Trends bewegen die Tanzbranche, jetzt ist gerade West Coast Swing angesagt, erzählt Martina Pfluger. Sie selbst lebt sich lieber mit Salsa, Tango, Hip-Hop und Kizomba aus.

Foto: Christian Fischer

Ihr erstes Geld verdiente sie mit einer Drahtbürste. Heute verkauft Martina Pfluger in Wien in zweiter Generation Tanzschuhe. Statt als Turniertänzerin in die Fußstapfen der Eltern zu steigen, studierte sie Wirtschaft, mit dem Ziel, sich im Handel selbstständig zu machen, Was sie schmerzt, sind an der Steuer vorbeiverkaufte argentinische Tangoschuhe.

STANDARD: Bei welcher Musik beginnen Ihre Beine zu kribbeln?

Pfluger: If You Don't Know Me by Now. Kennen Sie das? Ein langsamer Walzer. Oder Pata Pata. Wenn ich das höre, drehe ich die Musik lauter und will sofort tanzen.

STANDARD: Ihre Mutter war fünffache Staatsmeisterin im Turniertanz. Haben Sie davon geträumt, in ihre Fußstapfen zu treten?

Pfluger: Ja und nein. Ich war mit fünf Jahren in der Ballettschule, mit sechs im Kindertanzkurs. Ich wollte immer tanzen, ich bin ja damit aufgewachsen. Aber so zu sein wie meine Eltern war schwierig. Mein Vater ist Turniertrainer und hat einen Tanzsportklub. Er nahm mich als Kind oft dorthin mit. Ich erinnere mich heute noch so stark an sein "Slow, quick, quick, slow".

STANDARD: Ihre Eltern tanzten erfolgreich als Paar ...

Pfluger: Sie haben 13 Jahre lang gemeinsam Turnier getanzt, waren damals auch bei den Weltmeisterschaften. Ich kam mit zwölf, 13 in den Tanzsportklub – es war nicht einfach, so jung einen Partner zu finden. Aus dem Ausland jemanden extra einfliegen zu lassen, der mit mir Turnier tanzt, wollten wir dann doch nicht. Meine Eltern haben auch nie Druck auf mich ausgeübt. Tanzen ist daher für mich bis heute Hobby und Spaß geblieben. Woran ich mich auch noch gern erinnere: Das Erste, was ich als Kind verkauft habe, war eine Drahtbürste, sie ist als Werkzeug das A und O für jeden Tanzschuh.

STANDARD: Damit bürstet man die Sohlen rau?

Pfluger: Diese sind aus Rauleder und präparierbar: Je nachdem, ob man es rutschig haben will oder nicht. Je nach Bodenhaftung also.

Pfluger verkauft Tanzschuhe an Kunden aus aller Welt.
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STANDARD: Sie haben von Ihrer Mutter ein Geschäft für Tanzschuhe übernommen. Die Schuhbranche ist mittlerweile ein hartes Pflaster. Hat Sie das nie abgeschreckt?

Pfluger: Ich wollte immer selbstständig sein, wie es auch meine Eltern waren. Meine Mutter ließ es mir frei, ob ich ihr nachfolgen will. Wenn nicht, hätte sie das Geschäft verkauft und wäre mir deswegen nicht böse gewesen. Aber ich habe eine starke Verbindung dazu, ich habe hier von klein auf mitgeholfen. Es aufzugeben wäre für mich einfach nicht infrage gekommen.

STANDARD: Sie haben an der Wiener Wirtschaftsuniversität studiert. Wagten viele Ihrer Kollegen den Sprung ins Unternehmertum?

Pfluger: Generell nimmt die Zahl der Selbstständigen zu, auch unter Frauen. Unter den Betriebswirten waren es damals aber nur wenige. Und in der Wirtschaftspädagogik gingen fast alle in die Lehrtätigkeit oder Privatwirtschaft.

STANDARD: Was bremste sie?

