Vor kurzem war hier die Rede von Zuwanderern aus Gesellschaften, die eine völlig verkorkste Beziehung zur Sexualität und zur Rolle der Frau haben. Aber wir sollten dabei nicht vergessen, dass ein beträchtlicher Teil unserer eingesessenen Gesellschaft an denselben Symptomen leidet. Vor wenigen Tagen hat das sogar Kardinal Christoph Schönborn in einer vielbeachteten TV-Sendung zugegeben: Sexueller Missbrauch ist ein ernsthafter, breitflächiger, nicht zu leugnender Bestandteil der katholischen Kirche.

Der wichtige Unterschied zu patriarchalisch-muslimischen Erscheinungen besteht allerdings darin, dass die Kirche längst nicht mehr die dominante Stellung in unserer Gesellschaft hat, wie es hunderte Jahre lang der Fall war – während der Islam in seinen Ursprungsländern fast überall integraler Bestandteil des gesamten gesellschaftlichen und politischen Lebens ist; und auch in der europäischen Diaspora versucht wird, diese Umklammerung für die Gläubigen beizubehalten oder gar zu verstärken.

Das enthebt jedoch die christlichen Kirchen, und hier vor allem den Katholizismus, nicht der Notwendigkeit, mit ihrem Riesenproblem "Sex, Missbrauch und Frauenverachtung" zurande zu kommen. Die christliche Religion ist historisch und auch aktuell ein untrennbarer Bestandteil unserer Kultur. Die Kirchen haben eine geistige und soziale Funktion, die man nicht so leicht ersetzen können wird. Oder eigentlich gar nicht ersetzen kann. Umso dringender ist die Notwendigkeit, dass besonders die katholische Kirche Entscheidendes gegen die vielen Missbrauchsfälle unternimmt. Der Missbrauch von Minderjährigen, aber auch von Nonnen muss viel energischer bekämpft werden. Sonst kann es niemand mehr verantworten, junge Menschen in die Obhut der Kirche zu geben.

Vertuschung und Verleugnung

Schönborn hat als Ursache von Missbrauch das Autoritätsgefälle zwischen Priester und Gläubigen benannt. Das ist richtig, und man muss auch anmerken, dass Missbrauch in allen "geschlossenen Institutionen" mit starkem Autoritätsgefälle (Militär, nichtkirchliche Jugendgruppen, Heime etc.) vorkommt.

Das ist ein Ansatzpunkt, wahrscheinlich der wichtigste – denn das Verhältnis zur Sexualität wird sich zumindest in der katholischen Kirche nicht grundlegend ändern. Es ist aussichtslos, auf eine Aufhebung des Zölibats zu hoffen. Und selbst das wäre keine Garantie, dass nicht Personen, die Schwierigkeiten mit erwachsenen Sexualpartnern haben, in die Pädophilie abgleiten.

Die Kirche hat bisher mit Vertuschung und Verleugnung reagiert und tut es immer noch. Trotz Einsetzung einer Opferkommission durch Schönborn, trotz ständig neu aufbrechender Fälle. Der Papst war angeblich entsetzt über das Ausmaß des Missbrauchs in der Weltkirche. Eine Tagung zu dem Thema in Rom soll Erkenntnisse bringen. Da die konfliktauslösende Haltung zur Sexualität an sich nicht geändert werden wird, muss wenigstens die Kultur der Leugnung bekämpft werden – entschlossen, systematisch und notfalls mit Sanktionen viel massiver als bisher. (Hans Rauscher, 12.2.2019)