Hat deine Frau dich verhext? Ist sie eine Zauberin?" Diese Fragen musste sich Vitor Uwiragiye nach seinem Sinneswandel gefallen lassen. Vitor und seine Frau Seraphine Mukanyandi leben mit ihren zwei Kindern in einem Dorf südlich von Kigali.

Sie sind Selbstversorger, bauen Soja, Bohnen, Mais, Kochbananen und Maniok an. Ihr Lehmhaus ist von einer Mauer umgeben, im Innenhof steht eine schwarze Kuh im Stall, daneben wühlt ein Schwein, Hühner laufen hin und her. Im Inneren des Hauses ist es kühl.

Nach der sengenden Sonne draußen eine Wohltat. Ruanda liegt hoch, die Hauptstadt Kigali auf über 1500 Meter Seehöhe. Das Land ist kleiner als die Schweiz und besteht, wie diese, hauptsächlich aus Bergen. Hügelauf, hügelab sind wir hierhergefahren, auf ausgezeichneten Straßen, frisch asphaltiert und mit Leitplanken. Die Chinesen haben sie gebaut.

Erst kurz vor dem Dorf geht die Straße in eine nur im Schritttempo bewältigbare Staubpiste über. Seraphine hat uns an der Kreuzung erwartet und zu ihrem Haus begleitet, sonst hätten wir es – trotz Handys – nie gefunden. Alle hier haben ein Mobiltelefon, es gibt sie um wenige Euro ohne Anbieterbindung an jeder Ecke zu kaufen.

Stolz ist sie, Seraphine, auf ihr Haus. Sie hat geschafft, dass es mit Elektrizität versorgt ist. Einen Fernseher haben sie jetzt auch. Wichtiger ist, dass sie nicht mehr mit Holz kocht, sich und ihre Kinder nicht dem tödlichen Herdfeuer aussetzt. Etwa zwei Millionen Menschen sterben weltweit jedes Jahr, weil sie in geschlossenen Räumen den Rauch von offenem Feuer einatmen, das sind mehr Todesfälle als durch Malaria.

Seraphine Mukanyandwi nahm gemeinsam mit ihrem Mann an einer viermonatigen Schulung zum Thema Gleichheit der Geschlechter teil.
Foto: Sonja Tomandl

Seraphine und ihr Mann wurden gemeinsam in ein Programm von AJPRODHO aufgenommen, das ist eine lokale Partnerorganisation von Care Österreich. Der Grund: häusliche Gewalt. Obwohl die Gleichheit der Geschlechter ein erklärtes Ziel der Regierung von Präsident Paul Kagame ist und im Parlament von Ruanda 68 Prozent Frauen sitzen, ist das traditionelle Familienbild noch immer vom Mann als alleinigem Entscheider geprägt.

Mädchen gingen hier mit der Heirat in die Familie des Ehemannes über. Diesen zu verlassen war praktisch unmöglich, weil die Frau und ihre Kinder zusätzliche Esser in der Herkunftsfamilie bedeuteten. Das "Land der tausend Hügel" zählt noch immer zu den ärmsten Afrikas, auch wenn es sich in den letzten Jahren mit einem durchschnittlich jährlichen Wirtschaftswachstum von acht Prozent zum afrikanischen Vorzeigeland entwickelt hat.

Was also tun, wenn Gewalt in der Familie herrscht und von Geschlechtergleichheit keine Rede ist? 30 Paare wurden in dem Dorf für die "Village Service Group" gegen Gewalt ausgewählt, erzählt uns Seraphine. Dass sie mit uns spricht und nicht ihr Mann, der danebensitzt, ist ein kleines Wunder.

Vier Monate wurden sie geschult, jetzt sind sie selbst "Agents of Change" und geben ihr Wissen weiter. Was ist beim Training passiert? Kann man schlagende Männer einfach so zu Feministen umerziehen?

Gratis bis zur neunten Klasse

"Früher hat mein Mann alle Entscheidungen allein getroffen", erzählt Seraphine. "Mein Mann gab mir kein Geld", sagt sie, "aber ich habe winzige Beträge vom Haushaltsgeld angespart, 200 Ruanda-Franc in der Woche (rund zwei Euro). Als ich am Ende des Jahres mit Geld nach Hause kam, hat sich seine Einstellung geändert. Jetzt haben wir eine Kuh, Elektrizität, die Kinder gehen in die Schule."

