Die Flughäfen und Banken dieser Welt sind ihre natürlichen Biotope. Sie treten gern in Gruppen auf, haben es immer eilig – und tippen manisch auf ihren Laptops und Smartphones herum. Es gibt viele von ihnen, aber trotzdem bleiben sie weitgehend unsichtbar. Ihre Kleidung verrät nichts Persönliches. Sie sind neutral wie die Schweiz.

Keine Frage, Anzugträger sind eine Spezies für sich. Dieser Klassiker der Herrenbekleidung macht aus einem Individuum einen Leistungsbringer, der Teil eines produktiven Kollektivs ist. Man signalisiert mit einem Anzug Seriosität und zeitlose Eleganz. Man gibt zu verstehen, dass man sich um wichtigere Dinge kümmern muss, als sich möglichst originell anzuziehen.

"Der männliche Anzug ist die Uniform der Demokratie", schreibt die deutsche Modetheoretikerin Barbara Vinken in ihrem Buch Angezogen. Man könnte ergänzen: Er ist die Uniform des globalen Kapitalismus, konservativ und angepasst, ein Kleidungsstück, in dem der Mensch dem Markt dient.

Feine Unterschiede

Natürlich ist der Mythos, dass uns Anzüge alle gleich machen, verlogen. Gerade weil sie so ähnlich sind, fallen die feinen Unterschiede in Qualität, Farbe oder Schnitt umso deutlicher auf: die zu breit geschnittenen Sakkos, die ihre Träger wie überforderte Firmlinge aussehen lassen, oder die glänzenden Polyesterstoffe.

Ganz so demokratisch ist der Anzug also doch nicht. Der perfekt sitzende Anzug ist wie das ideale weiße T-Shirt schwierig zu finden. Aber Vinken spielt mit ihrem Zitat auch auf eine historische Dimension an, die man leicht übersieht, weil sich unser Bild von Männlichkeit und Mode verändert hat.

Vor der Französischen Revolution zeigten Männer ihre Beine in Strumpfhosen, sie betonten den Po und den Penis mit sogenannten Schamkapseln und trugen wahnwitzige Perücken. Ihre Outfits waren pompös wie in dem gerade im Kino laufenden Historienfilm The Favourite, der die Dekadenz der herrschenden Klasse vor Augen führt.

Im letzten Jahrzehnt hat der Anzug deutlich an Überzeugungskraft verloren.
Foto: Getty Images/iStockphoto/champja

Die Herren der Schöpfung galten lange als das schöne Geschlecht. Erst mit dem Aufkommen des Bürgertums, das sich vom verschwenderischen Adel abgrenzen wollte, wurde der männliche Körper durch Kleidung neutralisiert. Die als frivol verschriene Mode wurde ab diesem Zeitpunkt den Frauen zugeschrieben.

Der schmucklose Anzug der Männer hingegen stand für eine bürgerliche Ethik, die auf Arbeit und Understatement setzte. Den Status der Businessmänner sollten fortan die Frauen ausdrücken, die sich als Schmuckstücke zu inszenieren hatten. Ein Sexismus, der bis in die Gegenwart fortwirkt.

Im letzten Jahrzehnt hat der Anzug deutlich an Überzeugungskraft verloren. Er wirkt wie ein Relikt aus alten, steifen Zeiten. Die Hipster in Silicon Valley entdeckten Sneakers und Hoodies als Businesskleidung und neue Statussymbole, um sich von ihrer Vätergeneration als kreativ abzugrenzen. Sie wollen nicht mehr als graue Mäuse auftreten.

Die meisten Männer, die Anzüge nicht im Beruf tragen müssen, haben bestenfalls ein Exemplar in ihrem Schrank hängen, um für Hochzeiten und andere Festlichkeiten gewappnet zu sein. Der Siegeszug der Freizeitmode hat den klassischen Zweiteiler zurückgedrängt. Und falls doch Anzug im Alltag, dann zumindest mit Turnschuhen und Jutetasche.

Tailoring statt Streetwear

Umso erstaunlicher war bei den aktuellen Modenschauen in Paris für Winter/Herbst 2019, dass alle führenden Herrenlabels Anzüge im Sortiment hatten. "Tailoring is back", titelten die Magazine, die Männermode werde erwachsen. Man spürte ein Aufatmen: endlich keine Sweater mit Logos mehr!

Viele sind es müde, überteuerte Pullis und Sneakers in der High Fashion zu sehen. Der Streetwear-Trend hat seinen Peak erreicht. "Wir brauchen eine neue Form, eine neue Silhouette", verkündete der belgische Modemacher Raf Simons, der selbst maßgeblich zum Siegeszug der Streetwear beigetragen hatte: "Mittlerweile gibt es zu viele Hoodies mit Prints. Etwas muss sich ändern."

Bieder wirken die neuen Anzüge trotzdem nicht. Die Lässigkeit der Streetwear hat sich eingeschrieben, die Anzüge schmiegen sich leger um den Körper, die Hosen hängen im Baggy-Stil lose auf den Hüften. Machohafte Männlichkeit wird durch verspielte Elemente durchbrochen, wie unter anderem Kim Jones mit seinen floralen Prints für Dior zeigte.

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Von Hoodies hat die Männermode genug, jetzt kommen die Anzüge. So wie hier mit fliederfarbenen Ärmeln beim französischen Haus Dior.
Foto: AP Photo / François Mori

Bei Valentino ließ Pierpaolo Piccioli die Herren zu den Anzügen Socken und Birkenstock-Schlapfen tragen. Auch die Farben spielen verrückt, es gibt Modelle in Flieder und Lila, die Schnitte und Materialien sind extravagant. Manche Models trugen über dem Sakko lässig einen Sweater. Alles ist möglich: Hauptsache, es sieht nicht nach ödem Businesstermin aus.

Besonders beliebt ist es gerade, ein Ledergeschirr, wie man es aus der Schwulenszene kennt, über dem Hemd oder dem Jackett anzulegen. Die Schauspieler Timothée Chalamet ("Call Me by Your Name") und Michael B. Jordan ("Black Panther") machten es bei den Golden Globes und SAG Awards vor. Verantwortlich für den sexy Look war natürlich Hype-Designer Virgil Abloh, der für die Männerlinie von Louis Vuitton zuständig ist.

Keine Frage, der Anzug feiert sein großes Comeback. Sein spießiges Image hat er abgelegt. Die aktuelle Männermode beweist, dass vor allem junge Kunden nicht nur die Lust, sondern auch den Mut haben, sich herauszuputzen. Endlich mal ein sinnvoller Trend: Es ist ohnehin höchste Zeit, dass die Männer wieder das schöne Geschlecht werden. (Karin Cerny, RONDO, 13.4.2019)