Als Finanzchef war George Pell praktisch die Nummer drei des Vatikans. Er gehörte auch zu den engsten Beratern von Papst Franziskus.

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Kardinal George Pell, bis vor kurzem Finanzchef im Vatikan, hat Kinder sexuell missbraucht. Zu diesem Schluss ist ein Geschworenengericht in Australien gekommen. Er wurde inhaftiert, nachdem seine Anwälte einen Antrag zurückgezogen hatten, dass er gegen Kaution auf freiem Fuß bleiben darf.

Der 77-Jährige senkte sein Haupt, als ihm im Gericht das Urteil verlesen wurde. Laut Anklage soll der ehemalige führende Katholik Australiens 1996 in einer Kammer der Kathedrale in Melbourne nach der Messe zwei Chorbuben, zwölf und 13 Jahre alt, zu sexuellen Handlungen gezwungen haben. Zuvor hatte er sie beim Trinken von Messwein ertappt.

Der damals 55-Jährige war kurz zuvor zum ranghöchsten Geistlichen von Melbourne ernannt worden. Während der Tat seien noch immer Hunderte von Gläubigen in der Kirche gewesen, so die Staatsanwaltschaft. Die Geschworenen sahen es auch als erwiesen an, dass Pell etwa einen Monat nach dem Übergriff eines der Opfer bedrängt hatte. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft drohen dem früheren Vatikan-Finanzchef bis zu 50 Jahre Haft. Das Strafmaß soll am 13. März verkündet werden. Der Kardinal hat die Vorwürfe zurückgewiesen. Seine Anwälte haben Berufung gegen seine Verurteilung eingelegt.

Nachrichtensperre verhängt

Das Urteil war bereits am 11. Dezember ergangen. Das Gericht hatte aber eine Nachrichtensperre verfügt, um eine Vorverurteilung des Kardinals für den Fall eines möglichen zweiten Prozesses zu verhindern. Journalisten war bei Androhung einer Haftstrafe verboten worden, zu berichten.

Am Dienstag hob der Richter die Sperre auf, da die Staatsanwaltschaft darauf verzichten will, in einem weiteren Prozess andere Vorwürfe zu verfolgen. Kurz nach dem Urteil kündigte der Vater eines der Missbrauchsopfer an, juristisch gegen die katholische Kirche oder gegen Pell persönlich vorgehen zu wollen, sobald das Berufungsverfahren abgeschlossen sei.

Sein Sohn sei Jahre nach dem mutmaßlichen Übergriff durch Pell an einer Heroinüberdosis gestorben, sagte seine Anwältin. Der Kardinal habe "Blut an den Händen", denn der Drogentod des 31-Jährigen im Jahr 2014 hänge mit dessen posttraumatischer Belastung zusammen, so die Juristin.

Die katholische Kirche sieht sich auch in Australien mit Missbrauchsskandalen konfrontiert. Tausende sexuelle Übergriffe durch Geistliche waren in den vergangenen Jahren im Rahmen verschiedener Untersuchungen ans Tageslicht gekommen.

Unter Vertuschungsverdacht

Pell war bereits vor seiner Verurteilung heftig umstritten wegen seiner Rolle bei der Vertuschung von Sexualdelikten, die von Priestern und anderen Kirchenvertretern begangen worden waren. Als höchster Katholik Australiens habe er versucht, Opfer zum Schweigen zu überreden, um die Kirche zu schützen, so Angehörige. Zeugen sagten, Pell habe das Leid der Opfer nicht ernst genommen und sich ihnen gegenüber "kaltherzig" verhalten, wie der Vater eines Opfers klagte, das später Suizid beging.

Der Vatikan hat den Schuldspruch als "schmerzhafte Nachricht" bezeichnet, dabei aber betont, dass Pell das Recht habe, sich bis zur letzten Instanz zu verteidigen. Bis zu einem endgültigen Urteil ist er weiter beurlaubt.

Vor allem für Papst Franziskus ist das ein schwerer Schlag. Nicht nur war Pell einer seiner engsten Vertrauten. Das Urteil kommt auch kurz nach dem Ende eines Antimissbrauchsgipfels im Vatikan. Dabei war der Papst konkrete Maßnahmen schuldig geblieben. (Urs Wälterlin aus Canberra, 27.2.2019)