Unser Autor kramte in alten Kisten nach Postkarten, die ihn auf eine kleine Weltreise schickten. Auf dieser traf er so manchen Absender im Geiste wieder. Der Philokartie ist er (noch) nicht verfallen. So wird das Sammeln und Erforschen von Postkarten genannt.

Foto: Lukas Friesenbichler

Francis Scott Fitzgerald muss ein einsamer Mann gewesen sein. Derart einsam, dass sich der Schriftsteller selbst eine Postkarte schrieb. "Lieber Scott, wie geht's dir? Ich überlege, dich zu besuchen. Ich wohne im 'Garden of Allah'. Viele Grüße. Dein Scott Fitzgerald", ist auf der Karte aus Hollywood zu lesen. Heute würde er sich wahrscheinlich eine SMS senden.

Ich schreibe mir keine Karten. Ich habe meinen Neffen Oskar. Er schickt mir, seit er des Schreibens mächtig ist, von Zeit zu Zeit eine Postkarte. Vor einem Jahr trudelte eine von den Kanarischen Inseln ein. Darauf gibt's einen alten Esel zu sehen. Auf der letzten Karte, die er mir zusandte, räkelt sich eine nackige Strandmaid. Oskar ist jetzt 16.

Seine Karten landen nicht etwa in meinem Briefkasten, sondern an der Bar meines Stammlokals. Wer weiß heute noch Hausnummern auswendig oder Postleitzahlen? Es ist wie mit Telefonnummern. Stammlokale merkt man sich. Sonst wären es keine Stammlokale.

Unsexy Zwitterlösung

Früher war das anders. Früher kannten wir Straßennamen und Telefonnummern. Früher schrieben wir Postkarten, berichteten in knappen Sätzen von kleinen Abenteuern aus aller Herren Ländern, anstatt Selfies von jedem zweiten Eck zu posten. Zwar gibt es sie noch, die gute alte Postkarte, doch geht es ihr wie dem Brief mehr und mehr an den Kragen. Laut einer britischen Umfrage schrumpfte der Postkartenmarkt zwischen 1997 und 2007 um 75 Prozent.

Bei der Österreichischen Post hat man keine Zahlen parat, weil "für die Postkarte derselbe Tarif wie für einen Brief anfällt und die Maschinen beim Zählen keinen Unterschied machen", weiß Michael Homola von der Post. Eine Art Zwitterlösung bietet die Post mit einer völlig unromantischen Postkarten-App. "Foto mit dem Smartphone knipsen, Layout wählen, Grußtext schreiben – den Rest erledigt die Post. Für nur EUR 1,99 wird eine echte Postkarte gedruckt und weltweit zugestellt", heißt es auf der Website der Post. Sachen gibt's.

Kuchen teilen

Bernhard Helminger, Geschäftsführer des Salzburger Postkartenverlags Colorama spricht von einem deutlichen Rückgang während der vergangenen zehn bis 15 Jahre. Um zwei bis drei Prozent gingen die Zahlen jährlich runter. Sein Glück im Unglück: Von den acht Salzburger Verlegern, die sich früher den Kartenkuchen teilten, sind es nur noch zwei, die darauf hoffen, dass ein bestimmtes Mindestmaß an willigen Kartenschreibern bestehen bleibt.

Dabei blickt die Postkarte auf eine glorreiche Vergangenheit zurück: Angefangen hat die Geschichte der Postkarte – abgesehen von entfernt verwandten Vorläufern – vor 150 Jahren in Wien. Am 26. Jänner 1869 erscheint in der Neuen Freien Presse ein Artikel über "eine neue Art der Correspondenz mittels der Post". Ein gewisser Emanuel Herrmann, Professor an der Technischen Hochschule in Wien sowie Namensgeber für Park und Strandbar bei der Wiener Urania, regt die Einführung der Postkarte an, die seinerzeit noch keine Motive zeigt – weder Stephansdom noch Esel, auch keinen Nackedei.

Kein Leiberl

Postdirektor Ritter von Maly greift Herrmanns Gedanken auf und nimmt die neue und viel günstigere Art der Kommunikation ab 1. Oktober 1869 ins Programm. Andere Länder ziehen bald nach, trotz einiger Spießer, die dem Kärtchen naserümpfend gegenüberstehen. Schließlich kann die Postkarte mit ihren 8,5 mal 12,2 Zentimetern vor allem in Sachen Vertraulichkeit nicht mit einem versiegelten Brief mithalten. Auch ist davon zu lesen, dass sich diese Art der Korrespondenz "höchstens der Jugend zieme, keinesfalls aber den wohlerzogenen, vornehmen Menschen aus guter Gesellschaft".

