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Die Informatikerin Grace Hopper war maßgeblich daran beteiligt, dass Programmiersprachen heute Wörter statt Zahlen nutzen.

Foto: getty/Bettmann Archive

Wussten Sie, dass Programmieren in seinen Anfängen Frauensache war? Das ist aus heutiger Sicht geradezu unvorstellbar: Kaum eine Branche hat einen so geringen Frauenanteil wie die IT. Eine Analyse der US-Seite Axios ergab 2017, dass selbst die Wall Street, die nicht gerade für Gleichberechtigung bekannt ist, mittlerweile einen erheblich höheren Frauenanteil aufweist als das Silicon Valley, die Wiege der Tech-Branche. Während bei großen Banken zu 48,4 Prozent Frauen arbeiten, seien die Mitarbeiter bei Unternehmen wie Apple, Facebook, Amazon und Konsorten nur zu 33,2 Prozent weiblich. Bei Führungspositionen liege der Frauenanteil in der Wall Street wiederum bei 25,5 Prozent, im Silicon Valley bei 24,8 Prozent.

Dass so wenige Frauen den Berufsweg verfolgen, war nicht immer so: Wer Fotos aus den 40ern, 50ern oder 60ern bei Unternehmen wie IBM betrachtet, findet zumeist Frauen, die als Programmiererinnen tätig waren.

Programmiererinnen als moderne Sekretäre

Um das zu verstehen, braucht es einen Ausflug in die Geschichte der Informatik: Die Anfänge der Computer, wie wir sie heute kennen, finden sich bereits im Zweiten Weltkrieg. Frauen waren für den Beruf besonders begehrt, da Männer zumeist einberufen wurden. Jedoch gilt zu bedenken, dass Programmieren damals noch nicht den Ruf genoss, den es heute hat. Für viele erinnerte der Job eher an eine modernere Version eines Sekretärs.

Die ersten elektronischen Computer wurden vor allem zu Kriegszwecken genutzt. Ein Beispiel liefert der US-Computer "ENIAC" der zur Berechnung von ballistischen Tabellen genutzt wurde. Er wurde von sechs Frauen programmiert.

Neue Wissenschaft

In späteren Jahren wurden die Computerwissenschaften vermehrt, vor allen im Vergleich zu anderen Wissenschaften, zu einem populären Berufsweg für viele Frauen. Anders als in anderen Branchen bedeutete die Tatsache, dass die Informatik noch relativ neu war, dass es nach dem Krieg zunächst kaum zurückgekehrte Männer gab, die sie wieder verdrängten. Es waren drei afroamerikanische Mathematikerinnen, die John Glenns Umkreisung der Erde mit einem Raumschiff im Jahr 1962 durch ihre Berechnungen erst ermöglichten.

Frauen wie Grace Hopper schufen Algorithmen, die die ersten Computer ermöglichten. Programme von Entwicklerinnen wie Katherine Johnson und Margaret Hamilton ermöglichten erst, dass der erste Mensch auf dem Mond landen konnte. "Es ist die Zeit der Computer-Mädels", schrieb das "Cosmopolitan"-Magazin 1967. Auch IBM warb vor allem für weibliche Programmiererinnen.

Der plötzliche Fall

Im Jahr 1983 waren laut der US-amerikanischen National Science Foundation 37 Prozent aller IT-Studierenden in den Vereinigten Staaten weiblich. Bis dahin wuchs die Zahl der Frauen, die in dem Bereich ein Studium anstrebten, stetig und schneller als bei Männern. Dann gab es einen plötzlichen Wandel, es folgte eine anhaltende Abwärtsspirale. Heute sind USA-weit weniger als 20 Prozent aller Absolventen in der Informatik weiblich. Was wurde aus den Frauen in der IT-Branche?

