In dieser Ausgabe des Familienrats antworten Katharina Weiner vom Jesper-Juul-Familylab in Österreich und der Buchautor, Psychiater und Psychoanalytiker Hans-Otto Thomashoff auf die Frage einer Leserin.

Frage:

"Ich besuche regelmäßig meine fünfjährige Nichte. Sie wohnt in einer anderen Stadt, daher verbringe ich mit ihr und der Familie meines Bruders dann meistens gleich das ganze Wochenende. Bis jetzt haben wir immer die Zeit damit verbracht, zu spielen, ein Haus zu bauen, in den Garten zu gehen. Dieses Mal war es anders: Die Kleine wollte die ganze Zeit nur Videos am Tablet ihrer Eltern schauen. Als ich ihr sagte, dass ich jetzt bald fahre und sie mich so schnell nicht wiedersieht, war ihr das egal. Das war für mich traurig, weil wir eigentlich immer gerne die ganze Zeit miteinander verbracht haben. Aber es ist kein Wunder: Sie darf vom Esstisch aufstehen und Videos am Tablet schauen, wenn sie schon mit dem Essen fertig ist, während wir Erwachsene noch um den Esstisch sitzen und in Ruhe fertig essen.

Ist das Handy erst einmal in der Hand, vergessen viele Kinder aufs Spielen.
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Die Eltern halten sich auch in ihrer eigenen Smartphone-Nutzung nicht zurück. Sie sind sich der Problematik auch bewusst, wissen aber nicht, wie sie damit umgehen sollen. Was tun?"

Antwort von Katharina Weiner:

Das, was ich aus Ihrer Beschreibung herauslese, ist einerseits die Smartphone- und Tabletproblematik – und auch, dass es den Eltern vielleicht generell schwerfällt, sich grundsätzlich zu entscheiden, was ihnen im Familienleben wichtig ist. Erfahrungsgemäß ist die als unangenehm empfundene Tabletnutzung ein Zeichen dafür, dass Eltern sich plötzlich unsicher sind, ob diese Entscheidung richtig war.

Zu Beginn ist es meist ein willkommenes Mittel zur Beruhigung oder Beschäftigung. Trotzdem setzt ein gewisser Suchtfaktor ein, der letztlich ein hohes Konfliktpotenzial auch in anderen Bereichen in sich birgt.

Ein wesentlicher Baustein für das Miteinander ist die Klarheit der Eltern über die eigenen Werte, Bedürfnisse, Gedanken und persönliche Grenzen. Hier gibt es im Laufe des Elternseins oftmals neue Erkenntnisse und somit durchaus legitime neue Rahmenbedingungen.

Ein möglicher Weg aus der Situation, dass es zu einem Problem wird oder gar ist: "Wir haben bemerkt, dass das Tablet und die Smartphones unser Familienleben zu stark beeinflussen. Wir möchten das so nicht mehr und haben uns Folgendes dazu überlegt." Ich möchte nun niemandem Worte am Tablett servieren. Denn wenn es für die Eltern so wirklich stimmig ist, dann findet sich in der Familie selbst eine neue Herangehensweise. (Katharina Weiner, 24.2.2019)

Katharina Weiner ist Familienberaterin, Coach und arbeitet als Trainerin in der Elternbildung. Die Mutter einer Tochter leitet das Jesper-Juul-Familylab in Österreich.
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Antwort von Hans-Otto Thomashoff:

Wissenschaftliche Studien der Universität Leipzig haben ergeben, dass bei Kindern die Gefahr, an psychischen Störungen wie Hyperaktivität oder Aufmerksamkeitsdefiziten zu erkranken, deutlich gesteigert ist, wenn sie häufig elektronische Medien konsumieren. Sie geraten dadurch vermehrt in Konflikte mit Gleichaltrigen, was wiederum zu einer gesteigerten Flucht in virtuelle Welten führt. Ein Teufelskreis entsteht.

Die Annahme ist also richtig, dass es nicht gut für ein Kind ist, ständig am Bildschirm zu hängen. Auch ein junges Gehirn kann süchtig werden. Die Gefahr ist sogar eher noch größer als bei einem erwachsenen Gehirn, weil ein junges Gehirn noch nicht über eine bewusste Steuerung seiner Impulse verfügt. Die dafür in der Großhirnrinde erforderlichen Strukturen müssen erst aufgebaut werden. Gerade deshalb müssen wir Erwachsene dort bewusst steuernd bei unseren Kindern eingreifen, wo dies angebracht ist. Durch Anleitung, aber vor allem durch das von uns gelebte Vorbild. Wenn hier im Beispiel die Eltern selbst andauernd mit ihren Smartphones beschäftigt sind, wie soll ihr Kind da etwas anderes lernen?

Es führt kein Weg an der Realität vorbei: Kinder brauchen Zeit, Zeit von uns Erwachsenen. Zeit, in der wir mit ihnen das wirkliche Leben einüben. Das gilt umso mehr, weil das Angebot in den Medien gerade für Kinder so maßgeschneidert wird, dass es ganz ihre Aufmerksamkeit in Bann zieht. Werbung ist bunt und schillernd und deshalb so verlockend. Ja, die Welt ist dort vermeintlich sogar besser als die Wirklichkeit. "Better than real." Wir Erwachsene durchschauen das. Kinder nicht. Also müssen wir sie davor schützen. (Hans-Otto Thomashoff, 24.2.2019)

Hans-Otto Thomashoff ist Psychiater, Psychoanalytiker, zweifacher Vater und Autor. Zuletzt veröffentlichte Bücher: "Das gelungene Ich" (2017) und "Damit aus kleinen Ärschen keine großen werden" (2018).
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