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Eine Metro passiert einen Slum in Mumbai: Viele informelle Siedlungen stehen auf steilen Berghängen. Kommt es zu Hangrutschungen, trifft es zuallererst die Ärmsten.

Foto: Reuters / Francis Mascarenhas

Von den fast acht Milliarden Menschen auf der Erde lebt inzwischen mehr als eine Milliarde in Slums. Die Behausungen dort sind meist illegal errichtet, sodass ihre Bewohner weder Rechte noch Zugang zur städtischen Infrastruktur mit Strom- und Wasserversorgung etc. haben. Die existenziellen Unsicherheiten, mit denen sie zu kämpfen haben, potenzieren sich durch den Klimawandel – was laut Prognosen in Zukunft dazu führen wird, dass immer mehr Menschen ihre Heimat verlieren.

"Oft werden die Hütten mangels erschwinglicher Alternativen an Orten errichtet, die aus gutem Grund vorher nicht besiedelt waren", erklärt Tania Berger, Leiterin des Fachbereichs Sozialraum und Migration an der Donau-Universität Krems. "Auf Überschwemmungsland, an steilen Berghängen oder auf sumpfigen, malariagefährdeten Arealen." Kommt es zu Überflutungen oder Hangrutschungen, trifft es zuallererst diese informellen Siedlungen, die zudem größtenteils aus kaum widerstandsfähigen Materialien bestehen.

Luxusapartments statt Slums

Das Phänomen ist bekannt – aber was kann und will man dagegen unternehmen? "In Indien etwa hat der Staat bereits gut finanzierte Programme zur Slumrehabilitation gestartet", sagt die Architektin und Nachhaltigkeitsexpertin. Das Problem dabei: "Die Stadtplanungs- und Verwaltungsbeamten haben oft einen sehr technokratischen und marktwirtschaftlichen Zugang zu diesem Thema."

So werden etwa häufig Slums niedergewalzt, um auf dem frei gewordenen Gelände Luxusapartments zu errichten. Die Erlaubnis dafür erhalten die Immobilienentwickler, wenn sie auf diesen Arealen auch Behausungen für die ehemaligen Slumbewohner bereitstellen. Das Ergebnis solcher Vorgaben sind oft extrem eng nebeneinanderstehende Hochhäuser, in denen bei minimalem Grundverbrauch eine große Zahl mittelloser Menschen untergebracht werden kann.

Damit entstehe allerdings eine Siedlungsform, in der viele ihren Lebensunterhalt nicht mehr verdienen können: "Ebenerdig ist dann kein Platz mehr für die unzähligen, auf Laufkundschaft angewiesenen kleinen Läden und Werkstätten, die den Slumbewohnern vorher ein bescheidenes Einkommen sichern konnten", so Tania Berger.

Es bedarf also sozial nachhaltigerer Stadtplanungskonzepte, um das wachsende Problem der Wohnverelendung zu lösen. Um das nötige Know-how und Bewusstsein dafür zu schaffen, wurde im Rahmen des EU-Förderprogramms Erasmus plus das "Capacity Building"-Projekt unter Beteiligung von sieben Hochschulen aus Indien, Schweden, den Niederlanden und Österreich auf die Beine gestellt.

Architektenausbildung

"Diese internationale Forschungskooperation setzt bei der Ausbildung der künftigen Architekten und Stadtplaner an", erklärt Tania Berger, die für die Koordination des kurz vor dem Abschluss stehenden Projekts verantwortlich ist.

"Da die Studierenden in Indien wie in den meisten Ländern des Globalen Südens aus der Mittelschicht kommen, sind ihnen viele Probleme meist gar nicht bekannt", sagt Berger. Im Projekt Binucom (Building Inclusive Urban Communities) geht es deshalb vor allem um Bewusstseinsbildung. Zu diesem Zweck wurden Erhebungen durchgeführt, Fallstudien erarbeitet und Lehrunterlagen zu Fragen der sozialen Inklusion und Nachhaltigkeit im Umgang mit informellen Stadtquartieren entwickelt.

"Sowohl in diesem Projekt als auch in einer ähnlichen Kooperation mit Äthiopien beobachte ich eine erstaunliche Blindheit der Politik und Administration diesen Themen gegenüber", schildert Berger. Vielleicht einfach Gleichgültigkeit? "Nicht unbedingt", so die Wissenschafterin. "Äthiopien etwa wird von einem kommunistisch angehauchten Parteienbündnis regiert, dem die Linderung der Armut ein echtes Anliegen zu sein scheint."

So sei in den letzten Jahren der soziale Wohnbau massiv vorangetrieben worden – allerdings ohne dabei die Bedürfnisse der Slumbewohner zu bedenken. "In diesen neuen Wohnungen leben jetzt vor allem Mittelschichtfamilien, da sich die Armen weder die Betriebskosten leisten noch auf die fehlenden öffentlichen Transportmittel verzichten können, die sie von den meist abgelegenen Siedlungen zu ihren Arbeitsplätzen und Schulen bringen sollten."

Zerrissene Nachbarschaften

Dass die neuen Siedlungen das Leben der eigentlichen Zielgruppe nicht verbessern, hat auch mit dem ersatzlosen Zerreißen traditioneller Nachbarschaftsnetze sowie der mangelhaften Wartung der Gebäude zu tun. So berichtete eine ehemalige Slumbewohnerin auf dem World Urban Forum in Medellín vor einigen Jahren, dass sie aufgrund des kaputten Aufzugs und defekter Leitungen ihr Wasser seit langem selbst in den elften Stock schleppen müsse.

"Der äthiopische Wohnbauminister hat daraufhin wutentbrannt den Saal verlassen", erinnert sich Berger. "Er war fassungslos ob solcher Undankbarkeit, die es in seinen Augen war." Derartige Verdrängungsmechanismen, meint die Architektin, könne man auch in Mitteleuropa beobachten. Auch hier werden immer mehr marginalisierte Menschen vom Wohnungsmarkt verdrängt, "nur sieht man die Folgen nicht auf den ersten Blick."

Wie man es besser machen kann, zeigen 16 vergleichende Fallstudien, die im Rahmen des Projekts erarbeitet wurden. So hat man etwa im indischen Pune einen Slum gezielt baulich verbessert, statt ihn zu schleifen. Und zwar in enger Kooperation mit den Bewohnern, um ihre tatsächlichen Bedürfnisse besser berücksichtigen zu können.

"Die Planer müssen sich hier auf einen vergleichsweise aufwendigen Prozess einlassen", so die Architektin, "Der lohnt sich aber, weil damit echte und dauerhafte Verbesserungen für die ärmste Bevölkerungsschicht erreicht werden können." (Doris Griesser, 25.2.2019)