Stressgefühle können auch in gesunde Energie verwandelt werden, dadurch kann Leistungsfähigkeit, Konzentration, Kreativität und Lebensfreude gestärkt werden.

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Stress ist zunächst eine gesunde körperliche Reaktion, die bei Gefahr unser Überleben sichert. Dafür nutzt der Körper urzeitliche Strategien: Kampf, Flucht oder Erstarrung. Bedroht uns ein heranfahrender Laster, springen wir zur Seite. In unseren Breiten befinden wir uns jedoch selten in Lebensgefahr. Eigentlich müssten wir also kaum Stress haben, oder? Das Gegenteil ist der Fall: Wir leiden immer häufiger unter Stress. Es ist emotionaler Stress, den die Evolution vielleicht gar nicht vorgesehen hat? Denn der Stress-Modus kann nicht zwischen emotionaler Bedrohung durch ein Streitgespräch und existenzieller Bedrohung durch einen Laster unterscheiden. Er erhält den gleichen Impuls: dass unser Leben in Gefahr ist. Die neuzeitlichen Stress-Situationen lassen sich nicht mit dem Angriff-Flucht-Starre-Trio lösen. Jagd ein Meeting das andere, können Mitarbeiter nicht ihren Chef anschreien, weglaufen oder unterm Schreibtisch erstarren.

Doch es gibt Alternativen, der Stress-Spirale zu entkommen: Humor ist der kürzeste Weg zur Stresslösung. Kinder lachen etwa 400-mal am Tag. Erwachsene nur noch 15-mal. Dabei kichern Kinder auch in Situationen, die Erwachsenen völlig normal erscheinen. Davon können wir uns eine Scheibe abschneiden. Humor entsteht, wenn man die Perspektive wechselt, die Wahrnehmung verändert. Bei ganz absurden und scheinbar unbezwingbaren Herausforderungen gibt es den Spruch: "Ich weiß nicht, ob ich lachen oder weinen soll." Lachen ist die bessere Entscheidung. Humor schaut aus dem Blickwinkel, aus dem das Ereignis kleiner, lächerlich groß oder komisch wird. Das schafft Distanz zum Problem. Humor ist damit der kürzeste Weg zur Stresslösung.

Sich selbst beruhigen

Obwohl Eigenlob angeblich "stinkt", empfiehlt es sich, morgens ein paar konstruktive Gedanken zu "frühstücken". Ehrliche Komplimente tun jedem gut, auch für sich selbst. Sie tauen das emotionale System aus seinen Verkrampfungen auf. Hat es im Leben nicht schon reichlich Kritik, Ablehnung, Verurteilung schlucken müssen? Ebenso kann ein Erfolgstagebuch unterstützen. Wer laufend notiert, was er im Leben erreicht hat, hält ein wahres Booster-Paket in den Händen. Bei jedem Durchblättern richtet es auf und vermittelt ein Gefühl von Selbstwirksamkeit.

Auch Vertrauen und Selbstvertrauen lassen den Stresspegel sinken. Von Abraham Lincoln soll die Aussage stammen: "Lieber vertraue ich jedem und werde manchmal enttäuscht, als dass ich jedem misstraue." Lincoln hat mit dieser Taktik dem unlösbaren Stress-Erleben bei Ärger über das Verhalten anderer jede Menge Wind aus den Segeln genommen. Wer jedem misstraut, befindet sich permanent in "Hab-Acht-Haltung", die schnell in eine Stresswelle münden kann. Statt also im Büro eine Aufgabe nur "halb" zu delegieren und den Prozess doch heimlich von A bis Z zu bewachen, sollten Manager lieber den Kollegen vertrauen und die Verantwortung bei ihnen lassen. Dabei ist Vertrauen nicht als Blindflug, sondern als achtsame Gelassenheit gemeint. Wer sich erwischt, in die Misstrauensfalle zu tappen, kann folgenden Gedanken wie ein Mantra aktivieren: "Ich vertraue dem Wohlwollen in meinem Leben." Das auszusprechen, zu denken und zu fühlen beruhigt. Bewusst vertrauen bedeutet auch, von der reflexartigen Gewohnheit des Schwarzsehens zu lassen.

Das emotional stressauslösende Problem ist immer wieder: Widerstand. Steht eine anstrengende Geschäftsreise an, bekommen Mitarbeiter eine heikle Aufgabe oder nähert sich ein unangenehmer privater Termin, ist die erste unbewusste Reaktion oft: "Ich will das nicht!" Das Abgelehnte mutiert zur Bedrohung, vor der es sich unweigerlich zu schützen gilt.

Wer auf Widerstand verzichtet, entspannt den Körper. Wer die Situation erst einmal annimmt, dessen Kopf bleibt klar für die kompetente Lösung – vielleicht sogar für neue Ideen. Emotionale Wellen bremsen ihn nicht aus. Das kann auch mal bedeuten, auf Distanz zu gehen, sich aus belastenden Gesprächen zurückzuziehen, Inspirierendes statt Negatives zu lesen oder sich und andere so zu lassen, wie sie sind. Manchmal ist es klüger, nicht auf seinem Recht zu behaaren oder Fehler nicht negativ, sondern als Chancen zu interpretieren. Die Kunst ist, destruktive Gedanken ungenutzt weiterziehen zu lassen. Angeblich haben 95 Prozent unserer Sorgen weder Hand noch Fuß.

Ähnlich stressreduzierend ist die Achtsamkeit. Dabei konzentriert man sich auf das, was man gerade tut, fühlt und wahrnimmt – ohne es zu kommentieren. Ganz präsent zu sein, benötigt so viel Speicherplatz im Gehirn, dass für Stress-Erleben kein Platz mehr bleibt.

Rasche Hilfe

Zum Glück gibt es zahlreiche Tools, sich selbst zu beruhigen: Atem- und Motorikübungen, auf Körpersignale achten, Achtsamkeit, positive Schlüsselgedanken, emotionale Botschaften verstehen, Wahrnehmung verändern, Situationen neu einordnen, destruktive Gewohnheiten umparken.

Zum Abschluss noch einige Quick-Tipps: Wer in Stress gerät, zieht angespannt die Schultern hoch und neigt zum Hyperventilieren. Beruhigend dagegen ist: Bevor man reagiert, einige Male tief ausatmen, Schultern bewusst fallen lassen. Bei Stress schüttet der Körper Kortisol aus. Das macht Sinn – doch Dauer-Kortisol belastet die Gesundheit. Wer sich beim Gefühl der Überlastung eine Weile vorstellt, dass die aktuellen Aufgaben bereits gelöst sind, dessen Bedrohungsimpuls sinkt. Es wird weniger Kortisol ausgeschüttet, und das Nervensystem kann sich entspannen, der Kopf wird klarer. Zwischendurch kann man sich weitere kurze "Entspannungsinseln" gönnen: Augen schließen, einige Male beim Ausatmen Anspannung auspusten und beim Einatmen sich vorstellen, Ruhe aufzunehmen. (Michaele Kundermann, 13.2.2019)