2019 wird wieder ein Mörder gesucht. Auch der Musiker Bela B. (Die Ärzte) hat als "bleicher Mann" etwas mit dem Fall zu tun: "M – Eine Stadt sucht einen Mörder", ab 17. Februar in ORF 1.

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Drehbuchautorin Evi Romen und Regisseur David Schalko.

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Trailer zu "M – Eine Stadt sucht einen Mörder"

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Nach dem mysteriösen Verschwinden eines Flüchtlingsmädchens kommt es in Wien zu einem weiteren Verbrechen.

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Fritz Langs M – Eine Stadt sucht einen Mörder ist ein Meisterwerk des Weimarer Kinos. 1931 gedreht, verarbeitet der Film mit seiner Idee von der Verführbarkeit der anonymen Massen bereits den beginnenden Faschismus. David Schalko hat den Klassiker nun als sechsteilige TV-Serie neu aufgespannt und gemeinsam mit der Drehbuchautorin Evi Romen an aktuelle Verhältnisse angepasst: Wieder verschwinden Kinder, wieder formiert sich, befeuert von Medien und Politik, ein Mob. Am Dienstag hatte die Serie bei der Berlinale Premiere, ORF 1 zeigt sie am 17., 20. und 22. Februar jeweils ab 20.15 Uhr in Doppelfolgen.

STANDARD: Sie haben die Serie vor vier Jahren geplant, nun wirkt sie sehr aktuell. War sie als Dystopie oder als realistisches Abbild der Zeit konzipiert?

Schalko: Die politischen Strömungen waren voraussehbar. Auch dass die FPÖ irgendwann wieder in der Regierung sitzen wird. Und dass ab dann am bürgerlichen Konsens gesägt wird. Dass man jetzt schon über rechtsstaatliche Grundprinzipien diskutieren muss, daran erkennt man, wie effizient dieser ideologische Wille funktioniert.

Romen: Ich finde, dass die Realität mittlerweile wesentlich härter als die Serie ist. Wir haben darüber diskutiert, ob wir zu weit gehen – dass die Gegenwart die Serie übertrifft, hätte ich nicht gedacht.

STANDARD: Sie meinen, dass man an grundsätzlichen humanistischen Konzepten rüttelt?

Schalko: Was die Serie beschreibt, sind ja diese Schritte der kleinen Empörungen, die den demokratischen Stein stetig aushöhlen. So wie Michael Köhlmeier das in seiner Rede zum Holocaust-Gedenken brillant beschrieben hat. Man merkt gar nicht, wie schnell man da hineinschlittert. Es passiert in so kleinen Einheiten, dass es eben zu keinen großen Empörungen kommt. Die Gesellschaft hat sich seit Fritz Langs M natürlich stark verändert. Doch es gibt immer noch vergleichbare archaische Mechaniken.

Romen: Wenn etwas Schreckliches passiert wie ein Kindermord, rufen manche sofort nach Lynchjustiz. Das wird zu einem schönen Spielfeld für Rechtspopulismus.

STANDARD: Die Angst wird bewusst geschürt.

Schalko: Sie wird dafür benutzt, ideologisch etwas anderes zu erreichen. Auch das ist gegenwärtig. Gerade jetzt, da Kickl über den Rechtsstaat philosophiert – von seiner "Meinung" zu den Menschenrechten bis zu den Forderungen, wie Sicherheitspolitik aussehen soll. Man probiert aus, wie weit man den demokratischen Bogen überspannen kann. Der Innenminister in M repräsentiert eine neue Art von Politiker.

STANDARD: Er ähnelt vielen, Kurz, Macron ...

Schalko: Das ist ein Typus von Politiker, den es eigentlich in ganz Europa gibt. Ein fast unideologisch anmutender Politiker, der wie ein Manager agiert. Der Macher, der Ideologie benutzt – um Karriere zu machen. Oder besser: dessen Ideologie immer Stärke demonstriert.

STANDARD: Und der sich nackt im Spiegel betrachtet.

Romen: Warum werde ich dabei immer angeschaut?

