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"Ein Frauenleben ohne Kinder läuft schneller Gefahr, als gescheitert angesehen zu werden." Sheila Heti, kanadische Schriftstellerin

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"Was ist mit unseren Müttern, wenn wir Mütter werden?" Beate Hausbichler

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Sheila Heti ist Ende dreißig, Schriftstellerin mit depressiver Verstimmung und stellt sich wie viele Frauen in diesem Alter die Frage, ob sie ein Kind bekommen soll. Ob nun doch. Denn wie bei nicht wenigen anderen Frauen, die eine längere Ausbildung hinter sich haben und erst ein paar Jahre im Berufsleben stehen, ist nun nichts mehr so klar, wie es bis Anfang der Dreißiger noch schien. Nämlich keine zu wollen.

Das hat banale Gründe wie die Biologie, doch eben auch viele andere, gar nicht triviale Gründe. Es hat nur noch selten eine Frau ausgedehnt literarisch darüber nachgedacht. Es ist doch eher ein männlicher Habitus, Seite um Seite mit den eigenen Überlegungen zu den großen Fragen des Lebens zu füllen. Dabei haben Frauen eigentlich das Monopol auf eine der wichtigsten dieser Fragen: Soll ich gebären?

Die Autorin Sheila Heti stellt sie in ihrem Buch Mutterschaft nun endlich in der gebotenen Ausführlichkeit. Die Gedanken von Frauen dazu sind aus guten Gründen rar: Erstens ist die Wahlmöglichkeit, eine Schwangerschaft auszutragen oder nicht, noch jung – und wie sich gerade wieder zeigt, nach wie vor in Gefahr. Und zweitens werden quasi erst seit gestern Bücher von feministischen Frauen verlegt.

Höchste Zeit also für ein Buch über die Möglichkeit Mutterschaft einer Nichtmutter, denn gerade Abweichlerinnen vom Trampelpfad des Lebens vermögen die zahllosen Tabus rund um diese hochpolitische Lebensentscheidung für Frauen aufzuzeigen. Selbst Männer durften bislang mehr über Mutterschaft sagen als Frauen ohne Kinder.

Wie schon in ihrem Buch Wie sollten wir sein? (2010) stellt Heti auch in Mutterschaft ihr eigenes Leben ins Zentrum. In diesem tagebuchartigen Text sammelt sie Gespräche mit Bekannten, Freundinnen und Freunden, Unterhaltungen, die sie auf Literaturfestivals oder Abendessen geführt hat. Übers Kinder-Kriegen, Kinder-Nichtkriegen, Kinder-Haben. Auch eine Münze befragt sie via Ja/Nein-Methode, um "Denkmuster zu durchbrechen", wie sie schreibt.

Wehe, der Plan scheitert!

Da ist, zum Beispiel, die eine Freundin bei einer Party, deren Partner Walter Benjamin zitiert, als es um Mutterschaft geht. Die Freundin selbst bringt das begrenzte Recht, auf Kinder freiwillig verzichten zu dürfen, auf den Punkt: Frauen müssten schon einen verdammt wichtigen anderen Plan haben, wenn sie Nein zu einem Kind sagen. Und wehe, der scheitert! Dann ist Mitleid noch das freundlichste Gefühl gegenüber der Kinderlosen. Und da sind diese College-Freundinnen, die jetzt allesamt Kinder bekommen und andere überzeugen wollen ("Oh, du wärst eine so tolle Mutter!"), so zu leben wie sie selbst, um ihren eigenen Lebensentwurf bestätigt zu sehen.

Immer wieder landet Heti bei der Frage, was einem Leben Bedeutung verleiht. Einem Frauenleben. Und es zeigt sich, dass demnach ein Kind zu gebären für Frauen einer der leichteren Wege ist. Ein Frauenleben ohne Kinder läuft schneller Gefahr, als gescheitert angesehen zu werden. Doch es sind gar nicht die fixfertigen Schlüsse, die Hetis Buch so besonders machen. Es sind die Fragen, die sie stellt.

Was ist mit unseren Müttern, wenn wir Mütter werden? Die ihrerseits versuchten, das Leben zu führen, das ihre Mütter für sie wollten, und was mit den Töchtern, die – so wie Heti von sich erzählt – es nicht schaffen, so zu leben, wie es die Mütter sich für sie gewünscht hatten.

Warum dieses Band der aufgeschobenen und aufgehobenen Leben für das Kind nicht endlich durchschneiden? Warum nicht das eigene statt das Leben eines anderen Menschen pflegen? Es gibt viele gute Fragen zu Mutterschaft als bloße Möglichkeit, die noch nie gestellt wurden. Sheila Heti hat einen beeindruckenden Anfang gemacht. (Beate Hausbichler, Album, 7.3.2019)