Bei der Verarbeitung von Zitrusfrüchten fallen in Italien jährlich rund 700.000 Tonnen Biomüll an.

Foto: Getty Images/iStockphoto

Was soll ich heute anziehen? Diese Frage werden wir uns wohl auch in zwanzig oder dreißig Jahren noch stellen, wenn wir vor unserem Kleiderschrank stehen. Die Hosen, Röcke und Pullover, die wir dann wählen, werden sich aber in einem wesentlichen Punkt von den heutigen unterscheiden: Anstelle von Baumwolle, Viskose oder Polyester könnten wir uns in Biomüll hüllen. Pflanzenfasern aus Biomüll, wohlgemerkt. Die Bluse aus den Schalen von Zitrusfrüchten könnte neben einer Hose hängen, die ein zuckerfressendes Bakterium aus Kokosnussschalen gewoben hat.

Orangen zum Anziehen

Die Sizilianerinnen Adriana Santanocito und Enrica Arena sind mit ihrem Unternehmen Orange Fiber auf dem besten Wege, die Modeindustrie nachhaltig zu verändern. Und zwar mithilfe von Abfällen aus einem der wichtigsten Industriezweige ihres Heimatlandes: Bei der Verarbeitung von Zitrusfrüchten fallen in Italien jährlich rund 700.000 Tonnen Biomüll an. Aus diesem spinnen die beiden Sizilianerinnen seidenähnliche Zellulosefasern. Im nächsten Schritt wird diese Zellulose zu einem sehr feinen Garn gewoben. Der weiße, matt glänzende Stoff kann anschließend gefärbt oder mit anderen Materialien gemischt werden.

Von ihrer Idee konnten Santanocito und Arena bereits das italienische Luxuslabel Salvatore Ferragamo überzeugen. Eine erste gemeinsame Kollektion wurde 2017 produziert. Derzeit gibt es keine käuflichen Kleidungsstücke, Orange Fiber sucht nach weiteren Partnern aus der Modeindustrie, um die Produktion der Orangenfaser zu perfektionieren. Die Designerinnen arbeiten daran, dass ihre Kleidung in Zukunft sogar die Haut pflegt. Ätherische Öle, die in der Schale von Orangen zu finden sind, werden in den Fasern erhalten bleiben. Der Orangenduft leider nicht.

Eine Weste aus Orangenfasern vom Luxuslabel Salvatore Ferragamo.

Auch andere machten sich schon auf die Suche nach umweltschonenden Methoden, um Viskosefasern herzustellen. Etwa jenes australische Unternehmen, das einen ähnlichen Einfall wie die beiden Sizilianerinnen hatte: Sehr medienwirksam hat Nanollose zunächst ein Kleid vorgestellt, das aus Abfallprodukten der Bier- und Weinindustrie hergestellt wird.

Um Zellulose aus Bäumen oder Bambus zu extrahieren, setzte man bisher auf umweltschädigende Chemikalien: Das soll nun ein Bakterium namens Acetobacter xylinum übernehmen. Das Bakterium "frisst" den Zucker und verwandelt ihn dabei in Zellulose.

Ein Kleid aus Kokosnuss

Vor wenigen Tagen hat Nanollose die Kooperation mit dem größten indonesischen Hersteller von Kokosnussprodukten bekanntgegeben. Nun werden dem gefräßigen Bakterium Kokosnussschalen vorgesetzt, die bisher als Biomüll unbrauchbar waren. Zusätzliches Ackerland, Bewässerung und Pestizideinsatz werden dadurch überflüssig, und die Produktion soll viel effizienter als traditionelle Zellulosegewinnung sein. Die Nanollose-Methode benötigt sehr wenig Wasser. Das Ergebnis ist eine Faser, die für die Herstellung von Kleidung und anderen Textilien verwendet werden kann.

Die Antwort auf die tägliche Frage, was man anziehen soll, wird wohl auch in Zukunft von Wetter, Tagesverfassung und Stil abhängen. Doch die Wahl unserer Kleidung muss nicht mehr zwangsläufig auf Kosten von Umwelt und Rohstoffen gehen. Schöne Aussichten. (os, 15.2.2019)

Schön gehört? "Edition Zukunft", der Podcast über das Leben und die Welt von morgen:

>>> Abonnieren Sie "Edition Zukunft" auch bei Spotify, Google Podcasts oder Apple Podcasts.