Ermacora hofft auf ein Urteil im Sinne von Lukas Müller.

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Im Vorjahr war Lukas Müller (28) zu Gast beim Skifliegen auf dem Kulm. Auch die WM in Seefeld gibt er sich. "Es schmerzt nicht, ich leide eher mit meinen Ex-Kollegen mit, wenn es sportlich nicht läuft."

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Es ist der 13. Jänner 2016, ein Mittwoch. Der Sturz von Lukas Müller überschattet das "Einfliegen" der Vorspringer für die Skiflug-WM auf dem Kulm in Bad Mitterndorf. Noch am Abend desselben Tages wird der Kärntner in Graz operiert.

"Ich hab mir das Genick gebrochen", sagt Müller (26) heute. "Das Gute ist, dass mein Rückenmark nicht komplett durchtrennt ist, ich habe gewisse Restfunktionen wieder erlernen können, und einige sind erhalten geblieben." Er ist inkomplett querschnittgelähmt, sitzt im Rollstuhl und sorgt sich um seine Zukunft. Der Skiverband (ÖSV), dessen Tochter Aus tria Ski WM- und Großveranstaltungs-GmbH die WM veranstaltet hat, ortet einen Freizeitunfall eines "Neuen Selbstständigen". Vor Gericht bekam der ÖSV zunächst recht. Er verwies am Dienstag in einer Stellungnahme darauf, dass Müller 480.000 Euro aus der ÖSV-Versicherung überwiesen bekam und Anspruch auf weitere 308.000 Euro aus einer Fis-Versicherung hat. Müller will erreichen, dass ein Arbeitsunfall erkannt wird. Er wird in der Revision von Andreas Ermacora vertreten.

STANDARD: In welcher Form war Lukas Müller in die Skiflug-WM 2016 involviert?

Ermacora: Er war Vorspringer. In der internationalen Wettkampfordnung ist festgehalten, dass es eine bestimmte Anzahl von Vorspringern geben muss. Ohne Vorspringer findet keine WM statt. Der Veranstalter, also die ÖSV-Tochter, hat die Vorspringer nominiert. Dann ist der Unfall passiert, und Lukas hat sich verletzt.

STANDARD: Und der Veranstalter hatte Müller nicht versichert?

Ermacora: Es geht jetzt genau um diese Frage. Ich sage, Lukas hätte pflichtversichert sein müssen, der ÖSV hätte dafür Sorge tragen müssen. Auch die Kärntner Gebietskrankenkasse hat die Frage so beantwortet, als die AUVA festzustellen begann, ob ein Arbeitsunfall vorliegt oder nicht. Dagegen hat der ÖSV Beschwerde erhoben, der Beschwerde wurde vom Bundesverwaltungsgericht Folge gegeben. Aber das Gericht hat eine ordentliche Revision zugelassen.

STANDARD: Müller zählte damals nicht zur ersten Garnitur, er war, anders als viele Spitzensportler, auch nicht beim Heer oder bei der Polizei angestellt.

Ermacora: Bei der WM hat er eine persönliche Arbeitspflicht übernommen. Er hatte nicht die Möglichkeit, die vereinbarte Leistung an Dritte abzutreten oder sanktionslos abzulehnen. Es war ein Weisungsrecht des Veranstalters gegeben, es hat sich um eine, wie es heißt, stille Autorität des Dienstgebers gehandelt. Es war klar, dass er springt und dem Veranstalter Mitteilung erstattet. Lukas Müller war in das Gesamtgeschehen eingebunden. Er war nicht selbstständig. Ich gehe davon aus, dass auch Ordner, die bei einem solchen Event tätig sind, geringfügig angestellt und natürlich versichert sind. Auch dem Ordner kann etwas passieren, er kann ausrutschen, oder er bekommt einen Schneeball ins Auge.

STANDARD: Wurde Müller bei der WM für seine Tätigkeit als Vorspringer bezahlt?

Ermacora: Er sollte, wie alle anderen Vorspringer, hundert Euro pro Tag erhalten. Er hat später ja auch nicht nur 200 Euro, sondern die 600 Euro für alle sechs Tage bekommen. Das liegt schon über der Geringfügigkeitsgrenze. Der ÖSV hat argumentiert, Lukas Müller sei mit seinem eigenen Paar Ski und in seinem eigenen Anzug gesprungen, weil diese Sachen vorher schon in seinen Besitz übergegangen waren. Ich sage, er hat eine Startnummer der Veranstaltung getragen, er hat für Sponsoren der Veranstaltung geworben. Lukas Müller war kein Hobbysportler, er wollte sich bei der WM präsentieren, er wollte zurück in einen Kader kommen.

STANDARD: Eine Revision ist etwas anderes als ein Einspruch. Worauf begründen sich Ihre Hoffnungen, dass zugunsten von Müller geurteilt werden könnte?

Ermacora: Es stimmt, dass in solchen Fällen oft am grünen Tisch entschieden wird. Aber der Verwaltungsgerichtshof hat auch die Möglichkeit, noch eine mündliche Verhandlung anzuberaumen. Darauf hoffen wir, deshalb haben wir einen Antrag auf Durchführung einer solchen Verhandlung gestellt. Wir haben auch noch einige Zeugen beantragt, andere Vorspringer und auch Alexander Pointner, den ehemaligen Cheftrainer der ÖSV-Skispringer.

STANDARD: Wieso Pointner?

Ermacora: Damit interne Abläufe besser beurteilt werden können und damit man weiß, welche Aufgaben ein Vorspringer bei einem solchen Bewerb übernimmt.

STANDARD: Können Sie sich erklären, warum der ÖSV dagegen vorgeht, dass die GKK den Sturz von Müller als Arbeitsunfall einstufte?

Ermacora: Das ist wohl eine Kostenfrage. Da geht es um Sozialversicherungsabgaben, die ein Verband oder ein Veranstalter künftig zu entrichten hätte. Da geht es um viel Geld. Der Sport bewegt sich oft in einem Graubereich, weil nicht nur Sportler, sondern auch viele Trainer nicht angestellt sind.

STANDARD: Seitens des Skiverbands hat es nach dem Unfall geheißen, man werde "alles für Lukas Müller und seine Familie tun". Drei Jahre danach sieht es anders aus. Ist der ÖSV gut beraten, sich diese Flanke aufzumachen?

Ermacora: Da entschlage ich mich.

STANDARD: Der Fall Müller ist kein Einzelfall. Im Juni 2015 wurde bei den Olympischen Europaspielen in Aserbaidschan die damals 15-jährige Synchronschwimmerin Vanessa Sahinovic von einem Shuttlebus der Organisation überfahren. Sie ist seither querschnittgelähmt. Erst zwei Jahre später wurde dieser Unfall als Arbeitsunfall eingestuft.

Ermacora: Das zeigt, dass Handlungsbedarf gegeben ist. Der Gesetzgeber, der Bund müsste das regeln. Der Fall Müller ist ein Präzedenzfall. Und es schadet sicher nicht, dass sich jetzt auch die Fußballer-Gewerkschaft für Lukas Müller einsetzt. (Fritz Neumann, 19.2.2019)