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Richard Nimmerrichter, "Housemaster's Voice" der "Kronen Zeitung" über Jahrzehnte, im Jahr 2011.

Foto: FOLTIN Jindrich / WirtschaftsBlatt / picturedesk.com

Fast vier Jahrzehnte lang gab er tagtäglich dem tiefösterreichischen Ressentiment gegen alles Fremde, der Verharmlosung des Holocaust und des Antisemitismus, dem Hass auf das Feindbild Politiker eine laute Stimme in Österreichs einflussreichstem Medium. Richard Nimmerrichter, von 1964 bis 2001 Autor der "Staberl"-Kolumne in der "Kronen Zeitung", ist mit 101 Jahren gestorben.

Was schrieb dieser "Staberl" Nimmerrichter in seiner täglichen "Krone"-Kolumne? Drei aufsehenerregende Beispiele:

Kritikern den Mund verpicken wie Marcus O.

Nimmerrichter verteidigte die (später wegen fahrlässiger Tötung verurteilten) Beamten, die bei der Abschiebung dem Schubhäftling Marcus O. den Mund so verklebten, dass er erstickte. Und er empfahl ähnliche Behandlung auch Andersdenkenden: Schön wäre, wenn sich auch "die liberale gnädige Heide Schmidt, die grüne Frau Stoisits und der Giftpilz, die Voggenhubers, Küberln und Landauer ... dem Verkleben ihrer angeblich fortschrittlichen Mundwerke widmen".

Völkermord "Folklore wie Schuhplatteln"

Über Völkermorde wie jenen der Hutu an den Tutsis 1994 in Ruanda mit bis zu einer Million Toten binnen 100 Tagen schrieb "Staberl" Nimmerrichter: Vielleicht gehöre "die Ausrottung ganzer Völkerstämme in diesen Teilen der Welt so ähnlich zur harmlosen Folklore wie etwa in unseren älplerischen Gegenden das Schuhplatteln".

Nur wenige Juden vergast

"Nur verhältnismäßig wenige der jüdischen Opfer sind vergast worden", verharmloste Nimmerrichter die industrielle Mordmaschinerie der Nationalsozialisten. Die große Mehrzahl sei "verhungert oder erschlagen worden, durch Fleckfieber, Ruhr und Typhus umgekommen (...), erfroren oder an Entkräftung gestorben. Nicht anders als in den Kriegsgefangenenlagern der Russen", stellte "Staberl" in rechter Tradition gegenüber, wo auch zehntausende (deutsche Soldaten) umkamen.

Und: "Die dritte Generation überlebender Juden hat aus der Holocaust-Geschichte eine Märtyrer-Saga gemacht", beklagte sich Nimmerrichter über Restitutionsforderungen zu Bildern, die Nationalsozialisten ihren jüdischen Opfern geraubt hatten. Etwa auch ein Bild von Friedrich Gauermann, das Biedermeier-Sammler Nimmerrichter im Dorotheum ersteigert hatte.

Hass-Virtuose

Wer war dieser Richard Nimmerrichter, geboren am 31. Dezember 1920 in Wien? Kein Wutbürger, ein berechnender Virtuose auf der Schreibmaschinen-Klaviatur von Hass und Grant: "Emotionen persönlicher Art habe ich nie eingebracht, sonst hätte ich es nicht 37 Jahre ausgehalten. In Wirklichkeit waren mir die Leute ganz wurscht. Ich habe mit vielen meiner nützlichen Intimfeinde nie auch nur ein Wort geredet." Und: "Die Kolumne hat zur Voraussetzung Feinde. Und wenn nicht genügend da waren, musste ich sie mir züchten." Frauenministerin Johanna Dohnal etwa war ein beliebtes Ziel von "Hausmeister's Voice" (Sigrid Löffler 1974 in "Profil").

"Krone"-Wiedergründer Hans Dichand und sein Kompagnon Kurt Falk holten Nimmerrichter 1964 als täglichen Wutschreiber zum Kleinformat. Als Wehrmachtssoldat (Funker nach eigenen Angaben) in Kriegsgefangenschaft in Russland, danach war "Staberl" kurz SPÖ-Mitglied, er schrieb für die sozialistische "Arbeiter-Zeitung", für die US-Agentur United Press, war Chefredakteur der "Weltpresse", ebenfalls in SPÖ-Besitz.

156-mal wurde Nimmerrichter für seine "Krone"-Kolumne geklagt, 58-mal verurteilt, meist wegen übler Nachrede. Ihn soll so schnell nichts getroffen haben, sagte er, aber: "Wer mich ins Nazi-Eck gestellt hat, den habe ich mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln bekämpft." Er sei selbst als Wehrmachtssoldat wegen eines abgefangenen Briefs über den "Verrückten" vor dem NS-Staatsanwalt gestanden, seine stärkste Emotion sei "der Hass auf Hitler".