Madeleine Twagirumukiza (links) und Henriette Mujawayezu sind Teil einer Kooperative von Näherinnen.
Foto: Sonja Tomandl

Besonders wichtig ist ihr, dass nicht nur ihr Sohn Douras (sieben), sondern auch ihre Tochter Elyse (zehn Jahre) die Schule besucht. Das ist nicht selbstverständlich. Obwohl die Schule in Ruanda bis zur neunten Klasse gratis ist, können sich nicht alle die Schuluniformen und Bücher leisten. Im Zweifelsfall gehen dann immer die Buben weiter in die Schule, weil nur sie in der Herkunftsfamilie bleiben und im Alter die Eltern ernähren.

Auch das soll sich ändern. Pensions- und Sozialversicherung wurden eingeführt, möglichst viele Menschen sollen aus illegalen in legale Arbeitsverhältnisse kommen. Fliegende Händlerinnen, die an Straßenecken Ananas oder Bananen verkaufen, Fahrrad- und Mopedtaxis, sie alle sollen eine Steuernummer und Rechte bekommen. Ein notwendiges Ziel in einem Land, das bereits jetzt über zwölf Mio. Menschen zählt.

Aufklärung und Familienplanung

Dementsprechend wichtig sind auch Aufklärung und Familienplanung, die ebenfalls über die Trainings in die Dörfer kommen. Keine leichte Aufgabe, sind doch viele hier sehr katholisch. Seraphine ist 32 und möchte, dass es bei zwei Kindern bleibt. "Bekommt mein Sohn ein Huhn, bekommt auch meine Tochter ein Huhn", erklärt sie. Ist doch einfach zu verstehen.

Das findet jetzt auch ihr Mann. "Er profitiert von meinen Ideen – auch finanziell", sagt sie. So einfach ist das also: Feminismus muss den Männern finanzielle Vorteile bringen. Und was sagt er dazu? "Ich möchte, dass meine Tochter die gleichen Chancen hat wie mein Sohn. Früher haben mich die anderen Männer im Dorf ausgelacht, weil ich die Entscheidungen mit meiner Frau gemeinsam treffe, aber jetzt haben sie gesehen, wie weit wir es gebracht haben."

Weit gebracht hat es auch Aggripine Mukangango. In der türkis getünchten Stube ihres Bauernhauses hängt ein Bild des Fußballers Didier Drogba neben dem der Jungfrau Maria. Sie hat dank Care Österreich eine Wasserleitung und Solarpanels auf dem Dach, 5000 Ruanda-Franc (fünf Euro) muss die Familie dafür im Monat zwei Jahre lang zurückzahlen. Das ist eine unglaubliche Verbesserung gegenüber dem Haus, in dem sie davor gewohnt haben.

Genozid miterlebt

Unsere nächste Station ist die Kooperative Berwa auf einem der Märkte von Kigali. Hier näht und verkauft eine Frauengruppe Kleidungsstücke und Taschen, Tisch an Tisch sitzen sie an ihren Singer-Nähmaschinen, die den Frauen von AJPRODHO zur Verfügung gestellt wurden. Madeleine Twagirumukiza, 30 Jahre alt, ist die Präsidentin der Kooperative.

Wie ihre Kollegin Henriette Mujawajezu war sie davor Straßenverkäuferin. Seit 2015 wurde sie zur Schneiderin ausgebildet, um 80.000 Ruanda-Franc (80 Euro) haben die Frauen das Lehmhaus am Markt gemietet, es misst kaum sechs Quadratmeter. Aber es ist mehr, als sie vorher hatten, eine Produktionsstätte – mit Steuernummer, versteht sich.

Madeleine hat begonnen, mit ihrem Verdienst ein Haus zu bauen, sie konnte Schafe kaufen und einen Hund. Henriette ernährt derzeit allein die Familie, weil sich ihr Mann, ein Motorradtaxifahrer, verletzt hat. Wie Madeleine ist auch Henriette verheiratet und hat zwei Kinder. Henriette ist 27 Jahre alt, also hat auch sie den Genozid, der Ruanda vor knapp 25 Jahren in eine Hölle verwandelte, als Kleinkind miterlebt.

