Ihr Führungsstil sei durch ihr Elternhaus geprägt worden, sagt Nora Deinhammer, im Geschäftsführungsteam von SOS-Kinderdorf Österreich tätig.

Foto: Gerhard Berger

"Das Schöne an meinem Beruf ist, dass ich Tag für Tag spüre, worum es uns geht: 'Jedem Kind ein liebevolles Zuhause' – das ist nicht irgendein Slogan, es ist unsere gemeinsame Vision. Und es fasziniert mich immer wieder, wie sehr sie gelebt wird – egal ob ich mit einem Pädagogen, einer IT-Expertin oder mit jemandem aus der Buchhaltung spreche, alle sind auf dieses Anliegen ausgerichtet.

Seit Jänner bin ich gemeinsam mit Elisabeth Hauser und Christian Moser Geschäftsführerin von SOS-Kinderdorf Österreich. Als Fachbereichsleiterin für Kommunikation und Mittelbeschaffung habe ich 2012 dort begonnen. Damals war ich Mitte 40. Bei meinem damaligen Arbeitgeber A1 Telekom Austria hab ich den Fusionsprozess begleitet und bin an einen Punkt gelangt, an dem ich mich verändern wollte. Und jedes Mal, wenn ich solche Veränderungspunkte erreicht habe, hat sich auch etwas eröffnet.

Ich wollte in einen Bereich wechseln, der mir eine Herzensangelegenheit ist. Ohne viel zu überlegen, habe ich mich bei SOS-Kinderdorf beworben, und es hat geklappt. Mein Ziel als Geschäftsführerin ist es, mit allen Mitarbeitern das fortzusetzen, was wir begonnen haben. Wir wollen schnell und unbürokratisch Kinder in Not unterstützen. Und wir wollen den Anliegen von Kindern und Jugendlichen in der öffentlichen Debatte eine lautere Stimme geben.

Es braucht Freiraum

In der pädagogischen Arbeit geht es stark um Themen wie Respekt, Vertrauen und Augenhöhe. Aber nicht nur dort. Auch in der Frage 'Wie führe ich eine Organisation, die sich ständig sich verändernden Rahmenbedingungen anpassen muss?' geht es darum. Im Geschäftsführungsteam von SOS-Kinderdorf haben wir folgende Antwort darauf gefunden: indem wir Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern viel Freiraum geben und sie dazu motivieren, selbst Entscheidungen zu treffen. Gleichzeitig sind wir zur Stelle, wenn sie Rückhalt brauchen. Unser 70-Jahr-Jubiläum ist ein gutes Beispiel dafür: Es wurde ein Kernteam geformt, das sich selbst das Ziel gesetzt hat, was es mit der Jubiläumskampagne erreichen will. Dafür braucht es einen Orientierungsrahmen, aber innerhalb dieses Rahmens gibt es viel Freiraum.

Das ist etwas, das ich aus meinem eigenen Werdegang mitgenommen habe. Gerade am Beginn meiner Karriere hatte ich Vorgesetzte, die mir das richtige Maß an Freiheit und Orientierung geboten haben. Auch wenn mir ein Fehler passiert ist – und anfangs waren es durchaus auch grobe -, hatte ich immer die volle Unterstützung meines Vorgesetzten. Das ist gerade zu Beginn einer beruflichen Karriere sehr wichtig. Darum versuche ich das genauso weiterzutragen. Bei jungen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen ist man besonders in der Verantwortung, diese Gratwanderung gut zu leisten. Weil das prägt.

Automatisch die Assistentin

Was mir aus meinen ersten Berufsjahren außerdem in Erinnerung geblieben ist: Wenn man als junge Frau mit Männern unterwegs ist, bekommt man automatisch die Assistentinnenrolle zugewiesen. Ich musste mich oft behaupten und betonen, dass dem nicht so ist. Zum Glück hatte ich immer männliche Chefs, die mich da sehr unterstützten. An weiblichen Role-Models mangelte es leider oft.

Hin und wieder war ich auch die Quotenfrau. Wenn es zum Beispiel darum ging, in ein Weiterbildungsprogramm nominiert zu werden. Damit hatte ich aber nie ein Problem, weil ich gewusst habe, dass das nicht meine einzige Qualifikation ist. Ich gehe meinen eigenen Weg, und den gehe ich unter anderem als Frau. Dadurch mache ich sicher einige Dinge anders als ein Mann aber auch anders als andere Frauen.

Dass ich heute auf mich selbst vertrauen kann, hat viel mit meinen Eltern zu tun. Ich bin die Älteste von drei Töchtern, und ich war ein sehr schüchternes Kind. Meine Eltern haben sehr viel Zeit und Energie darauf verwendet, mich zu bestärken. Was ich außerdem aus meiner Kindheit mitgenommen habe, ist die Freude an einer lebhaften Diskussion. Ich habe in meinem Elternhaus gelernt, mir meine eigene Meinung zu bilden und diese auch entsprechend zu vertreten. Gerade beim Mittagessen am Sonntag wurde immer ziemlich heiß diskutiert – über alles Mögliche. Und soweit ich zurückdenken kann, wurde ich als vollwertige Diskussionspartnerin von meinen Eltern ernst genommen.

Ich liebe es, Fragen zu stellen

Das hat mich in meiner Konfliktfähigkeit sehr geprägt. Ich habe da gelernt, mich Auseinandersetzungen zu stellen – weil wir oft unterschiedlicher Meinung waren. Davon profitiere ich bis heute sehr. Meine Eltern und meine Geschwister mussten einiges aushalten, weil ich manche Positionen sehr hartnäckig vertreten habe.

Eine gewisse Hartnäckigkeit habe ich mir als Vorgesetzte erhalten, vor allem wenn es darum geht, konsequent nachzufragen. Das ist inzwischen ein wichtiger Aspekt meines Führungsverständnisses geworden. Ich liebe es, Fragen zu stellen und dadurch zu irritieren. Sätze wie 'Das können wir nicht' oder 'Das haben wir noch nie so gemacht' reizen mich dabei besonders. Dabei geht es mir darum, Wege abseits des Altbekannten sichtbar zu machen.

Als Kinderhilfsorganisation sind wir ohnehin gefordert, uns ständig neu zu erfinden. Denn die Herausforderungen, denen Kinder und Jugendliche in unserer Gesellschaft ausgesetzt sind, sind stark im Wandel. Und so müssen auch wir uns ständig von neuem fragen: Wie können wir junge Menschen am besten unterstützen? Natürlich ist das Aufwachsen in der eigenen Familie das Beste für ein Kind. Zur Betreuung von Kindern und Jugendlichen, die nicht bei ihren Eltern leben können, gehört daher auch, ihre Angehörigen zu unterstützen. Ihnen wieder auf die Beine zu helfen. Damit ein gemeinsames Leben langfristig wieder denkbar wird." (Protokoll: Gudrun Ostermann, 2.3.2019)