Pfluger: Es fehlt eben oft einfach der Mut dazu. Selbstständigkeit erfordert viel Zeit, viel Kapital. Es wird mittlerweile viel getan, um Jungunternehmer zu fördern. Aber es gibt immer noch genug Hürden: angefangen von Bürokratie über Auflagen rund ums Mieten bis hin zu dem, was man alles haben, können und sein muss. Einige Unikollegen kamen aus Familienbetrieben und wären gern im Unternehmen geblieben. Aber viele Anforderungen rund um Übernahmen sind kaum leistbar. Es sind viele Kleinigkeiten, die in Summe aber viel ausmachen und das Leben unnötig erschweren.

STANDARD: Ihre Tanzschuhe haben gerade Hochsaison. Sind Bälle für Ihre Branche so etwas wie der Schnee für die Skiindustrie?

Pfluger: Tanzschuhe sind ein Saisongeschäft. Die Hauptzeit ist im Winter. Ich stehe jetzt jeden Tag selbst im Geschäft. Vor 15, 20 Jahren hielten viele Tanzschulen im Sommer geschlossen. Das hat sich erst in den vergangenen Jahren geändert. Ich sperre im Sommer sicher nicht zu. An jedem Tag, an dem ich das tun würde, riskierte ich, Kunden zu verlieren.

STANDARD: Jeder Ballbesucher gibt im Schnitt rund 280 Euro pro Veranstaltung aus, meinen Marktforscher zu wissen. Wie viel bleibt denn da für Tanzschuhe übrig?

Pfluger: Ich bin neugierig, wie man auf die Zahlen kommt. Denn ganz ehrlich: Ein Kleid kostet mindestens 150 Euro bis hin zu mehreren Tausend. Eine schöne, glitzernde Tasche ist kein Schnäppchen. Ein Tanzschuh ist ab gut 90 Euro zu haben. Dann noch der Friseur, das Taxi, die Ballkarte, Essen, Trinken. Eine Stammkundin hat bei mir für den Opernball jedes Jahr Schuhe gekauft. Heuer bekam sie für ihn erstmals keine Karte und stellte fest, dass sie um das Geld, das sie eigentlich für den Ball ausgegeben hätte, mit ihrem Mann auf Urlaub fliegen kann.

Schuhe als Werkzeug: Wer beim Tanzen am Boden klebt, sieht sich dann meist doch nach der richtigen Sohle, sagt Martina Pfluger.
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STANDARD: Verstehen Sie den Hype um den Opernball?

Pfluger: Er gehört zu Wien dazu. Jeder kennt ihn, er ist spektakulär. Die ganze Ballsaison – das alles ist Wien.

STANDARD: Gehen viele Wiener nicht lieber ins Fitnesscenter als in den Tanzkurs?

Pfluger: Tanzen und Musik sind immer modern. Es fordert Geist und Körper. Man kann sich ausleben. Und es gibt Trends, wie Salsa oder argentinischen Tango. Starten die Dancing Stars im Fernsehen, ist viel in den Tanzkursen los. Oder der Film Dirty Dancing: Auf einmal gingen alle Salsa tanzen. Jetzt ist gerade West Coast Swing angesagt.

STANDARD: West Coast Swing?

Pfluger: Ich habe Salsa, Tango, Hip-Hop und Kizomba getanzt. Aber ich gebe zu, Steppen und West Coast Swing sind auch für mich Neuland.

STANDARD: Lassen sich Jugendliche noch für den Dreivierteltakt gewinnen?

Pfluger: Früher schickte man ganze Schulen in die Tanzschule, das gibt es heute nicht mehr. Es ist auf jeden Fall stark von der Familie geprägt. Es gibt aber immer noch viele Jugendliche, die tanzen.

STANDARD: Kommen diese dann in Sneakers in die Tanzschule?

Pfluger: Manche Tanzschulen verlangen Ledersohlen. Und wer merkt, dass er beim Tanzen am Boden festpickt, kauft sich richtige Schuhe. Sie sind ja ein Werkzeug.

STANDARD: Womit steht und fällt denn ein solcher Schuh?

