Newtons Gesetze werden in "Wie ich lernte, bei mir selbst Kind zu sein" elegant verbogen: Schließlich will der junge Paul Silberstein (André Heller) immer hoch hinaus.

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Unreine Gedanken und verderbte Taten pflastern verschiedene Wege in die Hölle, sie machen aber das Leben davor eindeutig interessanter. Und im Idealfall lassen sie sich ja zu etwas Höherem läuteren, die Gedanken und Taten. Zu Kunst, oder wenigstens zu der Fantasie- und Spektakelarbeit, mit der André Heller sich eine Nische zwischen Unterhaltungsindustrie und Spiritualität geschaffen hat.

In jedem Fall bedarf es für das Zusammenwachsen von Gedanken und Taten zu einer höheren Reinheit und Unverderbtheit eine geglückte Biografie: Heller sieht die seine offensichtlich als eine solche an, so hat er das auch 2008 in einem Buch mit dem Titel Wie ich lernte, bei mir selbst Kind zu sein aufgeschrieben.

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Kinder haben bekanntlich das Glück, dass sie zwischen rein und unrein nicht unterscheiden, es sei denn, ein Generalpräfekt (gespielt von Robert Seethaler) versucht ihnen etwas in der Richtung einzureden. Wie in der seinerzeitigen Erzählung trägt der frühjugendliche Held nun auch in der Verfilmung durch Rupert Henning den Namen Paul Silberstein. Er gehört zu einer Familie, die man nur als Überdosis an Herkunft erleben kann: der Vater ein groteskes Symptom des Faschismus, die Mutter eine dämmernde Schönheit, der Bruder ein Zwängler.

Die Silbersteins sind "Weltmeister im Überreagieren", der kleine Paul muss also danach trachten, das ständige Zuviel in seiner Welt irgendwie einzufangen. Zum Glück ist er einschlägig begabt, sein besonderes Weltverhältnis zeigt sich darin, dass er "einigermaßen oft vom Himmel fällt" – er will halt auch immer hoch hinaus: Zum Beispiel, um vom Dach eines katholischen Kollegiums einen Papierflieger (mit einem hochgestochenen Liebesbrief an ein Mädchen) auf den Weg zu bringen.

Der Flieger landet bei einer Nonne, und Paul wenig später im Wasser. Newtons Gesetze werden dabei elegant verbogen, denn Paul fällt ziemlich weit nicht vom Apfelbaumstamm, aber doch von der Dachkante. Die Verwirrungen des Zöglings Silberstein dienen aber alle nur einem Ziel, nämlich der Selbstakzeptanz unter Bedingungen erhöhter Nichtalltäglichkeit: "Bekenne dich zu deiner Merkwürdigkeit".

Ausgemalte Merkwürdigkeit

Man kann davon ausgehen, dass durch die Vordertür von Hellers Fantasie die eine oder andere Szene in Buch – und Film – gekommen ist, die der spätere Paul sich retrospektiv als Merkwürdigkeit ausgemalt hat. So hält sein Vater Roman Silberstein (Karl Markovics) etwa in der Kühlkammer einer Fleischhauerei eine sadomasochistische Vergangenheitsbewältigungsliturgie ab, die eindeutig unter Jugendverbot fällt. Oder eben unter unreine Gedanken.

Großbürgerliche Familien haben es häufig aber auch an sich, dass sie über entferntere Verwandtschaft verfügen, die Druck aus dem engeren Verbund nehmen. Bei Paul Silberstein ist das ein Onkel Monte aus Montevideo, der dem Knaben andeutet, wie er ein "bedeutender Liebhaber" werden und mit Frauen demnächst "Granada spielen" kann.

Etwas angestrengte Kunstkinderei

Man kann die Verfilmung von Wie ich lernte, bei mir selbst Kind zu sein als eine etwas angestrengte Kunstkinderei ganz gut auf das öffentliche Bild beziehen, das André Heller später von sich entwickelt hat. Rupert Henning bemüht sich redlich um ein bisschen filmischen Pomp. Von der ersten Szene an bietet sich die Welt dem Auge vor allem in schrägen Perspektiven dar.

Das Bedürfnis des Vaters, sich den Kragen aufzureißen, kann man irgendwann gut nachvollziehen. Für Paul geht die Sache übrigens bestens aus: Er überlebt seine Kindheit mit göttlicher Bravour ("Ich bin, der ich bin"), und trollt sich dann in eine Karriere als "funkelnder Hundling". Wer da noch unreine Gedanken hat, qualifiziert sich wohl nur für Weltmeisterschaften im Unterreagieren. (Bert Rebhandl, 26.2.2019)