Dieser Mann, der an einem SDF-Checkpoint bei Baghouz wartet, ist laut eigenen Angaben Franzose.

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Baghouz fällt, die letzte Bastion des "Islamischen Staats" im Euphrattal, erobert von den Syrischen Demokratischen Kräften (SDF) mit US-Luftunterstützung: Die Zivilisten, auch IS-Familienangehörige, wurden durch einen Korridor in Sicherheit gebracht, der IS ist in Auflösung, viele Kämpfer ergeben sich und werden interniert. Die anderen werden in Baghouz sterben. Ungefähr dieses Bild ergibt sich, beobachtet man die Berichte aus der Region. Es ist ein Versuch, Ereignisse zu systematisieren, die nur schwer begreifbar sind.

Kolonnen von schwarz verhüllten Müttern mit vielen Kindern, in die sich immer mehr Männer mit langen Bärten mischen: Am Montag sollen 3.000 Menschen aus Baghouz herausgekommen sein. Seine Frau sei bereits mit zwei Kindern weg, er habe weitere zwei bei sich, sagt ein russischer Kämpfer in eine Kamera. Die Internierungslager wachsen, in al-Hol etwa sollen es bereits 45.000 Insassen sein, und es werden mehr.

Baghouz hatte einmal 10.000 Einwohner, Syrer, die den Ort kennen, können sich nicht ausmalen, wo die vielen Menschen waren, die ihn nun verlassen. Vor zwei Wochen war noch von ein paar Hundert verbliebenen Kämpfern die Rede. Die Zahl derer, denen es gelungen ist, zu fliehen – im Fall von Syrern einfach nach Hause zu gehen -, ist unbekannt. Und dann gibt es auch noch jene, die den irakischen Behörden übergeben werden. Und jene, die von anderen radikalen Gruppen erwischt und umgebracht werden.

"Brüderlichkeit und Gnade"

Dazu verkündeten die Kurden am Montag, dass "hunderte" Menschen, die der IS-Bürokratie angehört haben sollen, freigelassen wurden: ein Akt der "Kooperation, Brüderlichkeit und Gnade", zitiert Middle East Eye eine SDF-Erklärung. Sie wurden arabischen Stammesführern übergeben – es ist anzunehmen, dass es die jeweils eigenen Stämme sind, die ihre verlorenen Söhne zurücknehmen.

Es gibt den Verdacht, dass dabei auch zumindest auf individueller Ebene hin und wieder Geld fließt, wenn einer freikommt. Aber ein Kenner der Situation meint, dass es eher um Diplomatie für die Zeit nach dem IS geht: Man will sich mit den Stämmen nicht anlegen, die teilweise beste Verbindungen nach Saudi-Arabien haben. Die Freigelassenen hätten "die Traditionen der syrischen Gesellschaft und das Gesetz verletzt, wurden verführt ... aber sie bleiben unsere syrischen Kinder", heißt es.

In Kürze wird US-Präsident Donald Trump den "Sieg über das IS-Kalifat" verkünden: "Über den IS" wird er wahrscheinlich nicht sagen, weil das die Präsenz der USA in Syrien und im Irak infrage stellen würde. Die Gerüchte werden nicht ausbleiben, dass es in Baghouz genauso lief wie angeblich beim Sieg über den IS in der Großstadt Raqqa im Oktober 2017: dass die Sieger nicht alle IS-Kämpfer ausgeschaltet, den IS nicht völlig vernichtet haben, weil sie ihn eventuell noch "brauchen".

Der Glauben in der Region, dass der "Islamische Staat" eine westliche Kreation war, hält sich beharrlich – und ebenso glauben viele nicht, dass die Offensive gegen den IS in Baghouz aus "humanitären Gründen" immer wieder verlangsamt wurde, um Frauen und Kindern den Abzug zu ermöglichen. Eine künstliche Nebelwand, um zu verschleiern, was dort läuft, sagt ein Araber zum STANDARD. (Gudrun Harrer, 6.3.2019)