Minister Norbert Hofer kann in der Situation "fast nur verlieren", sagt Meinungsforscher Peter Hajek

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Es hätte alles so einfach sein können: Norbert Hofer erhielt mit dem Verkehrsministerium ein Ressort, in dem man nur wenig falsch machen kann. In dem man nicht bei Sozialmaßnahmen kürzen muss, in dem man keine Debatten über einen schärferen Asylkurs führen muss. Sondern Tempo 140 erlauben und in Drohnentaxis posieren kann. Doch ausgerechnet Hofer hat sich jetzt den bisher am emotionalsten geführten Streit der laufenden Legislaturperiode eingefangen.

Am Anfang der Debatte stand ein furchtbarer Unfall. Am 31. Jänner wurde der neunjährige Henry auf dem Weg zur Schule von einem Lkw erfasst, mitten in Wien und auf dem Zebrastreifen. Er stirbt im Spital an seinen Verletzungen, der Lkw-Fahrer soll ihn aufgrund des toten Winkels übersehen haben. Eine Welle des Mitgefühls, aber auch der Empörung entsteht. Henrys Vater ist Redakteur bei der Wochenzeitung Falter, seine Freunde und Henrys Schulkollegen wollen etwas gegen die Gefahren, die von Lkws ausgehen, unternehmen.

Über 70.000 Unterschriften gesammelt

Der Blogger und Aktivist Helge Fahrnberger setzt in der Folge eine Kampagne für die Einführung eines verpflichtenden Abbiegeassistenten bei Lkws auf. Rasch werden 70.000 Unterschriften gesammelt. Norbert Hofer steht als Verkehrsminister fortan im Zentrum der Diskussion. Um der Diskussion den Druck zu nehmen, lädt er zum Lkw-Gipfel ins Verkehrsministerium.

Dort passieren zwei Dinge, die jetzt in den sozialen Medien breit diskutiert werden. Szene eins: Vor dem Gipfel überreichen Henrys Schulkollegen dem Minister die gesammelten Unterschriften. Hofer bittet sie, ihm "die Daumen zu halten", damit er mehr Sicherheit bei Lkws durchsetzen kann. Doch der Gipfel bleibt aus Sicht der Kritiker ohne nennenswerte Resultate – obwohl Hofer selbst das letzte Wort hat. Szene zwei: Nach dem Gipfel sagt Hofer, dass sich unter den anwesenden Experten nur eine Person für die sofortige Einführung verpflichtender Abbiegeassistenten ausgesprochen habe. Fahrnberger stellt daraufhin einen Videozusammenschnitt online, in dem Hofer zahlreiche Teilnehmer des Gipfels widersprechen.

Warum tut Hofer das? Warum riskiert ein Minister offenbar, so leicht der Lüge überführt zu werden? Oder hat der Minister die Situation tatsächlich anders erlebt?

Was ist wahr, was gelogen?

Im Verkehrsministerium beharrt man auf der Darstellung, dass nur eine Person klar für die "sofortige Einführung des Abbiegeassistenten" gewesen sei. Andere wären für einen Maßnahmenmix, etwa sektorale Fahrverbote. Die Gewerkschaft plädierte für einen verpflichtenden Beifahrer. Laut der Wiener Stadträtin Ulli Sima (SPÖ) sei die Technik hinter dem Abbiegeassistenten derzeit noch unausgereift. Eine Umrüstung würde die Stadt Wien rund 1,5 Millionen Euro kosten. Hofer führt auch Probleme mit dem EU-Recht ins Feld. Ein Audiomitschnitt des Lkw-Gipfels zeigt, dass Hofer spät in der Diskussion in einem Nebensatz sagt, offenbar sei der sofortige verpflichtende Assistent doch kein Thema mehr. Dem widerspricht nur Ulrich Leth von der TU. Zuvor spricht Hofer allerdings selbst von "Richtung 2020, wenn die Verpflichtung kommt". Vor Hofers offizieller Pressekonferenz begrüßt die Industriellenvereinigung bereits die Ergebnisse.