Schalko: Sie wollte ihn nackt sehen!

Romen: Früher haben Körper eine viel geringere Rolle in der Politik gespielt. Heute ist entscheidend, wie jemand aussieht oder welches Charisma er zu verkaufen versucht. Die politische Arbeit rückt dagegen oft in den Hintergrund.

Schalko: Diese Körperlichkeit versucht einem eine gewisse Stringenz zu vermitteln. Eine Makellosigkeit und Souveränität.

STANDARD: Sie behandeln auch die Verquickung von Politik und Medien. Die Scham hält sich dabei in Grenzen. Hatten Sie reale Vorbilder?

Schalko: Diese Verquickung ist dem Österreicher ja nichts Fremdes. Da hat uns die Kronen Zeitung schon gut erzogen. Hier ist es vielleicht insofern anders, als es um ein klares rechtes Medium geht, das eher Unzensuriert oder Breitband gleicht.

STANDARD: Also "Alternative News"?

Schalko: Früher hat das einfach Propaganda geheißen. Ein interessanter Wandel der Begrifflichkeit. Wir spielen durch, wie es sich anfühlt, wenn ein solches Medium den Rang eines Establishment-Organs hätte. Da wird jedes Thema dann mit dem falschen Vorzeichen versehen. Alle Migranten sind Verbrecher. Direkte Demokratie heißt das Gleiche wie mehr Demokratie, wobei man eigentlich Verhetzung und Populismus meint. Und wenn einem das Ergebnis nicht passt, ignoriert man es halt. Arbeitnehmer werden zu puren Leistungsträgern. Sozialhilfeempfänger zu Schmarotzern denunziert. Und Menschenrechte plötzlich zur Verhandlungsmasse. Die Liste kann man endlos fortführen.

STANDARD: Die Serie vereint ganz unterschiedliche Genres und Erzählstile. Wie ergab sich da eine Struktur?

Schalko: Das ist eigentlich das Tolle, wie Lang zwischen den Genres changiert. Oft von einer Szene zur nächsten. Vom Melodram zum Politikfilm, vom Gerichtsdrama zum Thriller oder vom Milieufilm zur politischen Satire. Es changiert, weil das Leben oder die Stadt auch kein einzelnes Genre haben.

Romen: In einer Stadt liegen die Genres nahe beieinander. Schon bei Fritz Lang war es naheliegend, dass man verschiedene Genres verbinden muss, um am Ende eine Art Gesamtbild einer Gesellschaft zu erzeugen.

Schalko: Die Schwierigkeit besteht darin, daraus keine zerfledderte Erzählung zu machen.

STANDARD: Der Filmtheoretiker Noël Burch hat einmal geschrieben, der Protagonist sei eigentlich die Stadt.

Romen: "Die Stadt ist die Hauptdarstellerin" war auch unsere Antwort, wenn man uns fragte, wer die Handlung führt. Es ist natürlich viel schwieriger, einem Sender eine Serie mit der Hauptdarstellerin "die Stadt" zu verkaufen. Das ist ungewöhnlich für fiktionales Fernsehen. Aber als Zuschauer erkennt man, glaube ich, rasch, dass man selbst auch zu einem Teil dieser Stadt wird.

STANDARD: Kameratechnisch gibt es ein paar schöne Verweise auf den alten "M".

Schalko: Martin Gschlacht und mir war es wichtig, dass es auch eine Hommage an den alten Film wird. Er hat ein Büchlein aus Screenshots von M gebastelt, an dem wir uns während des Drehs orientiert haben. Auch ein bisschen freihändig, denn anders als Lang haben wir nicht im Studio gedreht, sondern an Originalschauplätzen. Wir haben aber oft versucht, diese aussehen zu lassen, als wären sie im Studio gedreht.

Romen: Dadurch entsteht eine ganz eigene, entrückte Atmosphäre.

Schalko: Die Serie ist auch eine optische Liebeserklärung an Wien. (Dominik Kamalzadeh aus Berlin, 13.2.2019)