Eigentlich hatte es Anzeichen der Entspannung im Kaschmir-Konflikt gegeben – zumindest auf politischer Ebene. Noch im November hatte Pakistans Premier Imran Khan von "sich verbessernden Beziehungen" zwischen Indien und Pakistan gesprochen. Was in der Region selbst geschah, war aber das Gegenteil: In den letzten Monaten spitzte sich in Kaschmir die Lage zu. 2018 war seit 2008 das tödlichste Jahr in der Region, mehr als 400 Tote waren allein auf der indischen Seite der Konfliktregion zu beklagen.

Diese Verschärfung ist hausgemacht – nicht nur, aber auch. Indiens Regierung verfolgt unter Premier Narendra Modi von der hindunationalistischen BJP eine muslimenfeindliche Politik, auch im mehrheitlich muslimischen Kaschmir. Kein Wunder, dass die dortige Bevölkerung zunehmend frustriert ist. Die indische Regierung geht außerdem immer öfter mit Härte gegen friedliche Proteste von Jugendlichen vor. Anstatt den Muslimen in Kaschmir Perspektiven zu geben, drängt Delhi sie an den Rand und in die Hände von Islamisten. Zu der Attacke in Pulwama, die die aktuelle Eskalation auslöste, hat sich zwar die islamistische Terrororganisation Jaish-e-Mohammed bekannt, der Selbstmordattentäter war aber ein 22-Jähriger aus der Region.

Dass Indien auf den verheerendsten Terroranschlag in der Region seit 30 Jahren reagieren muss, ist verständlich. Aber es hätte andere Formen der Reaktion gegeben, als Luftangriffe auf pakistanisches Territorium zu fliegen.

Der Wahlkampf-Modi

Modi muss wohl den starken Mann markieren, vor allem jetzt, da er sich im Wahlkampf befindet. Seine BJP steht nicht gut da. Bei Regionalwahlen im Dezember verlor die Partei beträchtlich. Die früheren Versprechen, soziale Probleme zu lösen, hat Modi nicht erfüllt.

Im Gegenteil. Indien hat die höchste Arbeitslosenrate seit 45 Jahren. Und Modi verliert die Unterstützung der Bauern im Land, weil die Agrarpreise im Keller sind.

Spiel mit dem Feuer

Dass nun die Attacke in Pulwama zum wichtigsten Wahlkampfthema wird, spielt Modi in die Hände. Anstelle von Sozialproblemen sind jetzt seine Lieblingsthemen angesagt: Patriotismus und Zusammenhalt. Bereits wenige Tage nach dem Anschlag gingen Modis Umfragewerte in die Höhe.

Doch es ist ein Spiel mit dem Feuer. Einerseits ist eine nukleare Eskalation zwischen den Atommächten Indien und Pakistan – wenn auch immer noch schwer vorstellbar – so realistisch wie schon seit Jahrzehnten nicht mehr. Wenn das Pokerspiel auch nur einem der Länder entgleitet, bringt das die gesamte Region in Gefahr.

Andererseits bringt der Konflikt auch den Wahlkämpfer Modi in ein Dilemma: Er muss gegen Pakistan zwar den starken Mann mimen, darf aber keinen offenen Krieg vom Zaun brechen. Denn auch das wäre kein gutes Wahlargument. Nach vernünftigen Gesichtspunkten liegt es also an Pakistan, zu deeskalieren. Khan hat tatsächlich seine Dialogbereitschaft unterstrichen. Es bleibt zu hoffen, dass auch tatsächlich die Vernunft siegt. (Anna Sawerthal, 27.2.2019)