Hier gastieren alle, die internationale Qualität bieten:_Der Goldene Saal des Wiener Musikvereins mit seiner ganz besonderen, aber heiklen Akustik.

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Stephan Pauly, derzeit Chef der Alten Oper Frankfurt, steht für diskrete Erneuerung.

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Nestlé, Roche und Novartis. Globale Multis, wie sie die ebenfalls geografisch recht überschaubare Schweiz beherbergt, vermag das Alpenland nicht aufzubieten. Was klassische Musik anbelangt, spielt Österreich allerdings im Orchester der Großen an prominentester Stelle mit. Und bahnen sich bei den Salzburger Festspielen, der Staatsoper, dem Theater an der Wien oder Häusern wie Konzerthaus – und aktuell Wiener Musikverein – personelle Erneuerungen an: dann gerät das spekulative Grübeln gleich zum internationalen Spiel.

Im Vorfeld der Bestellung eines Nachfolgers für Musikvereinschef Thomas Angyan, den wohl Stephan Pauly beerben wird (Chef der Alten Oper Frankfurt), gab es im Gerüchtegarten denn auch schönste Ideen- und Namensblüten zu bestaunen.

Der Konzerthauschef Matthias Naske sei gefragt worden, hieß es recht glaubwürdig. Eine pikante Personalie: Naske wäre nichts anderes übrig geblieben, als gleich die Leitung beider Konzerthäuser zu übernehmen. Ein Wechsel zur Konkurrenz – mitten in Naskes sich qualitätsvoll entfaltender Konzerthausarbeit – hätte dessen persönliche Glaubwürdigkeit doch sehr beschädigt.

Hitparade potentieller Nachfolger

Interessant auch das Heraufbeschwören eines alten Modells der Nachkriegszeit: Damals war Dirigent Herbert von Karajan im Musikverein Konzertdirektor. Neben dieser Idee, einen etablierten Musiker (genannt wurde Franz Welser-Möst) näher ans Haus zu binden, machten noch andere Vorschläge die Runde: Nikolaus Pont, Orchestermanager beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, wurde als Direktor genannt. Und auch Staatsopernboss Dominique Meyer kam in die Hitparade der potenziellen Nachfolger Angyans.

Sein Kommentar – "Ich wurde nicht gefragt, ich habe mich nicht beworben" – war ebenso eindeutig wie jener des Leiters der Philharmonie du Luxembourg, Stephan Gehmacher. Er, der sicher gute Chancen hatte, plane "aktuell keinen Wechsel nach Wien", teilte er dem STANDARD mit.

Lebendige Tradition

Der Präsident der Gesellschaft der Musikfreunde Johannes Stockert bestätigt jedenfalls, dass "Verhandlungen mit Dr. Stephan Pauly" geführt werden. Andere Namen kommen nicht mehr vor. Alles läuft somit auf Pauly (Jahrgang 1972) hinaus, der für eine Stellungnahme nicht erreichbar war. Auf den Kölner kommt theoretisch eine leichte Aufgabe zu: Der Chef des Hauses, Thomas Angyan, dessen Vertrag am 30. Juni 2020 nach pyramidalen 32 Amtsjahren endet, hinterlässt den Klassiktempel nicht nur in guter Verfassung.

Er hat das Traditionshaus, in dem schon Anton Bruckner an der Orgel improvisierte und Johannes Brahms "Artistischer Director" war, zu einer Art Rolls-Royce unter den Konzertveranstaltern weiterentwickelt. Mag der Wiener Musikverein nicht gerade den Nimbus eines modernen Hauses versprühen, so ist er unschlagbar, wenn es darum geht, sich als Ort zu präsentieren, der höchste Qualität orchestraler und solistischer Art bietet. Ein gutes Gespür für kommende Stars kommt hinzu.

Musikalische Arbeitsteilung

Eine Musikvereinssaison gleicht in der Regel einer opulenten Orchesterolympiade, mit der das Konzerthaus nicht mithalten kann und will. Trotz opulenter Jugendprogramme und der von Angyan initiierten vier neuen Säle, die durchaus Experimentierfreude ausstrahlen, gilt natürlich auch: Was Stilvielfalt anbelangt, ist das Wiener Konzerthaus mit Klassik, Jazz, Weltmusik und Pop breiter aufgestellt als der Musikverein. Und auch wenn Angyans Haus regelmäßig Uraufführungen offeriert, ist etwa das Festival Wien Modern vornehmlich in Naskes Haus beheimatet.

Im Sinne einer städtischen "Arbeitsteilung" und individueller Markenpflege ist das klassizistische Image des Musikvereins allerdings durchaus vernünftig. Insofern reichte es für den mutmaßlichen Nachfolger Angyans, das Niveau einfach nur zu halten. Schon dies wird nicht leichtfallen. Schließlich kosten die fürs Image unverzichtbaren großen Orchestergastspiele jede Menge Geld.

Erneuertes Mozartfest

Pauly ist allerdings nicht bekannt dafür, ausschließlich Bestehendes zu verwalten. Als Geschäftsführer und künstlerischer Leiter der Stiftung Mozarteum hat er ab 2007 das altehrwürdige Mozartfestival raffiniert zu einer spannenenden Reihe entwickelt, bei der – auf Glanzniveau – Modernes mit Amadeus‘ Werken kommunizierte. Als Intendant der Alten Oper Frankfurt bot Pauly wiederum Programme, die natürlich obligate Klassik enthielten. Es gab allerdings auch Hitchcock-Filme mit Live-Orchester, und es gastierte u. a. auch Sängerin Patty Smith.

Zusammen mit Architekt Daniel Libeskind lud Pauly wiederum zur Musikreise an ungewöhnliche Orte Frankfurts. Beim Projekt "One Day in Life" erschallte Musik im Wolkenkratzer ebenso wie im Schwimmbad. Markantes plant Pauly im März: Da wird er, der in Bayreuth aufwuchs und für Unternehmensberater McKinsey arbeitete, den Konzertsaal für Künstlerin Marina Abramović freiräumen. Besucher werde nach der Methode des Performanceweltstars eine ausgiebige Hör- und wohl auch Selbsterfahrung beschert.

Diskret evolutionär

Diese Verbindung von Musik und Kunst, die einen besonderen Konzertabend verspricht, bei dem "die Regeln und Normen des klassischen Konzertbetriebs außer Kraft" gesetzt werden, wären für den Wiener Musikverein wohl eher kühn.

Man wird sehen. Pauly hat jedenfalls auch um Bachs altehrwürdige Goldberg-Variationen herum ein Festival mit fast 40 Veranstaltungen entwickelt. Er versteht es also, selbst innerhalb bestehender Strukturen und Traditionen diskret evolutionär zu wirken. Es wird wohl ein spannendes Match mit Naske werden. Pauly, der am Mittwoch seinen 47. Geburtstag feierte, muss aber auch noch ein anderes Problem lösen: Er hat in Frankfurt schon vor einiger Zeit seinen Vertrag bis 2022 verlängert. (Ljubisa Tosic, 26.2.2019)