Es kommt nicht oft vor, dass ein Theaterdichter die Besetzung seines Stücks im Titel festlegt. Thomas Bernhard tat es in "Ritter, Dene, Voss" für Ilse Ritter, Kirsten Dene und Gert Voss (von rechts). Bearbeitung: STANDARD

Foto: Oliver Herrmann

Ilse Ritter steht derzeit als Elfriede Jelinek auf der Bühne – in deren Stück Am Königsweg am Schauspielhaus Hamburg, in einer furiosen, sich selbst stets infrage stellenden Dichterinnen-Rolle. In Österreich ist Ilse Ritter mit der Ära Claus Peymann am Burgtheater verknüpft. Vor allem mit dem Geschwisterdrama Ritter, Dene, Voss, das Thomas Bernhard damals (1986) den drei namentlich im Titel genannten Schauspielern zueignete.

Die Eleganz und die Beharrlichkeit, die Ilse Ritter damals als kühle Schwester eines widerwillig aus der Psychiatrie entlassenden Bruders spüren ließ, waren umwerfend. Heute, 30 Jahre nach Bernhards Tod, haben wir bei Ilse Ritter nachgefragt, wie es überhaupt zu dieser einmaligen Autor-Schauspieler-Beziehung gekommen ist.

STANDARD: Sie haben Thomas Bernhard vor der Premiere von "Ritter, Dene, Voss" gar nicht kennengelernt. Stimmt das?

Ritter: Ja. Wir haben einander das allererste Mal beim Applaus im Akademietheater in die Augen geschaut. Da flüsterte er mir zu: "Das ist jetzt unsere Premiere."

STANDARD: Er hatte Sie also auch nicht gefragt, ob Sie einverstanden sind, in seinem Stück zu spielen?

Ritter: Nein! Aber da sagt doch kein Schauspieler auf der Welt Nein! Ich hätte nie im Leben Nein gesagt. Sondern immer nur: Juhu!

STANDARD: Aber man ist dann doch zusammengespannt mit zwei anderen Kollegen.

Ritter: Ja, aber das ist man ja immer. Es war schon so, dass Bernhard in Salzburg zu den Proben gekommen ist. Aber der Peymann hat ihn dann immer gleich so am Arm genommen und ist mit ihm allein essen gegangen. Er wollte ihn von uns abschirmen. Vielleicht aus der Furcht heraus, dass Bernhard zu sehr auf uns Schauspieler einwirken könnte.

STANDARD: Bernhard wollte also schon sehen, was mit seinem Text auf der Bühne passiert?

Ritter: Ich weiß, dass er oft in die laufenden Vorstellungen am Akademietheater hineingegangen ist. Heimlich! Er sagte der Platzan weiserin, sie möge stillschweigen. Und dann ist er mit hochroten Ohren wieder hinausgegangen und schnell verschwunden. Das finde ich so bezaubernd, einfach zu gucken, ja, was machen denn meine Kinder wieder.

STANDARD: Man sagt, Bernhard war sehr scheu.

Ritter: Ja, das war er. Einmal hatten wir aber die Freude, uns zu treffen. Da war er in der Intendanz des Burgtheaters. Ich bin sofort rübergeflitzt, und da war er dann gar nicht scheu. Wir haben uns umarmt und lachend mit "Mein Autor!" und "Meine Schauspielerin!" begrüßt. Da hatte ich ihm aber zuvor schon einen Brief geschrieben und mich bedankt.

STANDARD: Bernhard hat Sie ausgewählt, Ihnen aber nie gesagt, was er an Ihrer Kunst so schätzt. Man denkt doch ...

Ritter: ... dass man zunächst einmal gemeinsam Kaffee trinken geht (lacht). Ja, aber so war es nicht. Ich weiß aber, dass Bernhard sich zuvor Aufführungen in Bochum und Köln angesehen hatte. Ich habe damals in Am Ziel von Luc Bondy gespielt. Bernhard war von mir inspiriert und mochte mich.

STANDARD: Er hat es Ihnen aber nie gesagt?

Ritter: Nein. Aber im Buch selber hat er es vermerkt. Das war sehr süß. Auch Bernhards Bruder Peter Fabjan hat mir in einem Brief Bernhards Bewunderung mitgeteilt. Mir persönlich hat er es aber nie gesagt. Ich nehme es ihm überhaupt nicht übel. Es gibt eine Scham, wenn man jemandem etwas Schönes sagen möchte.

STANDARD: Sie haben "Ritter, Dene, Voss" sehr lange gespielt. Nie überdrüssig geworden?

Ritter: Gar nicht. Es war kurios. Wir haben es zehn Jahre am Burgtheater gespielt, dann gab es eine lange Pause. Und 2004 haben wir es am Berliner Ensemble wieder aufgenommen: 18 Jahre nach der Uraufführung, im gleichen Kleid! Es war, wie eine Platte nochmals aufzulegen, aber wir waren deutlich älter geworden, das hat das Stück neu aufgeladen. Es war dann existenzieller, weil "naturgemäß" auch wir in der Zwischenzeit viel erlebt hatten.

STANDARD: Es gibt so viele erinnerungswürdige Worte darin, "Katafalkismus" zum Beispiel.

Ritter: Oh ja, der Katafalkismus! Oder auch der "Kunstkrater", aus dem es nur herausstinkt, "sonst nichts, sonst nichts"!

Ilse Ritter als Elfriede Jelinek in deren Stück "Am Königsweg" am Schauspielhaus Hamburg.
Foto: Aleksandar Mijatovic

STANDARD: "Ritter, Dene, Voss" wurde später mit anderen Schauspielern neu inszeniert. Konnten Sie die Rolle von sich ablösen und sie als Figur aus der Wittgenstein-Familie betrachten, als die sie ja auch intendiert war?

Ritter: Ich hab’ dann schon kapiert, dass alle drei für sich wunderbare Theaterfiguren abgeben, die auch von anderen Schauspielern gespielt werden können. Es ist ja in Paris, Brüssel, Oslo nachgespielt worden.

STANDARD: Am Schauspielhaus Hamburg tritt "Ritter" nun wieder auf. Aus drei Bernhard-Texten wird ein neues Stück destilliert: "Die Übriggebliebenen".

Ritter: Ja, ich habe schon angeboten, als Dienstmädchen vorbeizuschneien. Oder noch besser: Ich könnte als Frau Doktor Frege (aus "Ritter, Dene, Voss", Anm.) einen Hausbesuch abstatten. Und wenn ich dann das Haus verlasse, stürzt alles ein! (lacht)

STANDARD: Das wäre auch geschlechterpolitisch ein Statement.

Ritter: Genau, wobei Bernhard auch starke Frauenrollen geschrieben hat, etwa in Am Ziel, das ist doch ein regelrechtes Muttertier, der absolute Killer! Zudem sind auch seine unterdrückten Figuren unheimlich kraftvoll. Das Zeigen einer Unterdrückung ist von Bernhard ja gewollt, das ist ja durchaus politisch zu sehen.

STANDARD: Gert Voss lebt nicht mehr, aber hätten Sie noch einmal Lust auf "Ritter, Dene, Voss"?

Ritter: Ja, das hätte ich schon. Es würde heute natürlich etwas anderes erzählen. (Margarete Affenzeller, 9.2. 2019)