Nimmerrichter (wie die "Krone" insgesamt) hielt lange große Stücke auf das mit ewiggestrigen Signalen und Sagern provozierende FPÖ-Phänomen Jörg Haider. Ein "Staberl" der Politik. Nimmerrichter über Haider: Er "hat alles zum Gegenstand seiner Wahlkämpfe gemacht, was die Bürger fernab von jeder Ideologie in ihrem Alltagsleben bedrückt. Kurzum: Er hat das getan, um das die 'Kronen Zeitung' schon jeher bemüht war.'"

2001, mit 80, beendete Nimmerrichter seine Kolumne. Ein Entwurf über Haiders Sager, der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde, Ariel Muzicant, habe "Dreck am Stecken", erschien "Krone"-Boss Hans Dichand "nicht opportun", diese Kolumne erschien nicht.

Prozess gegen den STANDARD

Seit 2004 ist es gerichtlich erlaubt zu behaupten, die "Krone" habe über Jahre hinweg antisemitische, nationalistische und rassistische Untertöne verbreitet. Diese Behauptung hatte der STANDARD-Journalist Hans Rauscher in seiner Kolumne aufgestellt. Dichand klagte. Nun musste Rauscher belegen, warum diese Bezeichnungen für die "Krone" zutreffend sind. 56 Seiten lang war die Dokumentation – darunter auch Textbeispiele von Nimmerrichter. Die Richterin befand die vorgelegten Textstellen für ausreichend und damit war der Wahrheitsbeweis gelungen. Dichand legte keine Berufug ein und akzeptierte das Urteil.

Staberls kurzes Comeback

2010 kehrte "Staberl" noch einmal in die "Krone" zurück mit einem Monatsbrief. Unentgeltlich – die "Krone" hatte ihn ohnehin längst zu einem der reichsten Journalisten gemacht: Allein seine Gewinnbeteiligung (bis Ende der 1980er-Jahre) brachte nach seinen (wechselnden) Angaben sechs bis acht Millionen Schilling pro Jahr – 440.000 bis 580.000 Euro, die vor ein paar Jahrzehnten Inflation auch noch etwas mehr wert waren. Dazu eine von der "Krone" auf Lebenszeit bezahlte Wohnung in Wien-Döbling, ein durchaus fürstliches Gehalt und Pension.

Mit dem Geld konnte Nimmerrichter über die Jahre problemlos einige Immobilien und vor allem mehr als 100 Biedermeier-Gemälde von Gauermann, von Alt, Romako und Co sammeln, bis er nach eigenen Worten keine Tapeten mehr brauchte. Die Sammlung vermachte Nimmerrichter noch zu Lebzeiten der Niederösterreichischen Landesgalerie – Langzeitlandeshauptmann Erwin Pröll (bis 2017) war der einzige Politiker, mit dem Nimmerrichter weiter Kontakt hielt.

"Staberls" Monatsbrief erschien nicht nur unentgeltlich, sondern nach dem ersten ziemlich unbeachtet – auch in der Redaktion. Als eine Kolumne irrtümlich nach einem Monat ein zweites Mal erschien – und sich kein einziger Leser dazu meldete –, hörte Nimmerrichter nach wenigen Monaten wieder auf. Erst zum 60-Jahr-Jubliäum der "Krone" 2019 schrieb der einstige Wutkolumnist noch einmal, inzwischen 98 und weniger wütend denn erinnerungsselig.

Nimmerrichters Nachfolger

Die noch vergrößerte Bühne für Leserbriefe mit einigen Stammkräften vergesellschaftete die mediale Stimme des "Krone"-Hausmasters nach Nimmerrichters Abgang.

Sonntags in der Millionenauflage der "Krone bunt" schreibt seit 2013 der Anwalt Tassilo Wallentin, was die Volksseele bewegen könnte.

Und ab Februar 2007 verschickt der frühere "Krone"-Chefreporter und Ex-"Adabei" Michael Jeannée seine fast tägliche "Post" an Politiker und andere Menschen. Er erklärt in seiner Kolumne von der Polizei getöteten Minderjährigen, wer alt genug zum Einbrechen sei, der sei auch alt genug zum Sterben. Er ruft den Zeitungseigentümer Raiffeisen zum "Hegeabschuss" des "Kurier"-Chefredakteurs auf. Und adaptiert NS-Formulierungen zum "Endspielsieg" des deutschen Nationalteams bei der Fußballweltmeisterschaft in Brasilien. "Heute die Brasilianer und morgen die ganze Fußballwelt" ist selbst der "Krone" zu heftig und verschwindet zwischen Abend- und Morgenausgabe aus dem Blatt. (fid, red, 6.2.2022)