Das immer gleiche Klagelied des von Gott verstoßenen Menschen: Peter Simonischek als allzu klischeehafter Mendel Singer.

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Wien – Mendel Singer, der von Gott geprüfte Schriftgelehrte, ist Joseph Roths herzzerreißendste Figur. Während die ostjüdische Kultur rund um ihn schrittweise zugrunde geht, steht er in Gestalt des Burgschauspielers Peter Simonischek abgewandten Hauptes und memoriert mit blindem Eifer die Schrift der Überlieferung. Da wirft der Boden unter seinen Füßen bereits Wellen. Im Wiener Burgtheater, wo man "Hiob" nach Joseph Roth gibt, sind die Schicksalswogen zu Holz erstarrt (Ausstattung: Stefan Hageneier).

Vor einem gleißend hellen Rundhorizont prangen die Lettern der Erlösung: "AMERICA" steht als Fernziel in Großbuchstaben geschrieben. Ein neuer Exodus kündigt sich für Mendel und seine Sippe an. Noch meint Gott der Herr es vergleichsweise gut mit ihm. Sein jüngster Sohn Menuchim (Tino Hillebrand) wird von epileptischen Zuckungen geplagt. Die Grausamkeiten der Geschwister (zwei Brüder, eine Schwester) glaubt der Patriarch negieren zu dürfen.

Er selbst unterweist den Jüngsten geduldig in Schöpfungsgeschichte. "Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde", raunt er dem Zurückgebliebenen zu. Dazu schlägt der hohe, selbstgefällige Mann mit dem Löffel gegen ein Teeglas. Man glaubt sich in gutherzigen Szenen wie dieser in einer Aufführung von "Anatevka". Nur dass Tewje, der Milchmann, nicht erscheint. Und man das Musicalorchester aus Kostengründen in die verlängerten Semesterferien entlassen hat.

Die Flamme des Glaubens

Mendel Singer wird nacheinander, diesseits wie jenseits des atlantischen Ozeans, seine Frau und (fast) jedes seiner Kinder verlieren, an den Krieg, an die Nymphomanie. In Koen Tachelets sanft nachbearbeiteter Bühnenfassung des Joseph-Roth-Romans tritt der ehemals so gottesfürchtige Mann die behutsam genährte Flamme des Glaubens mutwillig aus.

Er hadert mit Gott, bezichtigt ihn, sich an seinem treuesten Jünger sadistisch zu vergehen. Simonischek sitzt dann auf seinem Schemel und reckt die Fäuste gen Himmel. Er lernt, dass sein Gott der Überlieferung für seinesgleichen nicht (mehr) verfügbar ist. Auch dann nicht, wenn er sich, mit allen Wassern der Bühnenroutine gewaschen, um ein gutes Einvernehmen mit dem Schöpfer bemüht.

Simonischek singt während der quälenden rund zweieinhalb Stunden, die diese Inszenierung von Christian Stückl dauert, das immer gleiche Klagelied. Erst kurz vor Schluss – Menuchim wird ihn wider alle Erwartung als gesunder, erwachsener Musiker in New York aufsuchen und aus seiner Qual erlösen – erhält er Besuch von Tochter Mirjam (Stefanie Dvorak). Sie beehrt ihn (im Stück verrückt geworden) als Ophelia im Nachthemd. Ein schauerlicher Moment.

Kleine Säureattacken

Roths Prosa-Ton ist noch in seiner Märchenhaftigkeit von kristalliner Härte. In Stückls hilfloser Karikaturensammlung regieren die Unschärfe, die Tempodrosselung, das Zufallsprinzip. Nur Mendels Frau Deborah (Regina Fritsch) kommt der guten Miene, die ihr liebloser Gemahl zu allem macht, mit kleinen Säureattacken bei. Eine große Schauspielerin hält sich mit den souverän gehandhabten Mitteln von Musikalität und Intelligenz in der ganzen muffigen Veranstaltung schadlos.

Insgesamt staunt man nicht wenig, dass man genau 90 Jahre nach der Niederschrift von Roths seherischem "Hiob" immer noch auf jüdische Klischees gestoßen wird, wie man sie nicht mehr für möglich gehalten hätte.

Genauso arm dran sind sonst nur noch die Amerikaner (Oleg Tikhomirov). Die müssen nicht nur einen Stetson auf dem Kopf tragen, sondern an den Füßen weiche Stiefel. Die leeren sie – immerhin befinden wir uns nach Halbzeit des Stückes in New York – genussvoll aus, als wäre der Wüstensand von ganz Nevada in sie hineingerieselt.

Ein einziger matter Aufguss, halbgar und uninspiriert gespielt zwischen den Koffern der jüdischen Diaspora. Man hat schon gelobtere Länder gesehen als diesmal die Wiener Burg. (Ronald Pohl, 25.2.2019)