Juha Mieto (69) ist auch in Sachen Geduld ein ganz Großer.

Foto: Lützow

Fast hätte man annehmen können, das mondäne Hotel Klosterbräu in Seefeld hätte sich extra für die nordische WM eine Juha-Mieto-Statue angeschafft, um den Gästen aus den Langlaufnationen ein noch besseres Fotomotiv zu bieten als die Auswahl an Antiquitäten, die seine Räumlichkeiten schmücken. Doch der 1,96 Meter hohe Mieto ist durch und durch echt. Er ist wunderbar geduldig im Stillstehen, Lächeln, Flagge und Daumen zeigen, aber doch voll des Lebens und vor allem der erzählenswerten Erinnerungen.

Der Sport bedient sich gerne alter Helden, um vermeintlich bessere Geschichten vom großen Wettkampf erzählen zu lassen, als sie ihren WM-bedingt ziemlich gestressten und zum Teil zu gut gecoachten Nachfolgern auskommen würden. Aber so viel Nostalgie wie aktuell war noch nie. Schon bei der alpinen WM in Åre war der Auftrieb der Ehemaligen, auch abgesehen von Kommentatoren und Experten, beachtlich – von Ingemar Stenmark abwärts.

Großer Geschichtenerzähler

Mieto hat nicht annähernd so viel gewonnen wie der schweigsame Schwede, dafür ist der Finne ein großer Geschichtenerzähler vor dem Herrn, wenn auch zuweilen in einer Wortwahl, die selbst dem gewandtesten Übersetzer die Sprache verschlägt.

Mieto weilte schon einmal, anlässlich der Olympischen Spiele zu Innsbruck 1976, in Seefeld, wo die Langläufer zugange waren. Damals, sagt er, wäre man im Gegensatz zu den heutigen kurzen Schleifen beim Rennen über 30 Kilometer bald einmal im Wald ver- und den Blicken des Publikums entschwunden. Weshalb auch sein vergebliches Bemühen, zu einer Medaille zu laufen, lange unbemerkt blieb. Die Spuren in der klassischen Loipe waren zu schmal für Mieto, der über Schuhgröße 51 gebietet. "Dadurch habe ich Zeit verloren, im Ziel waren die Schuhe ruiniert und meine Zehen haben herausgeschaut."

Mutter der Niederlagen

Der vierte Platz im vom Russen Alexander Sawjalow gewonnen Rennen war bei weitem nicht Mietos schwerste Niederlage. Die ereignete sich vier Jahre später, als er in Lake Placid über 15 Kilometer Olympiagold um eine Hundertstel an den Schweden Thomas Wassberg verlor. Seither wird im Langlauf nur noch auf Zehntelsekunden genau gemessen und gilt der finnische Bauer aus Kurikka als ewiger Zweiter, obwohl er, wie er in Seefeld voll Stolz erzählt, alleine sieben Rennen am Holmenkollen ob Oslo gewonnen hat, am Olymp der Norweger.

Selfie mit Juha

Die sind selbstredend auch zahlreich vertreten in Seefeld. Aber hätten die zum Gutteil vom geschäftstüchtigen Österreicher Erich Wagner in der Olympiaregion untergebrachten norwegischen Fans zu wählen zwischen einem Selfie mit Oddvar Brå, Anette Bøe oder mit Juha Mieto, fiele ihnen die Wahl nicht schwer. Selbst Schweden, die Wassbergs oder Gunde Svans ansichtig werden, der 1985 in Seefeld WM-Gold über 30 und 50 km abräumte, hätten mit sich zu kämpfen.

Mieto, der für die bäuerlich-liberale Zentrumspartei im Parlament zu Helsinki saß, aber dem Vernehmen nach wegen seines Hangs zum Traditionalismus die Wiederwahl nicht schaffte, gibt auch einer gewissen Sehnsucht nach Entkommerzialisierung und damit Entprofessionalisierung des Spitzensports Ausdruck. "Heute haben die Langläufer einen Psychologen, vielleicht einen Priester, Leute fürs Wachs, Therapeuten, Ärzte und Presseleute um sich. Aber Finnen wollen nicht soviel reden. Am Start und im Wald sind sie alleine und denken sich vielleicht 'endlich' ."

Die Jugend

Dass Finnen auch aktuell in Seefeld sportlich kaum eine Rolle spielen, ficht Mieto nicht an. Er zählt mit größtem Vergnügen einen jüngst errungenen Sieg der Basketballer über Frankreich, das finnische Floorball-Team und diverse Motorsportler auf. Der große Mann muss aber immerhin zugeben, dass bei regionalen Langlaufrennen, die einst hunderte kleine Finninnen und Finnen anzogen, heute nur noch eine Handvoll Kinder anzutreffen sind, selbst wenn Mieto angesagt ist.

"Die Jugend sitzt lieber vor dem Computer, ich bin gerne in den Wald gegangen", sagt der 69-Jährige. Dass norwegische Kinder Computersitzen und Waldgehen offenbar gut verbinden können, kann der mächtige Mann nur achselzuckend zur Kenntnis nehmen, um sich gleich wieder eines Rennens am Holmenkollen zu entsinnen, wo es vor und hinter ihm nur so vor bärenstarken Norwegern wimmelte, "deren Namen ich nicht kannte". Und Mieto liefert sie noch lange weiter, die Legenden der Leidenschaft. (Sigi Lützow, 27.2.2019)