Spurensuche

Eine eindeutige Erklärung für das Phänomen gibt es nicht, eine Antwortmöglichkeit könnte jedoch der Aufstieg der Personal Computer (PCs) liefern. Gerade, als sie begannen, beliebt zu werden, sank die weibliche Beteiligung an der Informatik. Der gemeinsame Nenner, der diese beiden Entwicklungen miteinander verbinden könnte, sind Videospiele. Die ersten PCs konnten noch sehr wenig und boten oft neben Games wie Pong nur sehr einfache Prozesse, etwa Textbearbeitung. Dennoch erfreuten sie sich großer Beliebtheit: Nun war endgültig klar, dass es in der Informatik viel Geld zu verdienen gibt.

PCs waren die perfekten Konsolen für die noch sehr junge Games-Branche. Sie erlebte mit dem Video Game Crash in den 80er-Jahren die bisher größte Krise ihrer Geschichte. Waren Arcade-Automaten in Spielhallen noch für die ganze Familie gedacht, suchte man mit dem Aufstieg von Videospielen als Beschäftigung für Zuhause eine neue Zielgruppe. Diese glaubte man, bei jungen Männern und Burschen zu finden. Games wurden primär als Spielzeug für sie beworben – und auch entwickelt.

Videospiele von Männern für Männer

Wie die Popkultur-Kritikerin und Feministin Anita Sarkeesian im STANDARD-Interview erklärt, hatte das einen Einfluss auf die Spiele, die erschienen, etwa die Hauptcharaktere, die Story und das Marketing. Wenn Frauen in der Werbung vorkamen, waren sie oft nur der störende Faktor, der junge Männer davon abhielt, ihre Games zu konsumieren.

Das hatte eine Wirkung: Hunderte Interviews der Forscherin Jane Margolis in den 90ern mit Informatikstudenten ergaben, dass Familien eher Söhnen Computer kauften als Töchtern. Zeitgleich schaffte der PC die Anfänge der Nerdkultur. Filme wie "Revenge of the Nerds" zeigen junge Männer, die durch ihre technischen Kenntnisse versuchen, die Gunst der weiblichen Liebesinteressen zu gewinnen. Nerdsein war zunächst also eine reine Männerdomäne.

Mädchen ohne PCs

Das US-amerikanische National Public Radio illustriert die daraus resultierende Entwicklung mithilfe der heutigen Informatik-Professorin Patricia Ordóñez. Diese war zu ihrer Schulzeit in Mathematik besonders begabt. Deswegen entschied sie sich dazu, an der Universität Informatik zu studieren – mit zunächst mäßigem Erfolg, denn viele ihrer männlichen Kollegen kannten grundlegende Informationen, weil sie mit PCs aufgewachsen waren.

Ordóñez glaubte, mit Genies in einer Klasse zu sitzen – doch, wie die Männer heute selbst sagen, hatten sie nur den Vorteil eines eigenen Computers. Sie selbst bekam zum ersten Mal eine unterdurchschnittliche Note und entschied sich deswegen dazu, stattdessen Fremdsprachen zu studieren. Erst Jahre später holte sie ihre Ausbildung in der Informatik nach.

Und Österreich?

Einen hohen Frauenanteil habe es im akademischen Bereich in Österreich nie gegeben, sagt Gabriele Anderst-Kotsis, Institutsleiterin an der Johannes Kepler Universität (JKU) in Linz dem STANDARD. Das liege vor allem daran, dass Informatik eine sehr junge Disziplin ist. "Die ersten Professoren waren keine Informatiker", sagt Anderst-Kotsis. Jedoch sei die Zahl der weiblichen Informatikstudierenden über die Jahre gestiegen. Heute liegt die Zahl der Informatikstudentinnen etwa an der JKU bei rund 20 Prozent.

Jedoch gibt es eine sogenannte "leaky pipeline" – je höher die Qualifikation, desto niedriger der Frauenanteil. Das liege laut Anderst-Kotsis wohl an der Lebensbiografie von Frauen. "Irgendwann in der Zeit zwischen Bachelor und Master will man oft eine Familie gründen. Da fallen immer noch öfter die Frauen weg", sagt die Professorin. Es sei für einen höheren Frauenanteil zudem hilfreich, wenn es mehr weibliche Professoren im Lehrpersonal gibt. (Muzayen Al-Youssef, 7.3.2019)