Pfluger: Die Sohle ist bearbeitbar. Das Leder ist ein Handschuhleder, es muss biegsam sein, sich an den Fuß anschmiegen. Der Absatz für die Frauen ist im Dienste der Balance anders gesteckt, er ist weiter drinnen.

STANDARD: Wie hoch wagen Mann und Frau sich mit dem Stöckel hinauf?

Pfluger: Zwischen vier und sieben Zentimetern, da fühlen sich die meisten am wohlsten. Zehn ist hoch, das tragen vor allem Salsatänzerinnen.

STANDARD: Es gibt High-Heels-Training. Ist das nicht vor allem ein Festspiel für Orthopäden?

Pfluger: Österreichs Junge Wirtschaft lud erst kürzlich Jungunternehmer nach Wien ein. In diesem Rahmen gab es auch einen entsprechenden Kurs: wie man richtig mit High Heels läuft.

STANDARD: Warum bitte schön muss man das als Jungunternehmer können?

Pfluger: Ich habe selbst daran nicht teilgenommen. Viele Frauen haben es ja ohnehin im Blut, auch viele Männer laufen damit super. Am gesündesten wäre es natürlich, barfuß zu gehen. Aber letztlich sind auch Handys und Schokolade ungesund.

STANDARD: Ist die Höhe des Absatzes ein Maßstab für die Konjunkturentwicklung?

Pfluger: Nein, auch wenn's schön wäre. Ich habe da eine andere Theorie: Die Absätze erinnern mich an die Lebenspyramide von Frauen. Als Kind trägt man flach, mit 14, 15, 16 beginnt man erstmals mit höheren Schuhen. Mit dem Alter werden die Absätze immer höher – bis zum Höhepunkt von bis zu zehn Zentimetern. Im Alter werden sie dann wieder flacher, bequemer und komfortabler.

STANDARD: England ist ein wichtiger Markt für den Einkauf von Tanzschuhen. Welche Folgen hätte ein Brexit für Sie?

Pfluger: England ist das Land, aus dem der Turniersport kam. Sollte es zu einem harten Brexit kommen, werden unsere Partner nach Lösungen suchen. Denn bei einer Verzollung würden die Preise steigen. Für alle, die Ware aus England beziehen, ist es im Moment nicht lustig. England ist für Tanzschuhe natürlich ein Klassiker. Ich beziehe aber auch viele Schuhe aus Italien, Deutschland, Argentinien, Frankreich, Portugal. Ich fahre zu meinen Produzenten und schaue mir an, ob ihre Schuhe dort wirklich zur Gänze erzeugt werden und in Europa nicht nur den letzten Schliff erhalten.

STANDARD: Hat Sie das Geschäft mit Spitzenschuhen je gereizt? Ich stelle mir das recht ergiebig vor: Sie werden im Zuge einer Ballettvorstellung ja mehrfach gewechselt – wie in der Formel 1 die Reifen.

Pfluger: Definitiv. Aber ich habe selbst nicht Ballett getanzt, und authentisch ist man als Verkäufer nur, wenn man sie selbst getragen hat. Es gibt viele wunderbare Ballettfachgeschäfte, warum sollte ich mich in diesen Markt drängen?

STANDARD: Teilen sich viele Anbieter für Tanzschuhe den Markt?

Pfluger: Als mein Vater 17 war, gab es in Wien eine einzige Dame, die Tanzschuhe verkaufte. Sie reichte ein Paar Lackschuhe heraus, die passten oder auch nicht. Heute gibt es neben Fachgeschäften viele Anbieter, auch Tanzschulen vertreiben Schuhe. Und leider spielt der Schwarzmarkt eine große Rolle.

STANDARD: Wie das?

Pfluger: Leute fliegen mit leeren Koffern nach Argentinien, kehren mit vollen zurück und verkaufen die Tangoschuhe auf Veranstaltungen. Hier könnte man schwarze Schafe finden. Die Registrierkasse ist gut und schön. Aber diejenigen, die keine Steuer zahlen, die Preise drücken und den Markt zerstören, erwischt sie nicht. (Verena Kainrath, 4.3.2019)