Economy Treiber im Bausektor, die die Branche vor große Herausforderungen stellen. Letztere wirkt sich auch darauf aus, wie Architektur und Stadtplanung gedacht werden. In Gebäuden steigt die Bereitschaft zu teilen, etwa die Nutzung von Gemeinschaftsräumen.

Innovation an Schnittstellen

Zudem hat nicht jeder Stadtbewohner ein eigenes Auto, Parkplätze und Straßen könnten weniger werden. Gleichzeitig beeinflussen Gebäude wiederum das Mobilitätsverhalten. Was in Zukunft eine große Rolle spielen muss, ist die Interaktion der verschiedenen Disziplinen – Mobilität, Raumplanung, Bauwirtschaft. "Innovationen entstehen nicht in einem abgegrenzten Gebiet, sondern an Schnittstellen. Architekten müssen sich mit dem Quartier und der ganzen Stadt auseinandersetzen", sagt Österreicher. So kann schon vor der Planung Ausschau danach gehalten werden, ob ein Gebäude im Umfeld Abwärme produziert, die für den eigenen Bau genutzt werden kann. "Damit wird das Gesamtsystem optimiert, das ist eine Smart City", so Österreicher.

Wien als smarte Stadt funktioniere deshalb, weil es eine gute Vision gebe, so die Expertin, an deren Umsetzung viele Menschen mitarbeiten. Und vor allem: "Die große Herausforderung ist der Bestand. Auf der grünen Wiese kann jeder etwas Smartes bauen, das ist keine Kunst", sagt Österreicher und meint damit Projekte wie etwa Masdar City in Abu Dhabi, eine vom Architekten Norman Foster geplante Ökostadt, die vollständig durch erneuerbare Energien versorgt werden soll. Das Projekt ist aktuell zu zehn Prozent fertiggestellt. Ganz ähnlich sind die Projekte des belgisch-französischen Architekten Vincent Callebaut, der futuristische Gebäude entwirft, die etwa vor großen Städten im Meer schwimmen oder Wolkenkratzer, die nicht nur Wohn- und Arbeitsraum für einige Tausend Menschen bieten, sondern auch übereinandergestapelte Felder für Viehzucht und Ackerbau.

Mehr Sanierungen

Österreicher gibt zu bedenken: "Wer soll dort wohnen? Es werden nur ein paar wenige sein, die es sich leisten können. Wollen wir wirklich in neuen, nachhaltigen Städten vor den Toren der alten wohnen, weil uns die Sanierung zu aufwendig ist?" Sie fordert eine stärkere Fokussierung auf Sanierungen. 80 Prozent der Wohngebäude in Wien sind sanierungsbedürftig. "Die Sanierungsrate liegt bei unter einem Prozent, das ist viel zu wenig, um die Klimaziele zu erreichen", so die Expertin. Und damit geht es schlussendlich wieder um die ganz ureigene Aufgabe von Gebäuden: den Schutz vor Umwelteinflüssen. Dass er notwendig ist, zeigt uns die Natur in jüngster Zeit immer öfter. Mit den richtigen Strategien können auch Gebäude dem entgegenwirken. Das sagt auch Martin Treberspurg und fordert Maßnahmen von der Politik: "Wir müssen die Zeit jetzt intensiv nutzen. Die nächsten zehn Jahre werden hier entscheidend sein, um den Herausforderungen des Klimawandels zu begegnen." (Bernadette Redl, 12.2.2019)