Es hat sich viel verändert, und nicht zum Besseren: Nationalismus, Fremdenfeindlichkeit, Islamophobie, Rhetorik gegen Einwanderer, Antisemitismus.

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Vieles ist so geblieben, wie es damals war: Noch immer gibt es einen linken antiisraelischen Diskurs, der von Zeit zu Zeit antisemitischen Stimmungen Vorschub leistet oder gar nur bloße Fassade für diese ist. Teile der gegenwärtigen Labour Party in Großbritannien sind nur ein Beispiel dafür.

Noch immer stößt man auf extreme palästinensische oder arabische Verlautbarungen, in denen sowohl das Ende des jüdischen Staates gefordert wird als auch alte antisemitische Metaphern und Verschwörungstheorien verwendet werden.

Aber es hat sich auch viel verändert, und zwar nicht zum Besseren. Der Aufstieg von Nationalismus, Fremdenfeindlichkeit, Islamophobie, gegen Einwanderer gerichteter Rhetorik und Antisemitismus; das erneute Aufkommen von Populismus, Rassismus, weißem Vormachtsdenken sowie rechtsradikalen Bewegungen und Regierungen; die Erosion von Demokratie, Toleranz, Respekt für die Menschenrechte und einem Gefühl von Verantwortung gegenüber Flüchtlingen und anderen Menschen in Not und schließlich die wachsende Sorge um die eigene physische und wirtschaftliche Sicherheit – die Kombination aus alldem hat in Europa und den Vereinigten Staaten die politische und kulturelle Atmosphäre grundlegend verändert.

Dieser Prozess ist seit über einer Dekade im Gange. Die Wahl Donald Trumps zum Präsidenten der USA spiegelt diesen Trend nicht einfach nur wider, sondern hat ihm zugleich neue Impulse gegeben und ihn beschleunigt. Seine bisher verheerendste Folge geschah just, als ich mich an die Abfassung dieses Postskriptums machte: das Massaker an elf Juden in einer Synagoge in Pittsburgh, verübt von einem schwer bewaffneten und antisemitischen Lastwagenfahrer.

Eine Politik der Anstiftung

Wir dürfen dieses Ereignis nicht als die Tat eines Einzelnen abtun, sondern müssen es verstehen als das Ergebnis einer Politik der Anstiftung und der Lügen sowie der Verbreitung von Verschwörungstheorien durch den Präsidenten der Vereinigten Staaten und der Männer und Frauen an seiner Seite; als das Ergebnis der Mittäterschaft zahlreicher Mitglieder der Republikanischen Partei, die ihre ethischen und moralischen Prinzipien, ihre Werte für den kurzfristigen politischen Gewinn aufgegeben haben; und als das Ergebnis der Unfähigkeit der Demokratischen Partei sowie großer Teile der liberalen amerikanischen Öffentlichkeit, die richtigen Argumente zu formulieren und den finsteren Wellen der Bigotterie, des Rassismus und der Feindseligkeit entgegenzutreten, die diese Regierung an die Macht gebracht haben und in den vergangenen zwei Jahren von ihr aufgewiegelt wurden.

Der Antisemitismus, der in der US-amerikanischen und den europäischen Gesellschaften stets unter der Oberfläche lauerte, der aber aufgrund seiner Assoziation mit dem Nazismus und dem Holocaust als unakzeptabel galt, ja gar als möglicher Karrierekiller, ist nun wieder zutage getreten.

Die neuen Demagogen und Populisten, für die der US-Präsident als Vorbild dient und denen er Legitimität verleiht, machen ihn wieder respektabel. Dies sind nicht länger sichere Zeiten für Juden. Zum ersten Mal seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges gelten sie nicht mehr als wichtiger Teil der Gesellschaften, in denen sie leben, sondern als Akteure, die diese zersetzen.

Verschwörungstheorien

Israelische Regierungen verweisen zunehmend auf den Holocaust, um ihre Unterdrückung der Palästinenser zu rechtfertigen, während sie zugleich die Gewalt dieser Unterdrückung verschlimmert haben. Kritik am Regierungshandeln, Diskussionen über von den israelischen Streitkräften begangene Kriegsverbrechen, sogar der Verweis auf Menschenrechte und internationales Recht werden in Israel häufig nicht nur als antizionistisch, sondern als antisemitisch betrachtet.

Umgekehrt verwenden Neonazis und weiße Suprematisten, nicht zuletzt in den USA, die Handlungen des israelischen Staates als Argumente gegen Juden in allen anderen Ländern. Tatsächlich findet man hier Verschwörungstheorien, auf die sich die Hamas in ihrer Gründungscharta beruft, und von Hitler vertretene Ansichten. Insofern sind antisemitische Verschwörungstheorien das verbindende Glied zwischen Radikalen auf der Linken und auf der Rechten, weißen Suprematisten sowie islamistischen Extremisten.

Das wiederum liefert einer ihrerseits extremer werdenden israelischen Regierung und ihren Anhängern noch mehr Munition, um Gewalt gegen die Bewohner besetzter oder belagerter Gebiete auszuüben und sie zu unterdrücken. Das also ist der Teufelskreis, in dem wir alle heute stecken. Diejenigen unter uns, denen die Geschichte des 20. Jahrhunderts vertraut ist, können die Gegenwart nur noch mit Entsetzen und Beklemmung betrachten. (Omer Bartov, Album, 23.2.2019)