Mittel- bis spätbronzezeitliches Gräberfeld Kudachurt 14, Grab 218.1: Ein Kollektivgrab mit Skeletten von vier Individuen unterschiedlichen Alters und Geschlechts. Das genetische Profil von Individuum 3, ein 3-6-jähriges Kind (mittig liegend), wurde entschlüsselt. Zu erkennen sind auch die unterschiedlichen Grabausstattungen.

Foto: Institut für Kaukasische Archäologie, Naltschik, Russland

Der Kaukasus gilt als entscheidende Schnittstelle für die Geschichte Europas. Noch heute weisen diese Regionen eine enorme linguistische Vielfalt auf, in der Vergangenheit dürften Bevölkerungsgruppen aus diesen Gegenden an der Ausprägung der heutigen Europäer entscheidend beteiligt gewesen sein. Aus dem Kaukasus und über den Kaukasus gelangten in der Vorgeschichte auch entscheidende Innovationen, wie die ersten hoch wirksamen Metallwaffen, das Rad und der Wagen, nach Europa. Nun haben paläogenetische Untersuchungen diese komplexen Interaktion in der Bronzezeit zwischen 6500 und 3500 vor unserer Zeitrechnung (v.u.Z.) genauer analysiert. Die im Fachjournal "Nature Communications" veröffentlichte Studie fußt auf den Analysen genomweiter Daten von 45 Individuen aus der Steppen- und der Gebirgszone des Nordkaukasus.

Die erforschten Skelettüberreste stammen aus verschiedenen bronzezeitlichen Kulturen zwischen 6500 und 3500 v.u.Z. Die Untersuchungen zeigen, dass die genetische Signatur in den nördlichen Bergflanken den Gruppen südlich des Kaukasus ähnelt und dort eine scharfe genetische Grenze zu den Steppengebieten im Norden verläuft.

Wandernde Barrieren

"Wir gehen davon aus, dass sich im Zuge der Neolithisierung, also mit dem Aufkommen von Ackerbau und Viehzucht zu Beginn der Jungsteinzeit, aber spätestens im 5. Jahrtausend v.u.Z. Bevölkerungsgruppen aus dem Süden über das Gebirge nach Norden ausbreiteten und dort auf diejenigen der eurasischen Steppe trafen", sagt Studienleiter Wolfgang Haak vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena. "Die genetische Grenze entspricht im Prinzip den öko-geographischen Regionen. Interessanterweise ist heute dagegen der Kaukasus selbst eine Barriere für Genfluss." Über die Jahrhunderte hinweg entstand eine Interaktionszone, in der die Traditionslinien der Hochkulturen Mesopotamiens auf diejenigen der Steppe trafen.

Diese Verflechtung wird im kulturellen Austausch und im Transfer von technischen und sozialen Innovationen deutlich, die – und dies zeigt die aktuelle Studie unmissverständlich – auch über biologische Grenzen hinweg stattfand. "Die genetischen Untersuchungen geben allerdings keine Anhaltspunkte für umfangreiche Migrationsbewegungen aus dem Süden oder später aus dem Nordwesten wie dies von verschiedenen Archäologen postuliert wurde. Dies hat erhebliche Auswirkungen auf das Verständnis der nordkaukasischen Kulturentwicklung im 4. Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung", erläutert Svend Hansen, Koautor der Arbeit.

Transformationen am Beginn der Spätbronzezeit

In der Studie wurden auch zwei Individuen analysiert, die auf dem Gräberfeld "Kudachurt 14" bestattet wurden. Kudachurt 14 nimmt eine lokale Schlüsselrolle im Übergang der Mittel- zur Spätbronzezeit im Vorgebirge ein. In dieser Zeit, zwischen ca. 2500 und 1400 v.u.Z., fanden erhebliche soziale und subsistenzwirtschaftliche Veränderungen statt: Fragmentation kultureller Gruppen, Rückzug der pastoralen Lebensweise im Steppengebiet und sesshafte Aufsiedlung des Hochgebirges, sowie der Wechsel von hierarchischen zu egalitären Gesellschaftsstrukturen.

Für Koautorin Katharina Fuchs sind die Ergebnisse sehr spannend. So haben die Schmuck- und Waffenformen der Grabinventare von Kudachurt Analogien im Hochgebirge, der sogenannten Nordkaukasischen Kultur. Dies ist interessant, da die zwei analysierten Individuen laut den Analyseergebnissen dem Abstammungsprofil der südlichen Kaukasusregionen ähnlicher sind als denen der Steppe. "Die Bestattungspraxis in Kudachurt ist sehr divers und zeigt Einflüsse aus dem Steppenraum und aus dem Hochgebirge. Die Ergebnisse zur Populationsgenetik verdeutlichen, wie komplex die Zusammenhänge von genetischer Verwandtschaft und soziokulturellen Strukturen auch in kleineren Gebieten des Kaukasus waren." (red, 17.2.2019)