Der Pianist und sein Double: Daniil Trifonov gastiert demnächst zweimal im Wiener Musikverein.

Foto: imago/Manfred Siebinger

Er ist ein jener raren Klassikstars, die für ihr Label noch ordentlich Kohle einfahren. Dafür werden die neuen Produkte des Umsatzbringers aber auch opulent in Szene gesetzt: Für den Trailer zu seiner letzten CD Destination Rachmaninow: Departure ließ man eine Dampflok samt alten Pullman-Wagons durch die Rockies pfauchen. Der Pianist, zum pittoresken Landstreicher umgestylt, entdeckt im Salonwagen (offene Zugfenster, wachelnde weiße Vorhänge) per Zufall einen zeitgenössischen Konzertflügel der Luxusklasse. Kitschalarm! Da ist das Coverfoto des Silberlings – Trifonov im Anzug mit nachdenklichem Blick in einem edlen historischen Zugabteil – dann doch deutlich stilvoller ausgefallen.

Wenn der große Sergej Rachmaninow in den USA auf Tournee war, ließ er an die Reisezüge einen eigenen Wagon samt Flügel anhängen – ach, es waren eben andere Zeiten. Daniil Trifonov benutzt für seine Konzertreisen selbstverständlich den Flieger, und das nicht gerade selten. Seit der Russe 2011 den Tschaikowsky-Wettbewerb gewonnen hat, ist er die meiste Zeit des Jahres unterwegs. Etwa 130 Konzerte habe er seitdem im Schnitt jährlich gespielt, erzählt Trifonov beim Gespräch in einem trendigen Innenstadthotel in der Nähe der Albertina.

Weniger Konzerte, mehr komponieren

Ein Blick in sein Kalendarium verrät: Allein im ersten Halbjahr 2019 interpretiert der 27-Jährige acht verschiedene Konzerte für Klavier und Orchester, er gibt Soloabende, spielt Kammermusikkonzerte und Liederabende. "Für die nächste Saison plane ich allerdings ein Semi-Sabbatical", verrät Trifonov. "Ich werde mich auf 60 Konzerte pro Saison beschränken. Denn ich möchte an neuem Repertoire arbeiten, Bachs Die Kunst der Fuge und die dritte Sonate von Brahms. Und ich möchte komponieren."

Trifonov arbeitet im Moment an einem Liederzyklus für Bariton und Klavier, er vertont hierfür Gedichte von Vladimir Nabokov, Joseph Brodsky und Arseni Tarkowski, dem Vater des berühmten Filmregisseurs Andrei Tarkowski. "Bei der Komposition denke ich natürlich an Matthias Goerne, mit dem ich viel musiziere. Und ich arbeite auch an einem Doppelkonzert für Klavier und Violoncello – die Orchestrierung ist noch nicht abgeschlossen."

Heiliger Ernst, glühende Intensität

Im kommenden Juni interpretiert er mit dem ORF RSO Wien im Musikverein auch sein eigenes, erstes Klavierkonzert. Er hat es im Alter von 21 Jahren für das Cleveland Institute of Music geschrieben, wo er von von 2009 bis 2011 bei Sergei Babayan studierte, nachdem er zuvor am Moskauer Gnessin-Institut fast zehn Jahre lang von Tatiana Zelikman unterrichtet wurde. Bei der Komposition seines Klavierkonzerts sei er damals von der exzentrischen, launischen Grundstimmung von Prokofiews zweitem Konzert sowie von Schönbergs Drei Klavierstücken op. 11 inspiriert gewesen. "Aber ich komponiere jetzt in einem anderen Idiom als damals."

Trifonov beantwortet Fragen äußerst sachlich – so, als hätte er konzentriert eine Rechenaufgabe zu lösen. Er spricht schnell, schaut dabei zur Seite, und stoppt seine Rede abrupt. Seine blassen Hände sind schmal, seine Schüchternheit verleiht dem jungenhaften Mann etwas leicht Hölzernes. Der Musiker scheint im sozialen Umgang weniger geübt zu sein als in der künstlerischen Expression – denn am Klavier kann er alles und mehr. Trifonovs Debüt im Wiener Konzerthaus vor knapp fünf Jahren war ein unglaubliches Erlebnis: Jeder Ton war durchdrungen, befeuert von einer existentiellen Dringlichkeit, einer glühenden Intensität, einem heiligen Ernst. Am Ende seines Soloabends im Mozart-Saal nahm der Pianist den begeisterten Beifall des Publikums klatschnass entgegen.

Beethoven und Schumann

Bei seinem Solokonzert im Musikverein Ende Februar wird er ein Programm mit Stücken spielen, die eine kuriose Entstehungsgeschichte haben. Beethovens Andante favori, so erzählt Trifonov, war eigentlich als langsamer Satz der Waldstein-Sonate gedacht, Schumanns Presto passionato sollte ursprünglich das Finale seiner zweiten Sonate sein. Schumanns Bunte Blätter wiederum bestünden aus Stücken, die es nicht in andere Zyklen geschafft hätten – unberechtigterweise: "Für mich sind die Bunten Blätter nach den Kinderszenen sein schönster Zyklus."

Die Akustik des Großen Musikvereinssaals erinnert Trifonov an die der etwas größeren Wigmore Hall: "Die Töne bekommen hier eine opake Ummantelung, die tieferen Register klingen warm. Beim Tempo muss man aufpassen und darf nicht bei allen Passagen ans Maximum gehen." Vier Tage vor seinem Recital wird Trifonov im Musikverein zudem Ravels Klavierkonzert spielen, mit Sir Simon Rattle und dem London Symphony Orchestra.

Ein Mann für die große Stadt

Der Lebensmittelpunkt des Jetsetters ist seit einigen Jahren New York. Und wenn Daniil Trifonov über die Metropole spricht, beginnt er auch endlich etwas aufzutauen: "Ich liebe die Stadt, sie ist multikulturell und voll von Energie. Und obwohl New York eine Millionenmetropole ist und ein Touristenmagnet, gibt es dort viele Viertel, wo es ruhig ist und gemütlich: Battery Park City, Tribeca, Greenwich Village, Chelsea… Ich bin definitiv ein Downtown-Mensch!"

Trifonov hat als Pianist alles erreicht, er zählt zu den Besten der Welt. Was wünscht sich der disziplinierte Hochleistungssportler der Künste für seine Zukunft? Er überlegt: "Eine bessere Balance zwischen Podium und Privatleben." Detaillierteres dazu will er auf Nachfrage nicht äußern. Doch New York und das Private müssen sowieso erst einmal warten, Trifonov eilt davon, zum Üben. Die Aufnahmen für die nächste CD stehen an: Werke von russischen Komponisten des frühen 20. Jahrhunderts, mehr darf er nicht verraten. Das Königreich von Ebenholz und Elfenbein verlangt nach seinem schüchternen Prinzen. (Stefan Ender, 19.2.2019)