Frank Tuitt fordert einen Wandel im Bildungssystem.

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Mehr als 70 Projekte hat man bisher zusammengetragen. Mit einem will man selbst als Vorbild für inklusives Lernen dienen: dem Uni-Club. Hier treffen Lehramtsstudierende auf Teenager mit Fluchterfahrungen, erklärt Karoline Iber, Gründerin des Kinderbüros an der Universität Wien, bei dem das Projekt angesiedelt ist.

Ziel des Uni-Clubs ist es, den jungen Menschen ihren Wunsch nach einer universitären Ausbildung zu ermöglichen. "Diese Jugendlichen sind nicht nur aufgrund ihrer Fluchtgeschichte benachteiligt", sagt Iber, die an der Uni Wien auch für Change- und Innovationsprojekte zuständig ist, "zusätzlich bekommen sie in unserem selektiven Schulsystem wenig Chancen".

Schulleistungen sind hierzulande stärker vom sozioökonomischen Hintergrund abhängig.
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Zur besseren Einordnung einige Zahlen aus der OECD-Erhebung "Chancengleichheit in der Bildung", Stand Oktober 2018: Demnach sind in Österreich Bildungschancen noch ungleicher verteilt als in den meisten anderen Industriestaaten. Schulleistungen seien stärker vom sozioökonomischen Hintergrund abhängig als im OECD-Schnitt, Kinder aus bildungsfernen Schichten erreichen hierzulande noch seltener einen Hochschulabschluss.

Zur Entfaltung bringen

Auch deshalb hat man vor kurzem Frank Tuitt nach Wien eingeladen. Der Professor für "inclusive excellence" an der University of Denver hat es sich zur Aufgabe gemacht, Lernumgebungen so zu gestalten, "dass alle Lernenden die Möglichkeit haben, das Beste in ihnen zur Entfaltung zu bringen". Tuitt ist überzeugt: Je mehr Menschen Bildungserfolge ermöglicht werden, desto besser ist es für unsere Gesellschaft." Die Zeiten, in denen der Erfolg der einen auf Kosten anderer ging, seien vorbei, ist sich der leitende Berater der Rektorin an der Universität Denver sicher, jetzt gehe es um einen Systemwandel.

Wie das gelingen soll? Und warum das überhaupt notwendig ist? Es geht um Herkunft, Hautfarbe, Geschlecht, es geht um Privilegien und Unterdrückungsmechanismen – bewusste wie unbewusste, erklärt Tuitt. Zur Veranschaulichung wählt der Experte ein Beispiel aus seiner eigenen Vita.

Er selbst habe als Afroamerikaner während seiner Ausbildung ein Statistikseminar besucht. Sein damaliger Professor habe stets Datensätze über Arbeitslosenzahlen, Gesundheitsprobleme, Armutsgefährdung, Inhaftierungen analysiert – "und in all diesen Beispielen hat meine Community besonders schlecht abgeschnitten. – Statt Überlegungen für eine Regressionsanalyse anzustellen, war ich also nur noch damit beschäftigt, darüber nachzudenken, warum das so ist", erinnert sich Tuitt. Heute weiß er: Wäre sich sein Professor inklusiver Pädagogik bewusst gewesen, hätte er andere Beispiele gewählt oder zumindest das Offensichtliche offen angesprochen.

Nicht jeder geeignet

Was also sollen "Traditional White Institutions" zuerst angehen, wenn sie sich des Problems des Mangels an Diversität im Lernalltag bewusst werden? Hier unterscheidet Tuitt zwischen der individuellen und der systemischen Ebene.

Was den Beitrag einzelner Lehrender anlangt: "Ich glaube nicht, dass jeder dafür geeignet ist. Da braucht es schon einiges an Vorarbeit in Form von Reflexion und Persönlichkeitsentwicklung."

Zunächst müsse man wissen, wer man ist und wie man sich zu dieser Person entwickelt hat, glaubt Tuitt. Dann könne man Rückschlüsse über die pädagogische Arbeit, die man im Klassenzimmer, im Hörsaal oder in der Kindergartengruppe anwendet, ziehen.

Was die Systemebene anlangt, rät er zur Allianzenbildung: "Niemand sollte in Isolation unterrichten", es brauche den steten Austausch mit Kolleginnen und Kollegen, ein Forum, in dem man seine pädagogischen Entscheidungen rechtfertigen und erklären muss.

Für den Anfang gelte: "Spiel mit jenen, die mit dir spielen wollen!" Das heißt: Wer nicht will, muss auch nicht. Der Erfolg des Projekts würde später auch Skeptiker anziehen. Außerdem sei die Unterstützung der Führungsebene wichtig, sagt Tuitt: "Die Unileitung, die Schulleitung, muss klarmachen, dass dieses Thema absolute Priorität hat."

Fazit: Natürlich sei es "viel einfacher so zu unterrichten, als wenn alle gleich wären", weiß Frank Tuitt. Sind sie aber nicht. (Karin Riss, 12.2.2019)