Was steckt hinter der vermeintlich neutralen Sprache der hiesigen Politiker?

Foto: Elmar Gubisch

Die Verflachung des heimischen Politjargons ist eine schwer zu bezweifelnde Tatsache. Die sprachlichen Verheerungen, die Regierung und Opposition anrichten, bilden das harte, oft schimmlige Brot der Verlautbarungen, mit denen die Medien ihrer Informationspflicht nachkommen.

Kaum jemals wollte Politik in Österreich so selten als das erscheinen, was sie ihrem Wesen nach ist. Politik möchte nach Maßgabe von Wertorientierungen gestalterisch tätig werden. Die türkis-blaue Regierung war angetreten, einen konstatierten "Stillstand" aufzuheben. Mittlerweile ist der Umbau der Republik im vollen Gange. Nur die Sprache der handelnden Personen hinkt dem Vorgang befremdlich hinterdrein.

Hauptsache nicht ideologisch

Im geruhsamen Popularitätsschatten von Bundeskanzler Kurz huldigen die Repräsentanten der Macht einem Jargon uneigentlicher Ausdrucksweise. Man sagt nicht, was man möchte. Man suggeriert, dass das eigene Tun an Sachzwängen orientiert sei.

Ideologiegeleitet und voreingenommen sind immer die anderen. Unverbesserliche Linke, die kein Auge darauf werfen, dass es der Wirtschaft gutgeht. Langschläfer, die von der Wirtschaftsleistung "anständiger Menschen" zehren. Asylwerber, die schon allein deshalb nicht dem gesunden Menschenverstand huldigen, weil sie (vorderhand) nicht unser gebirgswasserklares Deutsch sprechen.

Aus dem Zusammenwirken von Sachverständigen und Politikern entstanden früher Anleitungen zum Handeln. Heute gebärden sich die Regierungsvertreter vorsorglich gleich selbst als Sachverständige. Die angebliche Unsicherheitslage generiert dann Unwörter wie die "Sicherheitshaft". Oder sie gaukelt das Vertreten von Partialinteressen als Allgemeinwohl vor. "Wer schafft die Arbeit? Na sorry, die Wirtschaft schafft die Arbeit!" Im Folgenden ein Streifzug durch den neuen alpenrepublikanischen Polit-sprech.

Anpatzen – Wird von Spitzenrepräsentanten der türkis-blauen Regierung, allen voran Bundeskanzler Sebastian Kurz, als Ausdruck der Sudelei benützt. Jedes etwas kernigere Widerwort aus dem Mund eines politischen Kontrahenten wird durch den Ordnungsruf "Nicht anpatzen!" dem Verdacht ausgesetzt, schmutzig zu sein. Polemik, sonst Salz in der Suppe der Demokratie, erfährt eine kränkende Rückstufung. Sie kehrt wieder als infantile Flegelei. Kleinkinder, die sich noch nicht sachgerecht zu artikulieren vermögen, patzen herum. Sie werfen mit Brei. Der Volksmund weiß: Irgendetwas wird schon hängenbleiben.

Dementsprechend – Dieses unscheinbare Wörtchen bildet das Trampolin für viele türkis-blaue Vorhaben. Jede Bedürfnisartikulation heischt "dementsprechend" das Ergreifen "entsprechender" Maßnahmen. Das Entsprechende wäre somit das unabdingbar Notwendige. Es sollte strenggenommen aus jedem x-beliebigen Missstand kausal abgeleitet werden (können). In Wahrheit fungiert das Wort als Sichtblende. Es kommt zum Einsatz, wenn die Beliebigkeit einer Maßnahme bemäntelt werden soll.

Es braucht ... – Diese stumpfe Wendung ersetzte früh in den Zehnerjahren des 21. Jahrhunderts die Feststellung, dass Politik sich vor allem mit der Befriedigung von gesellschaftlich artikulierten Bedürfnissen auseinanderzusetzen hat. Die Floskel "es braucht" soll die "Rationalisierung von Herrschaft" (Jürgen Habermas) ausdrücken. Doch das angeblich "Gebrauchte" ist nicht etwas, was von möglichst vielen Staatsbürgern benötigt wird. Die Wendung enthält lediglich den Hinweis, dass die, die am Ruder sind, politisch aktiv werden.

