"Die Kirche funktioniert so, als würde in Österreich der Bundespräsident, der Bundeskanzler, der Nationalratspräsident und der oberste Richter eine Person sein", ärgert sich Helmut Schüller von der Pfarrerinitiative.

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"Wir müssen uns gegen diesen klerikalen Stand wenden", sagt Martha Heizer von der Plattform "Wir sind Kirche".

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Wien – Die Enttäuschung nach dem Missbrauchsgipfel im Vatikan ist groß, noch größer ist aber der Ärger über die Kirchenführung. Am Mittwoch haben Vertreterinnen und Vertreter von vier katholischen Reformgruppen bei einem gemeinsamen Treffen mit dem Klerus abgerechnet.

"Wir müssen uns gegen diesen klerikalen Stand wenden", sagte Martha Heizer, Vorsitzende der Plattform "Wir sind Kirche". Sie fordert eine Reform der Priesterweihe. Die "ungerechtfertigte Überhöhung" der Priester führe zu Arroganz, Hybris und Machtmissbrauch. Heizer: "Die Legitimierung und das Monopol der jetzigen Amtsträger, die Kirche zu leiten, wird und wurde durch die Verbrechen zahlloser Amtsträger ad absurdum geführt." Anstelle dessen sollten sich alle Gläubigen – Heizer sprach von "Kirchenbürgerinnen und -bürgern" – in demokratischer Weise an der Kirchenleitung beteiligen.

Enttäuschung nach Kirchengipfel
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Für Helmut Schüller von der Pfarrerinitiative war der päpstliche Missbrauchsgipfel, wenn überhaupt, nur ein "Auftakt". Die Führungspersönlichkeiten, die daran teilgenommen hätten, seien nicht Teil der Lösung, sondern vielmehr Teil des Problems: "Am Ausgang hätte ein Packen Rücktrittsformulare liegen müssen."

STANDARD: Die Enttäuschung nach dem Missbrauchsgipfel im Vatikan war groß, viele hatten sich vom Papst konkrete Maßnahmen erwartet. Verstehen sie den Frust, haben Sie sich auch mehr erwartet?

Schüller: Nein. Ich habe die Enttäuschung schon gespürt, als ich mir die Vorbereitungen angesehen habe. Es wäre sicher mehr drinnen gewesen. Aber es war eine Veranstaltung, bei der die angereisten Bischofskonferenz-Vorsitzenden einmal auf Bewusstseinsebene gebracht werden sollten. Da bin ich aber eigentlich davon ausgegangen, dass die als Leitungsfiguren dort längst angekommen sind. Das weiß bei uns schon jeder Jung-Pfarrgemeinderat, worum es da eigentlich geht. Verdutzt hat mich natürlich auch, dass keine konkreten Maßnahmen präsentiert wurden. Es bleibt wieder das Bild "Wir, die Kleriker, machen das unter uns aus". Ich hätte eigentlich erwartet, dass die Teilnehmer mit einem klaren Pflichtenheft nach Hause gefahren wären.

STANDARD: Für viele liegt das Grundproblem im System Kirche – sehen Sie das ähnlich?

Schüller: Der Systemfehler liegt in der vollkommen verzerrten Machtstruktur. Es gibt eigentlich keine Kontrolle von Macht. Und es gibt keine Gewaltentrennung. Die Kirche funktioniert so, als würde in Österreich der Bundespräsident, der Bundeskanzler, der Nationalratspräsident und der oberste Richter eine Person sein.

STANDARD: Sie haben dieser streng hierarchischen Struktur aber auch Ihre größten beruflichen Erfolge zu verdanken – immerhin waren Sie Generalvikar der Erzdiözese Wien.

Schüller: Ich scheue mich ja nicht vor einem kritischen Blick auf die eigene Vergangenheit. Ich bin in das System hineingewandert bis in den Maschinenraum des Dampfers.

STANDARD: Sind Sie von Papst Franziskus enttäuscht?

Schüller: Der Papst hat ein Gefühl für die Kirchenbasis. Er hat vielleicht bis jetzt im eigenen Umkreis etwa die Kurienmechanik nicht wirklich angefasst. Da hätte ich mir sicher mehr erwartet – nämlich die in der Mitte, die Leitungsverantwortung haben, ordentlich in den Schwitzkasten zu nehmen. Aber von seiner Grundeinstellung ist Papst Franziskus sicher ein guter Koalitionspartner für die Kirchenbasis.

Die zahlreichen Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche seien auch als Folge der eigenen strikten Sexualmoral zu sehen, führte Herbert Bartl von "Priester ohne Amt" an. Die Kirche lerne nicht dazu: "Es sind immer die gleichen Worthülsen der Betroffenheit", klagte er – gefolgt von dem "Versprechen der Aufklärung". Wie Heizer tritt Bartl für die Abschaffung des Klerus ein. Wolle jemand ohne Partner leben, stehe ihm das frei. Verheiratete Priester seien sicher nicht "die schlechteren Christen".

Die sind offenbar woanders zu finden: "Man darf sich nicht wundern, dass es eine Anreicherung von Persönlichkeiten gibt, die besonders anfällig sind für solche Machtmissbrauchsfälle", erklärte Ewald Benes von der Laieninitiative. Auch für ihn gehören die Bedingungen für die Zulassung zum Stand der Geistlichen überdacht, vor allem brauche es eine Öffnung: "Frauen werden gleich ausgeschlossen – ohne sachlichen Grund."

Alle vier Reformer fordern eine Gewaltenteilung innerhalb der Kirche, ein grundsätzliches "Recht auf Kontrolle der Mächtigen" und eine echte Beteiligung an Entscheidungen. Wie realistisch das alles ist? Schüller: "Wenn die Kirche in den nächsten vier, fünf Jahren nicht den Turnaround schafft, dann ist es over." (Peter Mayr, Markus Rohrhofer, 27.2.2019)