"Ich will nicht die nächsten 20 Jahre ein blonder Hansl sein, nur weil die Markenlogik das diktiert": Bilderbuch-Sänger Maurice Ernst.

Foto: Hendrik Schneider

STANDARD: Konsum spielte bei Bilderbuch bisher eine große Rolle. Warum hat sich das geändert?

Ernst: Es ging bei uns nie um eine reine Verherrlichung von Konsum. Klar, am Anfang der Bandgeschichte hat man wie im Hip-Hop-Traum auf Luxus geschielt und Waren hochstilisiert. Mit Mea Culpa war das Thema für mich abgefrühstückt. "Objekt, Objekt, Marke" machen jetzt andere so ausgeprägt, dass es mich nicht mehr reizt. Trotzdem singt man von einem iPhone X oder einem Peugeot, das ist ja logisch. Für mich sind das Wörter, die in den Duden gehören.

STANDARD: Ist Bilderbuch nicht selbst schon eine Marke?

Ernst: Nein. Dass ich mir zum Beispiel die Haare nicht mehr blond, sondern schwarz färbe, würde einer Markenlogik zuwiderlaufen. Ich will aber nicht die nächsten 20 Jahre ein blonder Hansl sein, nur weil mir die Markenlogik das diktiert.

STANDARD: Bei den aktuellen Platten kann man nicht mehr so leicht mitsingen. Verspielt man da die Wiedererkennbarkeit?

Ernst: Die reine Wiederholung kann nicht der Weg sein. Wir sind keine Mottoband wie Rammstein. Rammstein, Falco und Wanda haben mehr gemeinsam, als man glaubt, weil sie ein Stereotyp verkaufen und die Leute gern Klischees konsumieren. Kraftwerk ebenso – im positivsten Sinne. Wir haben nie ein Klischee von Österreich verkauft, wir wollten nicht die Mozart-Geschichte oder die Beisl-Geschichte verkaufen. Uns geht es darum, moderne, zeitgemäße Musik zu machen.

STANDARD: Sehen Sie sich als Teil einer Generation?

Ernst: Ja, natürlich. Bilderbuch war aber nie "Sound of a Generation", das muss man unterscheiden. Cro, Rin, Yung Hurn, Casper – das ist ein "Sound of a Generation", mit dem du der Generation auch etwas schuldig bist. Es gab diesen einen Moment bei Bob Dylan – nicht, dass ich groß Fan wäre -, als er sich den Hippies entzogen hat. Er wollte einfach nicht mit dieser Generation untergehen. Dieselbe Entscheidung haben wir auch getroffen. Dennoch muss jede Platte ein Kommentar zum Jetzt sein, sonst ist sie komplett irrelevant.

STANDARD: Bei "Vernissage My Heart" können einem Assoziationen mit den Red Hot Chili Peppers kommen.

Ernst: Schon geil, oder? Vernissage My Heart ist ein Aufbruch ins Instrumentale. Wir wollten wieder mehr echte Gitarren, ein Drumset, das allein dasteht. Diese Heimkehr zum Proberaum nach dem Exkurs des Laptopaufklappens.

STANDARD: Das Thema Zukunft spielt in Ihrem aktuellen Schaffen eine große Rolle, gleichzeitig war Bilderbuch immer retro. Was können Sie denn mit diesem Begriff anfangen?

Ernst: In unserer Sprache gibt es Retroelemente. "Wermut" oder "Mea Culpa", sagt ja heute keiner. Das darf man als Stilmittel begreifen, das Unzeitgemäßes in die Gegenwart setzt – ohne dass es gleich nach Mittelalter klingt. Deswegen ist Retro – wenn es um keine konkrete Zeit geht – okay. Wir machen nicht 60ies-Rock, auch nicht 70ies-Funk und nicht 80ies-Pop. Heute kann man sich frei durch die Zeiten zitieren, und diese riesige Collage feiern wir.

STANDARD: Die Red Hot Chili Peppers haben einmal mit Erwin Wurm gearbeitet ...

Ernst: ... ich war tatsächlich einmal mit ihm essen, weil ich eine Idee hatte, die Kunst wieder an den Körper zu bringen. Wir haben ja Objekte, Instrumente, in der Hand. Vielleicht hat man dann eine Fettgitarre in der Hand ... der Popkünstler und die Popband – das war die Idee.

STANDARD: Sie haben nie mit anderen Musikern zusammengearbeitet. Ist das einem gewissen Purismus geschuldet?

Ernst: Thema war das schon. Bei Yung Hurns Diamant hätte ich die zweite Strophe machen sollen. Es gab dann zu wenig Kommunikation. Wie auch immer. Aber ja, das mit dem Purismus stimmt. Kollaborationen sind ja oft keine kreative Entscheidung. Travis Scott tritt beim Super Bowl mit dem verkackten Adam Levine auf und geniert sich keine Sekunde, denn Showbusiness ist Showbusiness. Das können sie, die Amis. Das wäre, als würden wir auf einer Helene-Fischer-Nummer mittun.

STANDARD: Wenn Sie über Ihre Band sprechen, hört man nie den Hauch eines Zweifels. Haben Sie nie eine schlechte Entscheidung getroffen?

Ernst: Sicher zweifeln wir, aber was hat Reue in einem nicht abgeschlossenen Prozess zu suchen? Wir sind nicht fertig, wir können die Entscheidungen ja noch gar nicht beurteilen.

STANDARD: "Mea Culpa" und "Vernissage My Heart" erscheinen kurz hintereinander. Wie funktioniert das mit dem Geldverdienen?

Ernst: Schlecht. In Wahrheit zielt man mit Pfeil und Bogen auf sein eigenes Businesskonzept, das darin besteht, den Verkauf voll abzuschöpfen. Jedes Vinyl, das ein Fan heute kauft, spüren wir mehr denn je. Der Reiz am Tun und am Veröffentlichen ist aber stärker.

STANDARD: In einem Stück auf Ihrem kommenden Album, "Europa 22", zeichnen Sie ein Bild von Europa als Ort persönlicher Freiheit. Ist das nicht sehr vereinfachend?

Ernst: Unglaublich vereinfachend! Die Komplexität der europäischen Idee kann man auch nicht in einem Song beschreiben. Der wäre prätentiös, weil er genau ist, oder er würde unangenehm werden, weil er erklärerisch ist. Freiheit und Hoffnung, darum geht es.

STANDARD: Erwarten sich Menschen nicht ein konkreteres politische Statement von einer Band wie Bilderbuch?

Ernst: Das ist aber ein Blödsinn. Ein Song muss nicht so konkret sein wie ein Facebook-Post. Als Musiker muss man den Song so hinsetzen, dass er erhaben bleibt. Europa 22 ist politisch. Unsere Funktion ist es nicht, jede Woche Petitionen, die wir gut finden, an die Leute zu bringen. Unsere Funktion ist es nicht, das bisschen Reichweite, das wir haben, dazu zu nutzen, unseren Fans, die zu 80 Prozent eh denken, was wir denken, etwas vorzukauen. Ich bin sehr empfindlich, wenn man sagt, bei Bilderbuch ist alles Dada und Gaga. Das ist es nicht. Es gibt Momente, die Dada sind, aber das große Ganze ist mehr. (Amira Ben Saoud, 11.2.2019)