Madeleine Twagirumukiza (links) ist die Präsidentin der Kooperative.
Foto: Sonja Tomandl

80 Prozent aller Kinder in Ruanda, so lernen wir im Genocide Memorial in Kigali, mussten 1994 mit ansehen, wie ein Familienmitglied ermordet wurde, 90 Prozent fürchteten, selbst umgebracht zu werden. Abertausende Kinder waren nach dem Völkermord, bei dem in 100 Tagen zwischen 800.000 und eine Million Menschen massakriert wurden.

Losgebrochen war der Genozid der Hutu-Mehrheit an der Tutsi-Minderheit (und an Hutus, die ihre Nachbarn schützten), nachdem am 7. April das Flugzeug des damaligen Präsidenten, eines gemäßigten Hutus, abgeschossen worden war.

Willkürliche Einteilung

Der Konflikt, der in Europa oft als ethnischer wahrgenommen wurde, hatte schon in den Jahrzehnten davor zu Übergriffen mit tausenden Toten geführt. Entfacht und geschürt hatten ihn die Kolonialmächte.

Die Deutschen brachten um die Jahrhundertwende, als das damalige Königreich Ruanda Teil Deutsch-Ostafrikas wurde, Rassentheorien ins Land: Die Bezeichnung Tutsi und Hutu, die davor bloß eine gesellschaftliche Stellung gemeint hatte und durchlässig in beide Richtungen war – Tutsi wurden jene genannt, die mehr Vieh besaßen, also wirtschaftlich besser dastanden – wurde rassisch-ethnisch gedeutet und in Personalausweisen festgeschrieben.

Tutsi wurde jeder, der zu einem Zeitpunkt X mehr als zehn Stück Vieh besaß, Hutu jener, der weniger als zehn Stück Vieh besaß. Diese willkürliche Einteilung wurde von den belgischen Kolonialherren bis zur Unabhängigkeit Ruandas 1962 fortgesetzt. Der Rassenhass in einem Land, das bereits mehr als 400 Jahre als solches bestanden hatte und in dem stets, ungewöhnlich für Afrika, eine gemeinsame Sprache gesprochen wurde, war erfolgreich importiert worden.

Henriette Mujawayezu war davor Straßenverkäuferin und arbeitet jetzt als Näherin für Kleidungsstücke und Taschen.
Foto: Sonja Tomandl

Ohne Schutz durch die UN-Truppen geschah der Völkermord vor den Augen der Weltöffentlichkeit. Er jährt sich im April dieses Jahres zum 25. Mal. Präsident Paul Kagame, er besuchte Österreich zuletzt im Dezember beim EU -Afrika-Forum in Wien, beendete mit seinen Truppen das Massaker und führt das Land seit 2003 als nicht unkritisierte Verfassungsrepublik. Die soll im Zeichen der Versöhnung stehen.

Verpflichtende Gemeindearbeit

Jeden letzten Samstag im Monat sind alle zur Gemeindearbeit verpflichtet. Die Geschäfte sind geschlossen, bei Fernbleiben fallen 20.000 Ruanda-Franc (20 Euro, also ein Vermögen) Strafe an. Alle weißeln Schulgebäude oder pflanzen Bäume. So wird Kigali eine der schönsten Städte Afrikas, es gibt Gehsteige und Grünstreifen zwischen den Fahrbahnen. Tieferer Sinn des Großreinemachens: Alle sollen ihre Nachbarn kennen und ihnen verbunden sein.

Vom Hutus und Tutsi ist heute auf präsidiale Anordnung nicht mehr die Rede. Alle sind wieder Ruander. In mehr als 12.000 sogenannten Gacacas, Dorfgerichten, waren in zehn Jahren im ganzen Land mehr als 1,9 Mio. Fälle aufgearbeitet worden. Im Internationalen Strafgerichtshof für Ruanda in Arusha wurden im Vergleich in 19 Jahren gerade einmal 75 Fälle behandelt.

Deswegen gibt es über die Community-Work hinaus jedes Jahr im April zum Gedenken an den Genozid zwei Wochen, in denen das ganze Land stillsteht. Jede Firma, jede Schule hat geschlossen, alle nehmen verpflichtend an den Aussprache- und Aussöhnungstagen teil. Reden ist sicher gut, wo Schweigen erwiesenermaßen auch transgenerationales Trauma bedeutet. (Tanja Paar, Album, 16.2.2019)