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Stärkere Belastungen der Reichen bleiben ein frommer Wunsch der Linken.

Foto: Getty

Kurz hatten ÖVP und FPÖ Rollen getauscht, und so recht konnte es sich niemand erklären. Die FPÖ – selbsternannte Partei des kleinen Mannes – forderte am Montag in Person des Finanzstaatssekretärs Hubert Fuchs eine Senkung des Spitzensteuersatzes für Einkommensmillionäre. Und die ÖVP – traditionelle Wirtschafts- und Unternehmerpartei? Die reagierte empört: Die Regierung habe sich darauf geeinigt, vorrangig kleine und mittlere Einkommen zu entlasten – und nicht die Superreichen, ließ Finanzminister Hartwig Löger (ÖVP) aus Brüssel ausrichten. "Es gibt derzeit keine Grundlage, an dem Spitzensteuersatz zu arbeiten oder irgendwas zu tun."

Strache bremst Fuchs aus

Auch innerhalb der FPÖ herrschte daraufhin Verwirrung. Will man nun wirklich Politik für Millionäre machen? Noch dazu gegen den Willen des Koalitionspartners, der doch normalerweise die Betuchten vertritt?

Am Dienstag ruderten die Freiheitlichen zurück. Der Finanzstaatssekretär und frühere Steuerberater Fuchs habe lediglich seine Privatmeinung zu dem Thema kundgetan, erklärte Vizekanzler Heinz-Christian Strache bei einer Pressekonferenz. Geplant sei diesbezüglich nichts. Die FPÖ wolle auch weiterhin Kleinverdiener entlasten und nicht Millionäre begünstigen, versicherte der Parteichef. Auch andere Freiheitliche betonen, dass es sich bloß um einen privaten Verbalausritt des einen Kollegen gehandelt habe – die FPÖ kann es sich nicht erlauben, ihre einkommensschwachen Kernwähler zu vergrämen.

Vorstoß der Jungsozialisten

Die Sozialistische Jugend (SJ) geht noch einen Schritt weiter: Die rote Vorfeldorganisation fordert – diametral zum Vorstoß von Fuchs – nun eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes von 55 auf 70 Prozent. "Davon wären Löhne betroffen, die völlig außerhalb des Vorstellungsvermögens eines durchschnittlichen Bürgers liegen", sagt die SJ-Vorsitzende Julia Herr, die für die SPÖ bei der EU-Wahl auf Listenplatz sechs kandidiert. Sie ist überzeugt: "Die Frage der Verteilungsgerechtigkeit wird immer akuter." Zusätzlich brauche es deshalb auch noch "gerechte Millionärs- und Erbschaftssteuern".

Hubert Fuchs (links) und Hartwig Löger marschieren derzeit nicht in die gleiche Richtung.
Foto: Matthias Cremer

Aber was spricht denn nun eigentlich konkret für und gegen hohe Steuern für Spitzenverdiener?

Ab einer Million wird es teuer

Wer derzeit zwischen 90.000 und einer Million Euro im Jahr verdient, muss 50 Prozent davon als Einkommenssteuer abgeben. Bei einem zu versteuernden Einkommen von über einer Million Euro fallen ab dieser Grenze 55 Prozent an – das ist der aktuelle Spitzensteuersatz. Fuchs wollte ihn auf 50 Prozent senken, auf dem Niveau lag er bis 2016. Und so sehr die Diskussion aus dem Ruder gelaufen ist – einige Experten halten den Vorschlag von Fuchs an sich für nicht schlecht.

"Der aktuelle Spitzensteuersatz bringt uns weniger, als er uns standortpolitisch kostet", sagt etwa Sabine Kirchmayr-Schliesselberger, Professorin für Finanzrecht an der Universität Wien. Die Statistik Austria verzeichnete im Jahr 2015 exakt 463 Personen mit einem Einkommen von mehr als einer Million Euro. "Großverdiener sollen ja weiterhin besteuert werden, aber 50 Prozent sind bereits ein angemessener Steuersatz", findet die Finanzexpertin.

Höhere Besteuerungen würden Österreich schaden, meint sie: "Wenn wir in den internationalen Statistiken herausstechen, schreckt das ab." Einen noch höheren Spitzensteuersatz als den aktuellen bezeichnet Kirchmayr-Schliesselberger sogar als leistungshemmend: "Wenn Bill Gates nicht zusätzlich verdient hätte, indem er weiterprogrammiert, weil ihm netto kaum mehr übrigbleibt, hätte er sich vielleicht stattdessen lieber ins Schwimmbad gelegt", sagt sie. "Aber wir brauchen Leute wie Bill Gates."

Steuergrenze "lächerlich"

Ganz anders sieht das Wilfried Altzinger, Professor an der Wirtschaftsuniversität Wien. Um Spitzenverdiener angemessen zu besteuern, müsste vielmehr die Stufe gesenkt werden, ab welcher der Spitzensatz zuschlägt. Mit einer Million Euro steuerbarem Jahreseinkommen sei die Grenze schon "lächerlich" hoch angesetzt. Zum Vergleich: In den Niederlanden, Belgien, Frankreich oder Deutschland liegen die Höchstsätze zwar etwas niedriger als in Österreich, greifen aber bei weit niedrigerem Verdienst. In Belgien rutscht man beispielsweise schon mit 38.800 Euro Einkommen in die höchste Progressionsstufe.

International gibt es seit Jahrzehnten einen Trend zur Entlastung der Spitzenverdiener; seit Ausbruch der Finanzkrise setzte wegen der Anspannung der öffentlichen Haushalte eine leichte Gegenbewegung ein. In der EU beispielsweise lag der Spitzensteuersatz 1995 durchschnittlich noch bei 47,2 Prozent, um dann bis 2009 auf 38 Prozent zu fallen. Seither stiegen die höchsten Sätze in der Durchschnittsbetrachtung auf 39 Prozent. Deutlich stärker legten die obersten Tarife in der Eurozone zu, da der Konsolidierungsdruck im Zuge der Staatsschuldenkrise höher war.

Steuerspirale nach unten

Auch außerhalb Europas zeigt sich der Trend zur Entlastung der Spitzenverdiener. Japan verfügte noch Mitte der 90er-Jahren über einen Höchstsatz von 65 Prozent, mittlerweile liegt er bei 56 Prozent. In den USA hat Präsident Donald Trump den Topverdienern mit der Senkung des obersten Tarifs auf 37 Prozent und höheren Freibeträgen zusätzliche Annehmlichkeiten gegönnt. Nun wächst der Gegenwind, speziell seit die demokratische Neoabgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez mit ihrer Forderung nach einem Spitzensteuersatz von 70 Prozent viel Aufmerksamkeit erhält. Trump warnt schon eindringlich vor der "radikalen Linken".

Große Bandbreite

In der EU hat die Ausgestaltung der einzelnen Steuersysteme noch eine besondere Facette. Mit einer Bandbreite des obersten Satzes von zehn Prozent (Bulgarien) bis zu mehr als 57 Prozent (Schweden) klaffen die Tarife weit auseinander. Das ist bei einem Binnenmarkt mit Kapitalverkehrsfreiheit und Personenfreizügigkeit nicht ganz unproblematisch, meinen Ökonomen. Allerdings gibt es bei den Vergleichen große Unschärfen, sind doch die Spitzentarife nur eine Seite der Medaille. Ebenso relevant ist, ab welchem Einkommen die Steuersätze greifen und welche Abzüge es gibt. (Katharina Mittelstaedt, Andreas Schnauder, 13.2.2019)