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Plötzlich doch dafür: Jeremy Corbyn und das Referendum.

Foto: REUTERS/Francois Lenoir

Offenbar in großer Sorge vor weiteren Parteiaustritten in den Reihen seiner Abgeordneten (einige hatten vergangene Woche unter großem Hallo eine Gruppe der "Unabhängigen" im Unterhaus gebildet) hat nun also Oppositionschef Jeremy Corbyn endlich eine Kurskorrektur bei seiner Labour-Partei vorgenommen: Man unterstützt jetzt offiziell ein zweites Brexit-Referendum auf der Insel; aber nur, wenn ein Antrag scheitern sollte, der einen gänzlich ungeregelten Austritt der Briten aus der EU (No-Deal-Brexit) vermeiden und einen "weichen" Brexit mit Vertrag sicherstellen würde.

Das ist zwar noch kein echter Fortschritt, aber immerhin ein kleiner Lichtblick in diesen Tagen und Wochen, in denen die politische Lage im Vereinigten Königreich an eine Katze erinnert, die an der Tür scharrt und sich dann – ist diese erst einmal offen – genau mittig auf die Schwelle setzt und sich nicht entscheiden will, ob sie rausgeht oder es sich doch lieber wieder auf dem Heizkörper gemütlich macht.

Nicht um jeden Preis

Diejenigen, die sich jetzt schon freuen, dass ein zweites Referendum den Brexit gänzlich absagen würde, könnten sich irren. Corbyn will diese Volksabstimmung nicht, weil er den EU-Austritt nicht will. Nein, er will ihn nach wie vor – aber eben nicht um den selbstmörderischen Preis eines No-Deal-Szenarios. Dieser Preis wäre ihm, und den allermeisten Briten, viel zu hoch.

Wenn die Labour Party tatsächlich Erfolg haben sollte mit ihrer Neupositionierung, dann wäre unter Umständen Zeit gewonnen; dann hätte Jeremy Corbyn ein Schwert ergriffen, um diesen gordischen Knoten zu zerschlagen, der in den vergangenen zwei Jahren vor allem von unverantwortlichen wie auch inkompetenten – oder zumindest wenig umsichtigen – Politikern geknüpft worden ist. Doch ein Hieb wird nicht reichen, dazu ist dieses Schwert viel zu stumpf.

Was würde es bringen?

Was würde ein Zeitgewinn bringen, den auch so gut wie alle Vertreter der EU-Kommission und der Regierungen der anderen 27 EU-Länder schon seit Wochen anbieten? Auf der einen Seite Spielraum nach allen Seiten – was begrüßenswert wäre angesichts der aktuell ziemlich katastrophal anmutenden Perspektive. Es spricht allerdings wenig dafür, dass nun plötzlich wieder Vernunft und Besonnenheit für konstruktive Politik im britischen Parlament einziehen würden. Also doch lieber alles wie vorgesehen durchziehen?

Angesichts der immensen Nachteile, die ein No-Deal-Brexit mit sich bringen würde, scheint es ratsam, eine Verschiebung in Kauf zu nehmen – egal ob sie dann zu einem geregelten Brexit oder zur Absage der Scheidung der Briten von der Europäischen Union führen wird. Der Zeitpunkt ist extrem ungünstig, aber das lässt sich nicht mehr ändern: nämlich nur wenige Wochen vor der EU-Wahl, die dann auch im Vereinigten Königreich stattfinden müsste. Das hieße: Kandidatinnen und Kandidaten nominieren, die Wahl durchführen, EU-Ausländer an der Wahl teilnehmen lassen, Parlamentssitze in Straßburg und Brüssel besetzen, an der Bildung der EU-Kommission mitwirken, einen EU-Kommissionsposten ergattern ... und dann all das womöglich wieder ruck, zuck rückgängig machen, wenn es doch zu einem Brexit kommt. Es wäre auch einfacher gegangen. (Gianluca Wallisch, 26.2.2019)