Feinplanung – Hiermit drücken Funktionäre wie FPÖ-Generalsekretär Harald Vilimsky oder auch Innenminister Herbert Kickl aus, dass sie die Praxis der Theorie jederzeit vorziehen. So wie sich die Gesetze der Politik anzubequemen haben, so soll auch der freiheitliche Wille schnellstmöglich Gesetz werden. Um die Feinplanung kümmern sich nachträglich Beamte oder Kabinettsmitglieder der eigenen Couleur.

Herzensangelegenheit – Für die SPÖ bildet der Jugendschutz eine solche, oder dann auch wieder die Gesundheitsversorgung. Die Neos werten die Neutralität Österreichs als keine ihrer vordringlichen Herzensangelegenheiten. Damit erregten sie harsche Widerworte. Sebastian Kurz erklärte letztes Jahr Südtirol zu einer solchen. Die tiefe Verbundenheit der Völker untereinander geht eben nicht durch den Verstand, sondern sie artikuliert sich vornehmlich emotional. Das erscheint klug, denn allein mit rationalen Argumenten ist eine Doppelstaatsbürgerschaft auch nicht zu rechtfertigen. Ganz unbefleckt genießt sich nur das Herz, so Goethe.

Reformdruck – Wird dieser gefühlt zu hoch, dann brennt's ("Handeln ist gefragt"). Die Politik verkleidet sich als Feuerwehr. Allein Umstände sind es dann, die sie zum Handeln zwingen, Stichwort Pensionssystem. Harald Vilimsky versteht sich bestens auf das Spiel mit dem Feuer. Er beteuerte vergangene Woche, dass er lediglich den Reformdruck erhöhen wollte, als er 2016 forderte, über den EU-Austritt abstimmen zu lassen. Auch wenn es bisher keine Reform der EU gegeben hat, sei jetzt alles anders. Ein klarer Fall von Reformdruckabfall.

Sicherstellen – Das Wort "Sicherheit" bildet den zureichenden Grund für das Dasein der amtierenden Regierung. Schier alle Gesetzesinitiativen befassen sich in irgendeiner Form mit dem Phantasma der Sicherstellung. Eine potenziell als chaotisch und gefahrvoll erlebte Welt, voller Tücken, Gewerkschaftsfunktionäre und Asylanten, soll planvoll gebändigt werden. Die politische Sprache in der Republik sorgt wie von selbst für eine wunderbare Stellenvermehrung. "Schwachstellen" sollen "ausgemerzt", Errungenschaften hingegen "sichergestellt" werden. Sicher ist sicher.

Subsidiär – In der Vorstellung von einem subsidiären Europa treffen einander FPÖ und ÖVP, und zwar mittig. Was sie damit meinen? Eine stärkere europäische Zusammenarbeit in den Angelegenheiten von Wirtschaft und Verteidigung, spürbar weniger Zusammenarbeit in den Angelegenheiten von Gurken und Glühlampen. Vergessen scheint Max Webers alte Einsicht, dass die Funktion des Sachverständigen von der des Politikers strikt zu trennen ist. Die EU-Skeptiker schüren ausgerechnet die Angst vor den "Technokraten". Ohne Experten lässt es sich aber auch deutlich ungenierter regieren.

Umsetzen – Man lässt sich nicht mehr in Parteien, sondern in sogenannten Bewegungen zum Spitzenkandidaten wählen. Sie sind "dynamischer" und versprechen daher eine raschere Umsetzung, wovon auch immer. Weil die Quantität zählt, werden die demokratischen Konsultationsprozesse ausgespart. Sie kosten nämlich Zeit. Wie wusste schon Andreas Khol: Speed kills. Nur Geschwindigkeit löst lästige Gerinnsel auf. Die sorgen für Reformstau. Politik als Blutverdünner. (Ronald Pohl, Laurin Lorenz, 2.3.2019)