Der lange angekündigte D-Day im Machtkampf um Venezuela begann um 7 Uhr früh in der kolumbianischen Grenzstadt Cúcuta: Mehrere Dutzend Zivilisten räumten auf der Grenzbrücke "Simón Bolívar" die Sperrgitter beiseite und warfen sie in den Fluss. So wollten sie den Weg freimachen für die humanitären Hilfslieferungen, die die Opposition mit Hilfe der USA, Kolumbiens, Brasiliens und Chiles gegen den Willen von Machthaber Nicolás Maduro am Samstag ins Land bringen wollte. Es war der Auftakt zu einem spannungsgeladenen Tag, an dessen Ende die Bilanz laut der Menschenrechtsorganisation Foro Penal vier Tote, knapp 300 Verletzte, drei verbrannte Lkws und – unterschiedlichen Angaben zufolge – zwischen 23 und 60 Deserteure der Streitkräfte aufwies. Maduro hatte dem ersten Ansturm Stand gehalten.

Ein Demonstrant stellt sich den venezolanischen Sicherheitskräften an der Grenze entgegen.
Foto: Luis ROBAYO / AFP

"Wir haben den Befehl, die Karawane aufzuhalten, notfalls auch mit Waffen", sagte ein Offizier der Nationalgarde, der am Morgen über die Grenzbrücke auf die kolumbianische Seite geflüchtet und sich Gegenpräsident Juan Guaidó unterstellt hatte. Die LKW-Karawanen, die an mehreren Punkten von Kolumbien und Brasilien aus versuchten, die Grenze zu passieren, wurden von Streitkräften und bewaffneten Milizen in Zivil mit Tränengas und Schusswaffen gestoppt. In Santa Elena nahe der brasilianischen Grenze kam es zu Auseinandersetzungen. Dabei starben zwei Indigene. An der Grenze zu Kolumbien, setzte die Nationalgarde Tränengas ein, während eine Vorhut von Milizen Schüsse abfeuerte und Lkws in Brand steckte. Rund 5.000 junge Männer in Zivil, die die Karawane eskortierten, antworteten mit Steinwürfen.

Rund um die Hilfslieferung kam es zu Gewalt.
Foto: Schneyder Mendoza / AFP

Beziehungen zu Kolumbien abgebrochen

Ein von Puerto Rico aus gestarteter Frachter mit Hilfslieferungen wurde von der venezolanischen Küstenwache unter Gewaltandrohung gestoppt. In mehreren Städten Venezuelas demonstrierten Zehntausende vor Kasernen und baten um Durchlass der Hilfe. Maduro warf Kolumbien vor, einer versteckten Invasion Vorschub zu leisten und brach die diplomatischen Beziehungen zu dem Land ab. Vizepräsidentin Marta Lucia Ramírez entgegnete, diese Maßnahme sei sinnlos, da Kolumbien ohnehin keine Beziehungen zu Diktator Maduro unterhalte und keinen Botschafter entsandt habe. Kolumbiens Präsident Ivan Duque appellierte an Maduro, die Barbarei und Gewalt zu beenden.

Der Generalsekretär der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), Luis Almagro, sprach von einer feigen, unwürdigen Aktion. Bolivien und Kuba hingegen stellten sich auf die Seite Maduros. Boliviens Präsident Evo Morales beglückwünschte das "mutige venezolanische Volk", das sich gegen das Trojanische Pferd einer humanitären Invasion gewehrt habe. Durch Hyperinflation, Korruption und Misswirtschaft ist Venezuela in eine tiefe Krise gestürzt. Die Volkswirtschaft ist um die Hälfte geschrumpft, rund 80 Prozent der Venezolaner sind arm, 3,4 Millionen haben laut der UNO in den vergangenen Jahren das Land verlassen.

Ein Bus wurde in Brand gesteckt.
Foto: JUAN BARRETO / AFP

Maduro tanzte Salsa

In der Bewertung des D-Days schieden sich die Geister. Maduro feierte den gelungenen Widerstand seines "Kampfs für die Würde" vor rund tausend Anhängern in Caracas und tanzte Salsa. Die oppositionelle Publizistin Colette Capriles erkannte Zeichen, dass die Loyalität des Militärs bröckelt. "Für einen langen Widerstand fehlt den Sicherheitskräften die Kohäsion", twitterte sie. "Es war die erste Schlacht. Die Hilfe kam nicht rein, aber die Regierung ist nicht in der Lage, die proaktive Opposition und die internationale Gemeinschaft auszubremsen", meinte John Polga, Politologe von der US Naval Academy. "Mit den brennenden Hilfslieferungen hat die Nationalgarde der Opposition einen Propagandasieg geschenkt", fand Adam Isacson vom US-Think Tank Washington Office on Latin America. Die Meinungsforscherin Marta Lagos hingegen war kritischer: "Drei Präsidenten haben ihr politisches Kapital verschwendet, in einem romantischen Versuch, Venezuelas Diktatur niederzuringen", schrieb die Chilenin.

Der Machtkampf geht nun in die nächste Runde aufs diplomatische Parkett. Am Montag wollten sich die Mitglieder der konservativen Lima-Gruppe mit US-Vizepräsident Mike Pence zu neuen Beratungen treffen. Auch die Internationale Kontaktgruppe unter europäisch-uruguayischer Führung setzte nach einem ersten Gespräch mit Außenminister Jorge Arreaza ihre Vermittlungsbemühungen fort. (Sandra Weiss, 24.2.2019)