Aus der Liebe wurde Abneigung: Die politische Beziehung zwischen Luigi Di Maio und Matteo Salvini inspiriert Graffiti-Künstler in Rom (oben) ebenso wie in Mailand.

Der Streit zwischen der weitgehend ideologiefreien Fünf-Sterne-Bewegung und ihrem rechtspopulistischen Koalitionspartner Lega ist längst zum erbitterten Glaubenskrieg geworden – entsprechend derb ist dessen Ton. "In Italien müssen Dinge gemacht und nicht blockiert werden", erklärte Innenminister und Vizepremier Matteo Salvini von der Lega unlängst bei einem Besuch einer Bahn-Baustelle. "Salvini will den Tunnel?", fragte Alessandro Di Battista, ein prominenter Wortführer der Fünf Sterne, und konterte: "Der soll aufhören, uns auf den Sack zu gehen – oder er kann zu (Silvio) Berlusconi zurückkehren." Wohlgemerkt, das war eine Empfehlung für einen Regierungspartner.

Anlass für den Streit ist der geplante Bahntunnel zwischen dem französischen Saint-Jean-de-Maurienne und dem italienischen Susa durch die Cottischen Alpen. Er bildet das Herzstück der 270 Kilometer langen zukünftigen Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen Lyon und Turin – und diese ist wiederum Teil des EU-Güterkorridors Lissabon-Kiew. Der geplante Tunnel besteht aus zwei Röhren von jeweils 57 Kilometer Länge; die Baukosten werden auf 8,6 Milliarden Euro beziffert, wovon Italien 35 Prozent, Frankreich 25 Prozent und die EU den Rest übernehmen soll. Geregelt ist der Bau durch einen internationalen Vertrag aus dem Jahr 2011.

"Wer will denn schon nach Lyon?"

Für die seinerzeit vom TV-Komiker Beppe Grillo gegründete Fünf-Sterne-Beweggung ist der Basistunnel schlichtweg überflüssig. "Wer will denn schon nach Lyon?", ätzte jüngst Verkehrsminister Danilo Toninelli. Man könnte antworten: ein paar Hunderttausend Lkws jährlich, die dank des Tunnels auf der Schiene statt auf der Straße rollen würden. Doch Toninelli hat die Baukredite schon vor Monaten blockiert – obwohl auf der französischen Seite bereits sechs Kilometer des Basistunnels gebaut sind. Hinzu kommen 65 Kilometer Sondierstollen sowie 24 Kilometer Zugangsstollen auf beiden Seiten.

Für die Lega hingegen ist der Tunnel "unverzichtbar", wie Parteichef Salvini betont. Die Wähler der Lega sind gegenüber staatlichen Infrastrukturprojekten sehr viel aufgeschlossener als die oft ökologieaffinen Wähler von Grillos Protestbewegung; viele Unterstützer Salvinis sind Unternehmer und würden direkt oder indirekt von einer schnelleren Anbindung an Frankreich profitieren.

Die politische Situation ist ebenso blockiert wie die Bauarbeiten. Sowohl in Paris als auch in Brüssel neigt sich nun die Geduld ihrem Ende zu: Frankreich hat schon mit Schadenersatzforderungen gedroht, die EU hingegen mit der möglichen Umschichtung bereits bewilligter Euro-Milliarden in andere Projekte – und zwar fernab von Italien. Mit anderen Worten: Den Tunnel nicht zu bauen könnte teurer werden, als ihn fertigzustellen.

Studie unter Verschluss gehalten

Um Zeit zu gewinnen, hat Toninelli eine Kosten-Nutzen-Analyse in Auftrag gegeben – dabei liegen schon dutzende Studien zu dem Basistunnel vor. Die Expertengruppe, welche die neue Analyse verfasste, bestand fast nur aus Gegnern der Hochgeschwindigkeitsstrecke, und so erstaunt es kaum, dass sich der Tunnel plötzlich nicht mehr rentieren soll. Das Papier ist zwar nach wie vor unter Verschluss, wurde aber inzwischen nach Paris und Brüssel geschickt.

Koalitionspartner Salvini – direktes Gegenüber des Politikchefs der Fünf Sterne, Luigi Di Maio, auch dieser im Rang eines Vizepremiers – hat die Studie noch nicht zu Gesicht bekommen und findet Di Maios Vorgehen nur noch "bizarr".

Beide, Di Maio und Salvini, haben sich in der Tunnelfrage mittlerweile dermaßen verrannt, dass sie aus der Geschichte kaum noch ohne Gesichtsverlust herauskönnen. Vor allem für Di Maio würde ein Nachgeben einem politischen Selbstmord gleichkommen: Er hat schon andere Großprojekte abgenickt, die die "Grillini" in der Wahlkampagne 2018 massiv bekämpft hatten – ja sie hatten sogar versprochen, dass sie niemals realisiert würden, würde man erst einmal an die Macht kommen.

Munter spekulieren die italienischen Medien bereits über einen Sturz der Regierung und über mögliche Neuwahlen. Das mag alles verfrüht sein – aber eines steht fest: Weder für Di Maio noch für Salvini ist ein Licht am Ende des Tunnels zu sehen. (Dominik Straub aus Rom, 8.2.2019)