Zwei TV-Interviews mit Politikern haben zuletzt hohe Wellen geschlagen: jenes mit Harald Vilimsky, dem FPÖ-Spitzenkandidaten für die EU-Wahl, und kurz davor jenes mit Verkehrsminister Norbert Hofer (FPÖ) nach dem Lkw-Gipfel. In beiden Fällen erhitzten sich die Gemüter an derselben Frage: Haben hier Politiker öffentlich die Unwahrheit gesagt, obwohl man sie mit belegten Fakten konfrontierte, die ihren Aussagen widersprachen?

Zum Beispiel Vilimsky: Interviewer Armin Wolf fragte ihn, ob er noch den "Öxit" wolle – und zu seiner Parteifreundin im EU-Parlament, Marine Le Pen, die die EU zerschlagen wolle? Vilimsky sah sich falsch zitiert, wischte eine eindeutige FPÖ-Aussendung zum Öxit beiseite und sagte, Le Pens Aussagen seien falsch übersetzt worden. Egal, welche Belege für das Gegenteil Wolf vorlegte: Vilimsky blieb bei seiner Wahrheit.

Noch augenscheinlicher wurde die Diskrepanz zwischen behaupteter und tatsächlicher Wahrheit im Gefolge des "Lkw-Gipfels". Nach dem Tod eines Neunjährigen auf dem Schulweg hatte Verkehrsminister Hofer den Gipfel einberufen, um mit Experten und Interessenvertretern über den verpflichtenden Einbau von elektronischen Abbiegeassistenten in Lastwagen zu beraten. Vor dem Gipfel hatte der Minister in den Mitschülern des Buben Erwartungen geweckt: "Halts mir fest die Daumen." Am Ende stand Hofer mit leeren Händen da: kein Gesetz, keine Abbiegeassistenten-Pflicht. Das erklärte er in der "ZiB 2" damit, dass "nur einer" der Gipfelteilnehmer dafür gewesen sei. Dem widersprachen nicht nur einige Teilnehmer umgehend. Ein vom "Falter" veröffentlichter Audiomitschnitt legt nahe: Der Minister hatte offenbar gar nicht vorgehabt, den Einbau vorzuschreiben.

Graubereich zwischen Wahrheit und Lüge

Vilimsky wie auch Hofer hatten starke Motive für ihr Tun. Vilimsky wollte sich als Reformer, aber "nicht radikal" darstellen, Hofer als Kämpfer für den Schutz von Kindern, der sich leider gegen die anderen nicht durchsetzte.

Dass Politiker den Graubereich zwischen Wahrheit und Lüge ausreizen, ist so alt wie die Politik selbst. Schon der Politiker Pontius Pilatus verhandelte mit dem Gefangenen Jesus darüber, was "Wahrheit" sei. Neu ist die zunehmende Entkoppelung von dem, was Politiker als wahr behaupten, und belegbaren Tatsachen. Die offensichtliche Lüge ist eigentlich eine Spezialität von Diktaturen. Im Kommunismus konnte jeder sehen, dass zwischen sozialistischen Erfolgsmeldungen und der Realität ganze Welten lagen.

Das Internet habe dann "die politische Lüge demokratisiert", schrieb die Passauer Politologin Barbara Zehnpfennig in der "Zeit". Jeder kann alles verbreiten, die krasseste Behauptung wird am schnellsten viral. Aufmerksamkeit ist Erfolg, ergo hat derjenige den meisten Erfolg, der die meiste Aufmerksamkeit erzielt – unabhängig davon, ob das, was er behauptet, auch wahr ist. US-Präsident Donald Trump regiert nach diesem Prinzip.

Zum Glück hat das Internet auch die Wahrheitsfindung demokratisiert: Wer sich die Mühe macht, kann die moralische Dehnbarkeit politischer Überzeugungen im Zeitverlauf jederzeit nachlesen und Unwahrheiten entlarven. Man kann nur hoffen, dass die Menschen das auch tun. Dass Wähler zu guter Letzt die Rücksichtslosen von den Skrupulösen, die Scheinheiligen von den Aufrichtigen unterscheiden – und dass Politiker, die Fake den Fakten vorziehen, ihre Lektion lernen. (Petra Stuiber, 1.3.2019)