Woher Informationen stammen, müsse transparenter werden, sagt Sicherheitskommissar Julian King.

Foto: APA/AFP/Belga/THIERRY ROGE Fotograf: THIERRY ROGE

STANDARD: Im Huawei-Streit zwischen den USA und China scheint Europa in eine strategische Falle geraten sein. Wie sehen Sie die Lage?

King: Der Ansicht bin ich nicht. Europa muss seine eigene Politik auf Basis seiner eigenen Interessen definieren. Das betrifft den Schutz seiner kritischen Infrastruktur und auch die Herausforderungen, die Inhalte in unserer vernetzten Welt gelegentlich darstellen. In beiden Bereichen ist Europa durchaus leistungsfähig.

STANDARD: Ist Huawei tatsächlich eine Bedrohung für die USA oder Europa?

King: Diese Sache ist wichtiger und größer als Huawei. Die wirklich große Frage ist die Geschwindigkeit der Entwicklung in Sachen kritischer digitaler Infrastruktur. Da geht es nicht nur um 5G, sondern auch um Cloud-Lösungen für das exponenziell wachsende Internet of Things oder die Entwicklung von Künstlicher Intelligenz und deren Anwendungen für gute oder eben schlechte Zwecke. Das passiert alles gleichzeitig und dabei wird entschieden, wie wir unser digitales Leben in Zukunft führen werden. Weil sich dieser Wandel so schnell vollzieht, müssen wir die Risiken und Vorteile intensiv debattieren. Es geht um die Verletzlichkeit dieser Systeme und wie wir diese vermindern können. Der Fokus liegt derzeit auf 5G, weil sich damit Wandel und Debatte weiter beschleunigen werden.

STANDARD: Kann Europa diese Geschwindigkeit mithalten?

King: Das wird eine Herausforderung. Wenn wir auf 5G-Zulieferer blicken, gibt es zwei große europäische Unternehmen, die etwa 30 Prozent der Marktanteile halten. Es wird darum gehen, diese zu verteidigen. Wenn wir auf die Internet of Things-Gerätschaften schauen, ist Europa massiv von Asien und China abhängig. Und wenn es um Investitionen in Künstliche Intelligenz geht, müssen wir erkennen, dass auch diese anderswo in der Welt viel größer sind: Frankreich hat zuletzt beschlossen, 1,5 Milliarden Euro in KI zu investieren. Die chinesische Stadt Tianjin allein nimmt dafür 13,5 Milliarden Euro in die Hand. Wir müssen entscheiden, ob uns das passt oder nicht. Ich plädiere für Letzteres und dafür, dass wir etwas gegen diese Ungleichgewichte unternehmen.

STANDARD: Was ist zu tun?

King: Es ist ja nicht so, dass es keine Investitionen in Europa gibt. Aber wir müssen diese besser koordinieren. Es gibt EU-Förderungen, ja. Aber das kann nicht alles sein, es braucht besser koordinierte nationale Anstrengungen. Was können wir bei Cloud-Lösungen und Internet of Things-Geräten machen? Wir können mit der neuen Cybersicherheits-Agentur der EU Standards setzen und den Prozess steuern. Das haben wir schon einmal im Energiebereich gezeigt. Wir sind ein großer Markt, wir können Entwicklungen beeinflussen. Bei 5G sollten wir endlich über nationale oder gar regionale Interessen hinaus koordinieren.

STANDARD: Gibt es ausreichend Problembewusstsein in der Politik zu diesen Fragen?

King: Es ist gut, wenn es eine hochstehende Debatte unter Technikern gibt. Aber wenn es Lösungen geben soll, brauchen wir den politischen Bereich. Es geht immerhin um vitale Infrastruktur und bei den Inhalten um unsere grundsätzlichen Werte wie Meinungsfreiheit und Schutz unserer persönlichen Daten. Das Bewusstsein in der Politik hat sich durchaus erhöht.

STANDARD: Wie schätzen sie das Problembewusstsein unter den Bürgern ein?

King: Wie die Gesellschaft sich verhält, ist wesentlich. Vor allem, wenn es um Inhalte geht. Wir müssen gegen illegalen Content wie Kinderpornografie vorgehen können und wir müssen auch gegen Desinformation auftreten. Vor allem, wenn diese vor Wahlen zunimmt. Da geht es nicht darum, über den Wahrheitsgehalt zu urteilen, sondern vielmehr die Quellen aufzuzeigen. Es mehr Transparenz zur Herkunft von Informationen. Die großen Social Media-Plattformen kooperieren bereits, aber wir müssen deutlich effektiver in dieser Sache werden. Gleichzeitig müssen wir klar machen, dass es dabei nicht um Zensur geht. Es geht um Strafverfolgung dessen, was analog auch strafbar ist. Und um Transparenz bei der Herkunft von Informationen.

STANDARD: Haben Sie Hinweise darauf, dass es bei den Europawahlen zu größeren Manipulationsversuchen kommen könnte?

King: Die Kommission ist kein Nachrichtendienst. Aber wir bekommen natürlich Informationen der Dienste. Aus heutiger Sicht gibt es keine Hinweise auf solche Aktivitäten. Allerdings hatten wir solche Kampagnen bereits auf beiden Seiten des Atlantik. Und angesichts der Europawahlen, die sich über mehrere Tage ziehen und in mehr als 20 Ländern abgehalten werden, muss man sagen, dass sie ein potenzielles Ziel sind. Die Wahrscheinlichkeit dafür ist relativ hoch. Wir haben mit den Mitgliedstaaten jedenfalls ein Netzwerk aufgesetzt, dass die Wahlen schützen soll. (Christoph Prantner aus München, 16.2.2019)