Nach dem Gipfel eskaliert die Debatte. Fahrnberger wirft Hofer vor, das nächste tote Kind falle in dessen Verantwortung. Das Verkehrsministerium sieht damit "die sachpolitische Ebene auf alle Fälle verlassen". Vorwürfe, dass es gegen die Person Norbert Hofer gehe, will Fahrnberger, der sich bei den Grünen engagierte, auf Twitter mit der Veröffentlichung einer SMS zerstreuen. Darin schrieb er Hofers Pressesprecher, er werde sich "dafür starkmachen, dass Hofer mediale Lorbeeren kriegt", wenn der Lkw-Gipfel Ergebnisse liefere.

"Ein interessanter Typus"

"Als Politiker kann man in einer derartigen Situation fast nur verlieren", sagt der Meinungsforscher Peter Hajek. "Natürlich hätte man es sich leichtmachen können und sofort dem verpflichtenden Abbiegeassistenten zustimmen können, aber das konnte oder wollte Hofer offenbar nicht." Inwiefern sich die Causa auf Hofers Beliebtheit auswirkt, mag Hajek nicht beurteilen.

Unbestritten ist, dass Hofer derzeit einer der populärsten Regierungspolitiker ist. Zuvor schaffte er bei der Bundespräsidentschaftswahl 2016 mit 46,21 Prozent das beste Ergebnis, das die FPÖ bundesweit je erreicht hatte. Für Hajek ist Hofer seitdem ein "interessanter Typus, an dem man sich medial abarbeitet".

Im Bundespräsidentschaftswahlkampf konfrontierte der ORF Hofer damit, dass die israelische Polizei seine Erzählung dementierte, wonach er auf dem Tempelberg Zeuge eines Terroranschlags gewesen sei, bei dem eine junge Frau zu Tode gekommen war. Was der ORF – und die israelische Polizei – damals nicht erwähnte, war, dass es schon einen Vorfall auf dem Tempelberg gegeben hatte. Die Angreiferin war ein unbewaffnetes Mitglied einer jüdischen Sekte. Sie wurde verletzt, aber nicht getötet. Hofer klagte den ORF, die Medienbehörde KommAustria konnte keinen Recherchefehler feststellen.

Ein österreichisches Pizzagate

Auch vermeintliche Kleinigkeiten sorgen für erhitzte Gemüter. So postete Hofer im März 2017 auf Facebook ein Foto von seiner Familie samt einer Pizza – und gab an, seine Tochter habe sich "heute eine Pizza gewünscht" . Doch die Bäume im Hintergrund sahen nicht nach Winter aus. Die politisch unbedeutende Causa avancierte kurzzeitig zur Staatsaffäre, was das Leserinteresse betraf. Damals zeigte Hofer Humor: Als Reaktion auf den Vorfall schickte er jeder Zeitung, die darüber berichtet hatte, eine Pizza zum Mittagessen.

Doch Hofer hat auch eine andere Seite: Als eine Reihe von Theologieprofessoren vor der FPÖ warnten, weil diese auf christliche Symbolik setze, aber keine christliche Politik betreibe, gab Hofer seinen Austritt aus der katholischen Kirche bekannt. Damals sprach er von einer "linkskatholischen Hexenjagd". Auch seine fehlende Abgrenzung zum Rechtsextremismus sorgt für Kritik. So arbeiten in Hofers Kabinett viele Burschenschafter. Hofer, selbst korporiert, stellte 2013 das Verbotsgesetz infrage. Als es rund um die Wahl des Bundespräsidenten um dessen Kompetenzen ging, sagte Hofer, man werde sich "wundern, was alles möglich ist". Prinzipiell gelte aber, dass Hofer "erstaunlich wenige Fehler für einen Politiker" mache, sagt Hajek.

Das Verkehrsministerium soll für Hofer jedenfalls nur eine Zwischenstation sein. Er könnte 2020 im Burgenland als Landeshauptmann kandidieren. Eine erneute Bewerbung als Bundespräsidentschaftskandidat hat er schon angekündigt. Für Hofer ist das Ministerium jedenfalls sein "absolutes Wunschministerium", er fühlt sich hier "sehr wohl", sagt er dem STANDARD. Auch wenn die "Verantwortung sehr groß ist". (Fabian Schmid, 2.3.2019)