In Berlin wurde Wohnen zum Luxusthema – nicht nur in höheren Lagen.

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An den Brief, der ihn zum Schrecken von "Miethaien" machte, kann sich Rouzbeh Taheri gut erinnern. 2011 war es, der heute 45-Jährige lebte in einer Mietwohnung in Berlin-Neukölln. Eines Tages teilte ihm sein Vermieter mit, dass er künftig wegen der Modernisierung des Hauses mehr Miete verlangen werde. Doch Taheri solle sich keine Sorgen machen. Er werde dies alles bei den Heizkosten einsparen.

"Es stimmte allerdings nicht, in Summe sollte ich mehr zahlen – diese Geldschinderei hat mich wahnsinnig geärgert", erinnert sich Taheri im Gespräch mit dem STANDARD. Er wehrte sich erfolgreich, doch die Wut blieb.

Ein Hauch von Sozialismus

Wie Taheri geht es vielen der 3,6 Millionen Einwohner der deutschen Hauptstadt. Selbst bescheidenes Wohnen ist zum Luxus geworden. Volkswirt Taheri und einige Mitstreiter treten nun für einen radikalen Wandel und einen Hauch von Sozialismus ein. Sie wollen die Enteignung aller, die in Berlin mehr als 3000 Wohnungen besitzen.

"Deutsche Wohnen & Co enteignen, Spekulation bekämpfen", lautet der Titel eines Volksbegehrens, das am 6. April startet. Die "Deutsche Wohnen", die es in den Aufruf "geschafft" hat, ist nicht die einzige, aber die größte börsennotierte Wohnungsgesellschaft in Berlin. 2015 versuchte sie erfolglos die Wiener Conwert zu übernehmen, in Berlin vermietet sie rund 100.000 Wohnungen.

Berufung auf Grundgesetz

Insgesamt wären, wenn der rot-rot-grüne Senat den Plänen folgen würde, rund 250.000 Wohnungen betroffen, schätzt man beim Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen. Doch so weit ist es natürlich noch nicht, wenngleich die Initiatoren des Volksbegehrens jede Menge Rückenwind verspüren.

54,8 Prozent der Berliner sprechen sich in einer Civey-Umfrage für den "Tagesspiegel" dafür aus, 34,3 Prozent sind gegen Enteignungen. Wobei "Enteignung" nicht ganz das richtige Wort ist. "Da wollten wir natürlich zuspitzen, um zu provozieren und denen Angst machen, die Mietern Angst machen", sagt Taheri. Genau gesagt tritt die Initiative für eine "Vergesellschaftung" ein.

Im Text für das Volksbegehren wird der Senat "zur Erarbeitung eines Gesetzes zur Überführung von Immobilien sowie Grund und Boden in Gemeineigentum zum Zwecke der Vergesellschaftung nach Artikel 15 Grundgesetz" aufgefordert.

Anstalt des öffentlichen Rechts gründen

Der Artikel 15 im Deutschen Grundgesetz lautet: "Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung (...) in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden." Dafür soll laut der Initiative eine Anstalt des öffentlichen Rechts gegründet werden.

Vorbild ist für Taheri Wien mit seinen vielen Gemeindebauten: "Es gibt einen großen Wohnsektor, der nicht profitorientiert arbeitet."

Für Berlin käme die Sache nicht billig. Zwar sollen der Deutschen Wohnen & Co Entschädigungen unter dem Marktwert gezahlt werden, aber auch das würde Milliarden kosten. Die Schätzungen belaufen sich auf 25 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Der Berliner Haushalt umfasst ein Volumen von 28 Milliarden Euro.

Senat verkaufte viele Objekte

Pikanter Aspekt der Geschichte: Berlin würde von der Deutschen Wohnen jene Wohnungen zurückholen, die nach der Wende bis nach dem Jahr 2000 an private Investoren verkauft wurden. Damals stieß der klamme Senat knapp 200.000 Wohnungen ab. 2005 waren von einst 482.000 landeseigenen Wohnungen nur noch 273.000 übrig. Heute verfügen die sechs landeseigenen Wohngesellschaften über einen Bestand von 308.000 Wohnungen.

Während die Opposition (CDU, FDP, AfD) und Wirtschaftsverbände gegen die Pläne Sturm laufen, ist der Senat gespalten. Den Linken gefallen die Pläne, dem SPD-Nachwuchs auch, die Grünen überlegen noch, Bürgermeister Michael Müller (SPD) will die Wohnungen lieber zurückkaufen.

Kritik am Volksbegehren übt Wilhelm Breuer von der Fakultät Management, Soziale Arbeit, Bauen an der Hochschule für Angewandte Wissenschaft in Holzminden (Niedersachsen): "Durch Enteignungen entsteht ja nicht eine Wohnung mehr."

Er rät nicht nur der Stadt Berlin, sondern auch anderen Kommunen: "Sie sollten Bauland ausweisen, Baugenehmigungsprozesse beschleunigen, auch selbst bauen, aber keinesfalls Investoren verschrecken." Dabei wäre es gut, über den Teller- beziehungsweise Stadtrand hinauszusehen. Breuer: "Große Städte müssen mit dem Umland gemeinsam nach Lösungen suchen." (Birgit Baumann aus Berlin, 22.2.2019)