Die Gesellschaft ist gespalten, so lautet seit einigen Jahren der immer wiederkehrende Befund von Analysen zur Lage der Welt. Die Rede ist von der Polarisierung zwischen rechtskonservativen und populistischen Weltsichten auf der einen und liberalen Vorstellungen von Demokratie auf der anderen. Unter dem Titel "European Culture Wars?" veranstaltete die Akademie der Wissenschaften (ÖAW) kürzlich ein Expertenforum zu dem Thema. Gast war der US-amerikanische Soziologe James D. Hunter, der mit dem 1992 veröffentlichen Buch Culture Wars: The Struggle to Define America bekannt wurde, in dem er eine Polarisierung in der amerikanischen Politik und Kultur beschrieb.

STANDARD: Sie wurden mit dem Buch "Culture Wars" bekannt, das Bruchlinien in der Gesellschaft beschreibt, und zwar zu einem Zeitpunkt, als noch nicht jeder davon sprach. Wie kam es dazu?

Die bildungsfernen Schichten waren die Verlierer der Wirtschaftskrise 2008/2009. Donald Trump gab ihnen eine Stimme
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Hunter: Was mich damals beschäftigte, war ein Wandel in der Debatte zwischen Konservativen und Progressiven, zwischen rechts und links. Während des 20. Jahrhunderts diskutierte man in der Gesellschaft hauptsächlich Fragen des Wohlstands: Warum er zum Beispiel nicht gleich verteilt ist? Soziale Fragen standen im Mittelpunkt, die Gesundheitsversorgung zum Beispiel. Aber im letzten Drittel des Jahrhunderts wandelte sich der Diskurs – der Fokus ging von Ökonomie und Politik auf kulturelle Fragen im Zusammenleben über. Die Konservativen unter den Katholiken, Protestanten und jüdischen Bevölkerungsgruppen hatten da mehr miteinander gemeinsam als mit dem progressiven Teil ihrer eigenen religiösen Gemeinschaft. Sie waren einander einig über Geschlecht, Sexualität und Familie. Genauso die progressiven Mitglieder dieser Gemeinden.

STANDARD: War das der ideale Boden für US-Präsident Trump?

Hunter: Seine Wahl hatte mehrere Gründe. Durch die Wirtschaftskrise 2008/2009 kam ein neuer Faktor dazu: Die sozialen Klassen wurden wieder verstärkt spürbar. Die konservativen Kräfte in der US-Bevölkerung haben wenig Zugang zu Bildung, in der Krise blieben sie auf der Strecke und wurden zu den Verlierern. Sie fühlten sich lange vor der Wahl Trumps als Loser. Dann kam der Millionär, der zwar zum Establishment zählte, ihnen aber versprach, dass er ihnen in ihrem Lebenskampf gegen Ungerechtigkeiten helfen würde. Er gab ihrem Hass auf die anderen, die es sich ihrer Ansicht nach gerichtet haben, eine Stimme. Er wurde zu einem Symbol.

STANDARD: Ist er und die Tatsache, dass jemand mit diesem Stil Präsident werden konnte, nicht auch ein Symptom?

Hunter: Das ist er zweifelsohne. Die kulturellen Bedingungen waren ideal für ihn. Hätte es Trump nicht gegeben, man hätte ihn erfinden müssen. Er artikulierte eigentlich nur den Zorn jener, die auf der Verliererstraße waren. Sie wüssten, dass sie "deplorables", Beklagenswerte, waren, lange bevor Hillary Clinton im September 2016 die Hälfte der Trump-Unterstützer als "basket of deplorables" bezeichnete. "Xenophob, homophob, sexistisch und rassistisch" nannte die demokratische Präsidentschaftskandidatin die Wähler ihres politischen Gegners.

Das Kapitol in Washington D.C.: Seit Reagan und Bush Senior kam es am Ende jeder Präsidentschaft zu einer Gegenbewegung – das Wahlpendel schlug in die andere Richtung aus
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STANDARD: Am Ende der Wirtschaftskrise begann die Amtszeit von Barack Obama. Hat seine Administration Fehler gemacht?

Hunter: Die Demokraten haben unter seiner Präsidentschaft an Boden verloren. Die Verlierer der Wirtschaftskrise haben sich kaum von ihm angesprochen gefühlt. Dadurch wurde eigentlich klar, dass sich politische Leader abseits des Establishments durchsetzen werden. Man ging ja allgemein davon aus, dass das Duell um die aktuelle US-Präsidentschaft Clinton gegen Jeb Bush heißen würde. Aber der Sohn des verstorbenen Expräsidenten wurde von den extrem rechten Gruppierungen in seiner Partei aus dem Rennen geworfen. Auch Bernie Sanders, eigentlich Sozialist, war ein Symbol für jene, die die Politik der Etablierten nicht mehr mittragen wollten. Er verlor nur gegen Hillary Clinton in den demokratischen Vorwahlen.

STANDARD: Was geschah mit der zuvor besprochenen Kultur im Zusammenleben, dass das passieren konnte?

Hunter: Sie war in Unordnung geraten, dadurch wurde die Politik zum Spiegelbild. Politische Gegner wurden zu Feinden. Viele sagen, dass die Gesellschaft hoffnungslos gespalten sei, dass die Aufklärung am Ende sei, weil Fakten angezweifelt würden, weil für viele nicht mehr klar sei, was wahr ist und was nicht. Ich glaube aber, dass es wieder eine Gegenbewegung geben wird. Das begann schon mit Ronald Reagan und George Bush senior. Danach kam Bill Clinton, nach ihm wieder ein Republikaner, Bushs Sohn George W., danach Obama und nun Trump. Immer hat eine Gegenbewegung das Ende der Präsidentschaft begleitet, die Leute hatten auf die aktuelle Administration ihren Hass entwickelt. Wobei ich denke, dass der Hass auf Trumps Führung universeller ist.

James D. Hunter schrieb schon Anfang der 1990er.-Jahre das Buch "Culture Wars: The Struggle to Define America"
Foto: Institute for Advanced Studies in Culture

STANDARD: Welche Rolle kann die Wissenschaft dabei spielen?

Hunter: Das Problem ist: Die Wissenschaften haben nicht die Autorität in der Erklärung der Welt, die ihr die Aufklärung beigemessen hat. Das hat viele Gründe, unter anderem auch den, dass Wissenschafter unter Zeit- und Publikationsdruck Ergebnisse publiziert haben, die man nicht wiederholen konnte. Öffentliche Institutionen haben in den USA insgesamt an öffentlichem Vertrauen verloren, das bezieht sich auch auf den Kongress. Die einzige Institution, die gewonnen hat, ist das Militär. In dieser Stimmung und weil viele Menschen gegenwärtig lieber glauben, was ihnen politische Köpfe sagen, haben es die Zweifler an wissenschaftlicher Evidenz richtig weit gebracht. Aus dieser Situation können wir nur wieder rauskommen, wenn wir sachlich bleiben und faktenorientiert argumentieren. (24.2.2019, Peter Illetschko)