Eine neue Lift-Technologie wird auch Auswirkungen auf die Architektur der Gebäude haben.

Bild: Thyssenkrupp

Der 246 Meter hohe Testturm verfügt über zwölf Liftschächte.

Foto: Thyssenkrupp

In Rottweil, der ältesten Stadt des deutschen Bundeslands Baden-Württemberg, wird am Aufzug der Zukunft getüftelt. Zumindest an jener Vision, die der Aufzughersteller Thyssenkrupp davon hat. Das Unternehmen hat im Vorjahr in Sichtweite der beschaulichen Altstadt einen 246 Meter hohen Testturm mit zwölf Liftschächten mitten in die Landschaft gestellt. In drei Schächten wird nun am "Multi" getüftelt – dem ersten Aufzug, der seillos und mit einer innovativen Linearmotortechnologie durch die Schächte flitzt.

Kürzere Wartezeiten

"Dies ist vielleicht die bedeutendste Entwicklung seit der Erfindung des Sicherheitsaufzugs vor gut 165 Jahren", prophezeite Antony Wood, Direktor der Arbeitsgruppe "Council on Tall Buildings and Urban Habitat" anlässlich der Eröffnung des Turms. Denn bald soll es möglich werden, dass mehrere Kabinen pro Liftschacht unterwegs sind – und diese sich sogar seitwärts bewegen können. Michael Cesarz, CEO des Bereichs Multi bei Thyssenkrupp, nennt den Hightech-Lift lachend "einen Paternoster auf Steroiden".

Damit sollen sich die Wartezeiten auf Aufzüge dramatisch reduzieren. So kurios es zunächst klingen mag: Wenn die Städte bis 2030 weltweit um eine Milliarde Menschen anwachsen, wird der Lift zu einem der wichtigsten Transportmittel. "Wir müssen die Stadt der Zukunft neu und in die Höhe denken", sagt Cesarz daher. Dem Lift kommt in diesen Skyscrapern enorme Bedeutung zu. Dem Multi sollen deshalb bezüglich der Höhe so gut wie keine Grenzen gesetzt sein. Bereits jetzt wird mit einer Förderhöhe von 1600 Metern experimentiert.

Im bis dato höchsten Gebäude der Welt, dem 828 Meter hohe Burj Khalifa in Dubai, muss man einmal umsteigen, um bis ganz nach oben zu kommen. Denn bei der herkömmlichen Technologie ist die Grenze bei etwa 500 Metern erreicht. Dann wird die Liftanlage zu schwer, vibrieren die Schwingungen der Stahlseile zu stark. Mit dem Multi soll dieses Problem gelöst werden.

Anfragen von Architekten und Entwicklern

Sofern alle Tests gut laufen. Bislang werden in Rottweil nur Sandsäcke hinauf-, hinunter- und hinübertransportiert. Parallel läuft ein weltweiter Zertifizierungsprozess. Erst wenn dieser in etwa zwei Jahren abgeschlossen ist, dürfen auch Menschen mit dem Multi fahren, erklärt Cesarz, der dann "unter den ersten fünf" sein will, die den Hightech-Lift nehmen. Es gebe schon jetzt 25 "sehr seriöse" Anfragen von Architekten und Immobilienentwicklern aus aller Welt, die das Liftsystem sofort nach der Zulassung in Betrieb nehmen wollen. "Mit fünf von ihnen sind wir in den Gesprächen schon sehr weit."

Mit dem Multi ließen sich mindestens 25 Prozent der Aufzugfläche pro Stockwerk einsparen, weil weniger und kleinere Liftschächte benötigt werden, rechnet man bei Thyssenkrupp vor. Die Aufzugtechnologie selbst sei zwar teurer, dafür könnten die Kosten mit Flächeneinsparungen kompensiert werden. Denn eine Veränderung der Aufzugtechnologie hat immer auch Auswirkungen auf die Architektur.

"Die Verdichtung der Stadt wurde nur durch den Aufzug möglich", sagte Peter Payer, Autor des Buchs "Auf und ab. Eine Kulturgeschichte des Aufzugs in Wien", vor einiger Zeit zum STANDARD: "Gebäude konnten erst mit dem Aufzug in die Höhe wachsen." Die Seitwärtsbewegung des Multi spornt Architekten an. "Sie wollen den Wechsel von der Vertikalen zur Horizontalen zeigen", so Cesarz – durch Querverbindungen zwischen Hochhäusern und ungewöhnliche, bisher mit einem klassischen Aufzug nicht realisierbare Gebäudeformen.

Haltemöglichkeit nötig

Fünf bis sechs Meter pro Sekunde wird der Multi vertikal zurücklegen. Beim Wechsel von der Vertikalen in die Horizontale soll der Aufzug einen Moment verharren – und anschließend langsamer, nämlich mit zwei Metern pro Sekunde, weiterfahren. Damit man auch bei der Seitwärtsbewegung sicher steht, wird es im Rückenbereich eine Haltemöglichkeit geben, "da testen wir gerade noch die Haptik".

Auch für Entertainment ist Platz: "Mittels Smartphone kann man sich mit dem Aufzug verbinden und, wenn man alleine ist, sogar seine Musik hören", kündigt Cesarz an. Im Büroalltag wird der Aufzug wissen, wer sich ihm nähert – und die Person dann flugs ins richtige Stockwerk bringen. Dabei wird freilich der Datenschutz eine Rolle spielen.

Mit dem nötigen Kleingeld kann man künftig vielleicht sogar die stets etwas seltsame Situation vermeiden, mit Fremden auf engstem Raum Lift fahren zu müssen: Irgendwann könnte es private Liftkabinen geben – die dann sogar nicht mehr kosten sollen als ein Kleinwagen. (Franziska Zoidl, 14.2.2019)