Schauspieler Bruno Ganz starb im Alter von 77 Jahren in Zürich.

Foto: Photo by Rafa RIVAS / AFP)

Wie kann es sein, dass einmal ich, der ich bin, nicht mehr der ich bin sein werde?" Die größte aller Fragen, die nach dem Tod und der Unvertretbarkeit angesichts des unausweichlichen Sterbens, hat der Schauspieler Bruno Ganz einmal aus der Perspektive eines Engels gestellt. Der Film hieß Der Himmel über Berlin (1987), er wurde einer der größten Erfolge von Wim Wenders. Zu verdanken war das nicht zuletzt diesem Mann, der hier – neben dem Kollegen Otto Sander – ein Wesen spielte, das zugleich da und nicht da war. Damiel ist ein Zeuge dessen, was die Menschen auf der Welt erleben. Aber ihm fehlt etwas Wesentliches: Er stellt die Frage nach der Individualität, nach der Endlichkeit, gleichsam von außen. Im Übrigen ist die Stelle auch ein Zitat aus dem Lied vom Kindsein von Peter Handke.

Es liegt nahe, in dieser Engelsrolle bei Wenders auch ein Bild für die Tätigkeit eines Schauspielers zu sehen. Er tritt, auf Zeit, in eine fremde Existenz ein. Er vermählt sich mit einem Ich, das er nicht ist. Für die Rolle des Damiel war Bruno Ganz aus vielen Gründen die ideale Besetzung. Einer der wichtigsten war seine Stimme. Ganz klang immer schon ein wenig so, als käme er aus einer anderen Welt – die Stimme ist weich, melodisch, geradezu ideal für eine Präsenz, die sich nicht aufdrängen muss. Einen ganz leichten Schweizer Zungenschlag behielt er immer bei.

Der Apolliniker

Für den Himmel über Berlin war er auch deswegen wie geschaffen, weil er an der Schaubühne am Lehniner Platz in den 1970er-Jahren gemeinsam mit Peter Stein oder Klaus Michael Grüber eine Ästhetik entwickelt hatte, die sich später mit dem Sensibilismus von Wim Wenders hervorragend verbinden ließ. In der legendären Inszenierung der Bakchen von Grüber spielte Ganz die Figur des Pentheus, also des Gegenübers von Dionysos. Die von Friedrich Nietzsche populär gemachte Unterscheidung zwischen dionysischer und apollinischer Kunst kann man durchaus auch als Schlüssel für die Interpretationskunst von Bruno Ganz sehen: Er war als Darsteller eindeutig eher ein Apolliniker, ein sachter Erkunder und kein rauschhafter Ekstatiker.

Ganz war ein Bühnenstar, der mit allen großen Regisseuren seiner Zeit arbeitete, darunter auch mit Claus Peymann, mit dem er 1972 für die Salzburger Festspiele Der Ignorant und der Wahnsinnige machte. Mit Peter Stein erarbeitete er 2000 eine integrale Faust-Aufführung, die allerdings von einem schweren Bühnenunfall von Ganz überschattet wurde.

1996 hatte er von Josef Meinrad den Iffland-Ring vermacht bekommen – die größte Theaterauszeichnung im deutschsprachigen Raum fand in Ganz einen würdigen Träger. Zum Kino war der gebürtige Schweizer schon in den 1960ern gekommen: Er debütierte 1967 in Der sanfte Lauf von Haro Senft, in dem er einen jungen Mann spielt, der für einen perfekten Schwiegersohn gehalten wird, sich aber nicht manipulieren lassen will. Im Lauf der Jahre spielte Ganz bei allen Größen des Neuen Deutschen Films: bei Wim Wenders in Der amerikanische Freund, bei Volker Schlöndorff in Die Fälschung, bei Werner Herzog in Nosferatu – Phantom der Nacht, bei Rudolf Thome in System ohne Schatten.

Ein besonderer Film aus dieser Ära ist Die linkshändige Frau, eine rare Filmarbeit von Peter Handke, in der Ganz neben Edith Clever spielte. Sie war auch 1975 dabei, als Peter Stein mit Stars wie Ilse Ritter und Jutta Lampe auf Grundlage eines Drehbuchs von Botho Strauß den Film Sommergäste drehte. Ganz traf dabei auch schon auf Otto Sander. Eine seiner berühmtesten Filmrollen hatte er schließlich in Messer im Kopf von Reinhard Hauff, einer schmerzhaften Bilanz des politischen Linksextremismus.

Die letzten Tage Hitlers

Auch international war sein Charisma gefragt: Filme mit Éric Rohmer (Die Marquise von O.) oder Theo Angelopoulos (Die Ewigkeit und ein Tag) zeugen davon. Und noch kürzlich hatte er einen großen Auftritt in Lars von Triers The House That Jack Built: In dieser Variation auf Dantes Höllenvision war Bruno Ganz lange nur als Stimme präsent. Erst zum Ende hin bekam er noch einmal einen Auftritt von mythischer Größe. Die wichtigste Rollenentscheidung seiner späteren Karriere wurde zugleich seine umstrittenste: 2004 spielte Bruno Ganz in Der Untergang von Oliver Hirschbiegel die letzten Tage von Adolf Hitler nach.

Für diese Prestigeproduktion des deutschen Kinos hatte der Produzent Bernd Eichinger ein großes Ensemble zusammengerufen, im Zentrum deutete Ganz den Führer in den letzten Zügen als tattrigen Befehlsonkel. Der Untergang wurde ein großer Erfolg und für Bruno Ganz der Auftakt zu einem Spätwerk, das im Zeichen historischer Stoffe stand: Kürzlich spielte er noch Sigmund Freud (in Nikolaus Leytners Der Trafikant), in Terrence Malicks Radegund stand er auch vor der Kamera. Er spielte einen Richter in der Nazizeit, der in schwerer Gewissensnot den oberösterreichischen Kriegsdienstverweigerer Franz Jägerstätter zum Tod verurteilt. Radegund ist bisher nicht veröffentlicht worden.

Am vergangenen Freitag ist Bruno Ganz, einer der größten deutschsprachigen Schauspieler, im Alter von 78 Jahren in seiner Geburtsstadt Zürich einer Krebserkrankung erlegen. (Bert Rebhandl, 16. 2. 2019)