Die Miesmacher hatten allerdings kein Leiberl. Bereits im ersten Monat nach der Einführung ging mit 1,4 Millionen Karten in der Donaumonarchie die Post ab. Während der ersten Jahrzehnte durfte die Vorderseite der Karte übrigens lediglich für die Anschrift verwendet werden, die Rückseite für den Text plus einem Zusatz, mit dem die Post die Verantwortung für das Geschriebene von sich wies.

Eine Art Ur-SMS

Erst um die Jahrhundertwende kam die Karte im Großen und Ganzen zu ihrem heutigen Layout und zu Motiven aller Art. Auch änderte sich während der Zeit immer wieder einmal die Bezeichnung für die umgangssprachlich Postkarte genannte Kurzmitteilungsform. Je nach Gestaltung und Ära wird sie unter anderem auch "Correspondenzkarte" oder "Ansichtskarte" genannt.

Der Grund für den weltweiten Erfolg der Karte, die 1873 auch in den USA eingeführt wurde, lag am deutlich günstigeren Porto und an der Möglichkeit, sich auf die wichtigsten Mitteilungen zu begrenzen. Sie könnte auch als eine Art Ur-SMS bezeichnet werden, denn was ist die Postkarte anderes als ein Short Message Service, wenngleich sie ungleich länger unterwegs ist als ihr digitaler Nachfahre, der 1992 zum ersten Mal verschickt wurde.

Es macht Klack

Unterm Strich gibt es gute Argumente dafür, der Postkarte nicht den Garaus zu machen. Das fängt beim Postkartenständer an, der gleich einer einzigartigen Skulptur Readymade-tauglich mit seinen bunten Karten vor so mancher Trafik steht. Er würde fehlen, oder?

Postkarten stehen für Wertschätzung, denn sie sind aufwendig in vielerlei Hinsicht. Ein geeignetes Motiv mag gesucht und gefunden werden, auch kommt die Postkarte im Gegensatz zum Smartphone nicht ohne Briefmarke aus. Ist diese aufgetrieben, muss nach ihrer Befeuchtung ein Vertreter der immer rarer werdenden Gattung Briefkasten ausfindig gemacht werden. In dessen dunklem, oftmals leerem Bauch verschwindet die Karte mit einem charakteristischen Klack, gefolgt vom Gedanken, ob das Ding denn auch ankommen wird und Adresse oder Stammlokal eh stimmen.

Hemingway & Rilke

Dann wäre auch noch die Sache mit dem Schreiben. Der Denkfaule macht es sich leicht, berichtet grüßend in zwei Zeilen von Sonnenschein oder Hotelbuffet. Der Böswillige schreibt, "Bin froh, dass Du nicht da bist", und wieder ein anderer kritzelt von der Muse geküsst die gesamte Karte in Punktgröße 4 mit seinen Ergüssen voll, als wäre er Hemingway auf Safari oder Rilke im Liebesrausch.

Aber egal wie hingeschludert oder liebevoll der Text ausfallen mag, eine Postkarte im Briefkasten zaubert ihrem Empfänger in der Regel ein kleines Lächeln auf die Lippen. Sie ist ein Unikat, und während die meisten Whatsapp-Nachrichten längst virtuell zerknüllt im Papierkorb liegen, hängt so manche Karte noch auf der Pinnwand im Büro oder sonst wo. Dort begehrt sie geduldig auf gegen den digitalen Trudel des stressigen Kommunikationsalltags.

Gedanken zum Angreifen

Und noch ein Punkt geht an die Postkarte. Das Schreiben mit der Hand stellt etwas Sinnliches dar, etwas Haptisches. Mit dem Stift zu schreiben erzeugt eine Verbindung zwischen Geist, Fingern, Papier und dem Adressaten der Postkarte, die, etwas pathetisch formuliert, zu einer Art Gedanke zum Angreifen wird. Längst weiß man, dass ein Zusammenhang besteht zwischen der Fähigkeit, flüssig zu schreiben, und dem Können, sich Texte und deren Sinn einzuprägen. Man darf also ruhig etwas mehr auf die Karte schreiben als "Wetter schön, Essen gut".

Ein Meister im Kartenschreiben war der 1997 verstorbene Schriftsteller Jurek Becker, unter anderem Autor des Romans Jakob der Lügner. Auf einer von unzähligen Karten an seine Frau schrieb er: "Du süße Blutwurst, weißt Du eigentlich, dass ich Dir nicht nur deswegen Karten scheibe, um Dir eine Freude zu machen? Denn gewöhnlich, wenn ich Dir schreibe, bist Du ja nicht hier; und wenn ich Dir schreibe, bist Du eben doch ein bisschen hier. So sieht's aus." Also her mit Stift, Karte und Marke. (Michael Hausenblas, RONDO, 27.2.2019)