Österreichs Regierungsspitze hat die Ethik entdeckt.

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Diese Woche ist Überraschendes passiert. Österreichs Regierungsspitze hat die Ethik entdeckt. Aber eh nur für andere. Wenn es gilt, im Mäntelchen der Moral von der parallel dazu inszenierten vorbeugenden Sicherungshaft abzulenken, wollten Kurz und Strache das Feld keinem Minister überlassen, der bereits gestanden hat, den ethischen Zumutungen dieses Duos nur eine Legislaturperiode gewachsen zu sein. Ihre ethische Erweckung verlegten sie in eine Schule, obwohl politischer Kindesmissbrauch als ethisch zweifelhaft gilt, aber profitablere Bilder für die Medien abwirft, was einer Ethik der Message-Control entspricht, erst recht an einem Faschingsdienstag.

Der Kanzler bewies nach zweckdienlichem Schütteln einiger Schülerhände mit Fragen wie "Ihr habt also im Mai Matura? Ist die Maturareise schon organisiert?", wie sehr ihm ethische Fragen ein Anliegen sind. Dem Vizekanzler entschlüpfte das Wort "Sittenlehre", aber da nahm ihm der zuständige Bildungsminister kurz den Wind aus den Segeln, indem er Ethik als "Sport und Bewegung für den Geist" definierte. Unter den philosophischen Disziplinen hätte man das eher der Logik zugetraut, aber es ist ja eh wurscht, Hauptsache, es gibt keinen verpflichtenden Ethikunterricht für alle, schon gar keinen für Migrantenkinder, und Abmelder vom Religionsunterricht werden vom sittenverderbenden Kaffeehaus ferngehalten.

Schließlich ging es bei dieser ethischen Sparsamkeit darum, die katholische Kirche in Zeiten, in denen sie sogar von ihrem Oberhaupt ethisch unter die Lupe genommen wird, nicht einem Verdrängungswettbewerb auszusetzen, der ihren Einfluss weiter schmälern könnte.

Ethikerduo an der Regierungsspitze

Zu ihren Gunsten muss allerdings gesagt werden, dass sie in den ethischen Fragen, die unser gesellschaftliches Zusammenleben betreffen, das Ethikerduo an der Regierungsspitze weit hinter sich lässt. Den Innenminister sowieso. Ethikunterricht an Schulen, ohnehin nur halbherzig installiert, muss ins Leere laufen, wenn eine Regierung Menschenverachtung aus Wahltaktik praktiziert, dafür die Verfassung aufs Spiel setzt und keinen Gedanken darauf verschwendet, wie das auf die Jugendlichen wirken soll, die sie so gern für ihre Auftritte instrumentalisiert.

Der Mensch ist das Maß aller Dinge, sagte ein gewisser Protagoras vor zweieinhalbtausend Jahren. Die Regierungsspitze heute: ausgenommen der Flüchtling. Antisemitismus ist nicht nur verboten, er gilt auch als ethisch anrüchig. Nicht für einen Strache, einen Vilimsky, die sich gar nicht genug einem Viktor Orbán anbiedern können, der eben krachend antisemitisch wahlkämpft. Da können Schüler immerhin lernen, was ethische Elastizität ist.

Der Innenminister will Einsperren auf bloßen Verdacht. Nur Ausländer, nicht etwa potenziell verdächtige hiesige Neonazis. Wenn er damit nur nicht zu wenig tut! Sagte Strache doch einen Tag nach seinem Schulauftritt beim Aschermittwoch-Auftritt seiner Partei: "Womöglich wird uns als Nächstes der Heringsschmaus verboten, weil sich die Karpfen diskriminiert fühlen." Also nur kein falsches Mitleid – und dagegen hilft freiheitliche Ethik. (Günter Traxler, 7.3.2019)