Leipzig – Der Einfluss des Menschen verringert das Verhaltensrepertoire von Schimpansen deutlich. Leben die Tiere etwa nah an Siedlungen, Straßen, Landwirtschaft oder Bergbau, sinkt ihre Verhaltensvielfalt, wie ein internationales Forscherteam unter Leitung des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig in der Zeitschrift "Science" berichtet.

Schimpansengesänge im Nationalpark Taï in der südwestlichen Elfenbeinküste.
Foto: Liran Samuni/Taï Chimpanzee Project

Kulturelle Unterschiede

An sich verfügen Schimpansen über eine große Vielfalt an Verhaltensweisen. Weil viele Gewohnheiten nur bestimmte Gruppen betreffen und dort von einer Generation zur nächsten weitergegeben werden, sprechen Forscher von Schimpansenkulturen. Erst vor wenigen Wochen beschrieben Biologen eine bisher unbekannte Kultur aus der Region Bili-Uéré im Norden der Demokratischen Republik Kongo, die sich in Sachen Jagd- und Sammeltechniken von anderen Populationen unterscheidet.

Nussknackerin im Nationalpark Taï.
Foto: Tobias Deschner/Taï Chimpanzee Project

Für die aktuelle Studie untersuchten Wissenschafter nun mehr als 30 Verhaltensweisen von 144 frei lebenden Gruppen aus dem gesamten Schimpansen-Verbreitungsgebiet in Afrika. Dabei wurde etwa beobachtet, mit welchen Tricks die Tiere Ameisen, Algen, Nüsse und Honig sammeln, welche Werkzeuge sie zur Jagd oder beim Graben nach Knollen verwenden oder wie sie Tümpel und Höhlen nutzen. Die Vielfalt der Strategien wurden dann mit der jeweiligen menschlichen Anwesenheit in der Umgebung abgeglichen.

Verringerte Bandbreite

In Lebensräumen, in die der Mensch stark eingreift, sei das Verhaltensrepertoire der Schimpansen deutlich geringer, fasste Studienleiterin Ammie Kalan vom Leipziger Max-Planck-Institut die Ergebnisse zusammen. "Im Durchschnitt ist die Verhaltensvielfalt der Schimpansen an Orten mit dem stärksten menschlichen Einfluss um 88 Prozent reduziert."

Schimpansen zeigen eine große Bandbreite an Verhaltensweisen und regionalen Traditionen.
Foto: Anna Preis/ Taï Chimpanzee Project

Das erklären die Forscher unter anderem mit der sinkenden Zahl der Tiere in menschennahen Regionen. Schrumpfende Populationen haben demnach eine geringere Kapazität zur Entwicklung unterschiedlicher Gewohnheiten. Zudem könnten die Tiere mancherorts auffällige Verhaltensweisen wie etwa das Knacken von Nüssen vermeiden, um Jägern ihren Aufenthaltsort nicht preiszugeben.

Ein Schimpansenmännchen stochert nach Futter im Erdreich.
Foto: Tobias Deschner/Loango Chimpanzee Project

Schutz des "Schimpansen-Kulturerbes"

Auch die Fragmentierung des Lebensraums könnte die Weitergabe von Wissen und lokalen Traditionen von einer Generation zur nächsten beeinträchtigen, so die Biologen. Zudem könnte der Klimawandel zu einer reduzierten Verhaltensdiversität beitragen, indem er die Verfügbarkeit bestimmter Nahrungsressourcen beeinflusst.

Auch in Sachen Fellpflege gibt es Unterschiede zwischen Schimpansenpopulationen.
Foto: Tobias Deschner/Loango Chimpanzee Project

"Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass Strategien zur Erhaltung der Biodiversität auch auf den Schutz der Verhaltensdiversität von Tieren ausgedehnt werden sollten", sagte Hjalmar Kühl, Erstautor der Studie. Er regte an, Orte mit außergewöhnlichen Verhaltensweisen als "Schimpansen-Kulturerbe" zu schützen. Zudem könnte dieses Konzept auch auf Orang-Utans, Kapuzineraffen oder Wale ausgedehnt werden. (red, APA, 7.3.2019)