Es ist dies einer der Abende, an denen die Guten an schönem Ort zusammenkommen, um sich selbst zu feiern, indem sie die Besten dekorieren. Eine schöne, harmlose Übung. Normalerweise.

Aber die Zeiten sind nicht normal. Solche Anlässe werden mit Bedeutung aufgeladen, ob man das will oder nicht. Und eigentlich will frau/man es eher nicht.

Wir erleben eine Zeitenwende, vielleicht. Eine Wende: sicher!

Wir durften uns jahrzehntelang sicher fühlen. Auf der richtigen Seite, der von Demokratie und Freiheit. Vor siebzig Jahren erklärten die Vereinten Nationen dreißig Menschenrechte zum Grundgesetz der Menschheit. Sie wurden weiter an tausend Punkten der Erde verletzt und mit Füßen getreten, auch im sogenannten Westen, der vor allem auf sie schwor. Aber sie waren auf dem Vormarsch.

Vorangebracht, auch von Journalisten, die es im Westen, ehrlich gesagt, zunehmend bequem hatten, mutig zu sein. Was den Stolz auf den eigenen Mut gelegentlich lächerlich machte, während Kolleginnen und Kollegen anderswo ihre Familien und sich selbst in Gefahr brachten oder hinter Gitter.

Aber im großen Trend der Geschichte war die Freiheit, allen voran Pressefreiheit, auf dem Vormarsch. Es schien selbstverständlich, dass dieser Siegeszug nicht mehr aufzuhalten ist. Dass wir uns als Menschheit den größten Herausforderungen unseres Planeten bald gemeinsam stellen werden. Das können wir heute nicht mehr sagen. Das ist die Wende.

Der Begriff Haltung wird benutzt, um Denk- und andere Faulheit zu verbergen.
Illustration: Felix Grütsch

Zurück zum "majority rules"

Der Vormarsch von Demokratie und Freiheit scheint zum ersten Mal in moderner Zeit gestoppt. Die Vereinfacher starten die Motorsäge und gehen ans Werk. Sie hauen die über Jahrhunderte gereifte Demokratie zurück auf das simple Modell "majority rules" – wer die Mehrheit hat, hat recht. Und zwar jedes Recht!

Sie haben die primitivsten Modelle der Machterlangung perfektioniert. Sie finden immer welche, die benachteiligt sind oder sich so fühlen. Sie finden andere, die daran schuld sein sollen, die man ausgrenzen und angreifen kann. So erlangen sie ihre Macht. Wenn das geschafft ist, geht ihre Säge an die "checks and balances." An alles, was Macht einhegt: Gewaltenteilung, Justiz, und: die freie Presse. Überall dasselbe Modell.

Was mich erschreckt: wie kurz der Weg ist. Wir kennen uns aus mit den etablierten Despoten oder Einparteienstaaten. Die es immer gab. Aber jetzt laufen immer mehr über von Demokratie zu Autokratenherrschaft. In Manila, Brasília, Istanbul, Warschau, Budapest. Washington. Es kommt näher. Man werfe das nicht alles in denselben Topf, aber es bewegt sich in dieselbe Richtung. Und wird übrigens in China gerade mit digitaler Technik auf eine Spitze gehoben, die alle Vorstellungen sprengt.

Da entsteht, unterstützt von totaler Überwachung und künstlicher Intelligenz, eine Diktatur, die von innen heraus nicht mehr zu stürzen sein wird. Wenn wir jetzt nicht höllisch aufpassen, wird die Abkehr von freiheitlicher Ordnung ein bestimmendes Phänomen des 21. Jahrhunderts.

Das haben wir nicht kommen sehen. Was selbstverständlich schien, wird wieder Kampf. Auch für die Presse. Das meint und muss meinen – schnallen Sie sich bitte an – Haltung! Der am schlimmsten missbrauchte Begriff unserer Branche.

Gegen den Strom

Er wird dauernd benutzt, um Denk- und andere Faulheit zu verbergen. Zu oft wird die schnelle, flapsige Bemerkung über Trumps "Dummheit" oder die Vaterlandsliebe eines Patrioten oder die "Gewinnsucht" eines Unternehmens oder, oder, oder, oder ... rausgehauen ohne Recherche, ohne Gespräch, ohne Zuhören, ohne Nachdenken. Da sind sich Redaktionen oft viel zu schnell einig und ersparen dem "kritischen" Kollegen jedes "Gegen-den-Strom-Schwimmen". Wer das als "Haltung" verkauft, begeht Etikettenschwindel.

In Armin Wolfs berühmten Interviews wird gezeigt, dass Haltung nicht vom Himmel fällt. Sie braucht: Schlagfertigkeit, aufrechten Gang, Bürgerstolz vor Fürstenthronen und vor allen Dingen: Arbeit, Arbeit, Arbeit, penible Vorbereitung, die Schlagfertigkeit erst möglich macht.

Man hat Armin Wolf den Vorwurf gemacht, seine Interviews fühlten sich wie Verhöre an. Wissen Sie was? Da ist etwas dran! Höfliche Verhöre, wenn es so etwas gibt. Mit Einstecktuch, sozusagen. Aber Verhöre. Aber das muss einer, der sich anschickt, die Politik eines Landes zu bestimmen, schon aushalten. Das ist nicht Abendunterhaltung – auch wenn's sehr unterhaltend werden kann -, das ist eine Säule demokratischer Ordnung. Und wer es als Politiker ehrlich meint mit dem, was er sagt, geht gestärkt daraus hervor. Das Liveinterview, sagt Armin Wolf, ist die ehrlichste Art der Fernsehberichterstattung. Stimmt.

Attraktive Zielscheibe

Da muss übrigens nicht jede Sekunde in Vollkommenheit fair sein. Es war schon schön zu sehen, wie er einen seiner dankbarsten Interviewpartner dreimal bestreiten ließ, dass ein Papier zwischen FPÖ und der Putin-Partei ein "Partnerschaftsabkommen" sei, bevor er dann den O-Ton einspielte, in dem Heinz-Christian Strache selbst von Partnerschaftsabkommen sprach.

Da wird er dann zum Fuchs, dieser Wolf.

Er ist so erfolgreich auf den großen und den Millionen kleinen Bildschirmen, dass man immer wieder liest, er sei unangreifbar geworden. Soll wohl heißen: unkündbar. Ich wünsche mir, dass das so ist. Kann es aber nicht glauben. Einer, der so herausragt wie Armin Wolf, macht sich zu dem, was amerikanische Bomberpiloten ein "lucrative target" nennen. Eine attraktive Zielscheibe.

Das war auch das, was in meinem Land politischen Strippenziehern die sogenannte Brender-Affäre lohnend erscheinen ließ: der "chilling effect" der kalten Winde seines Sturzes in seiner Wirkung auf Kolleginnen und Kollegen, die unbekannt und unberühmt ihre Arbeit machen.

Einer seiner Gegner hat Wolf "unbotmäßig" genannt. Ein großes Kompliment, natürlich. Man mag darüber lachen. Aber man darf nicht übersehen, dass solche Machenschaften "Botmäßigkeit" fördern. Im Kleinen. Damit nichts mehr so groß wird. Groß wie ein Wolf. (Claus Kleber, 22.2.2019)